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# taz.de -- Bücherstapel und Buchmesse: In der größten Selbsthilfegruppe der…
> Bücher ungelesen zu horten, ist ziemlich irrational. Aber gleichzeitig
> liegt darin etwas zutiefst Menschliches.
Bild: Achtung: erhöhte Stapelgefahr!
Die japanische Sprache ist gut darin, Probleme auf den Punkt zu bringen. So
kennt sie das Wort „[1][Tsundoku]“. Tsundoku hat nichts mit Zahlenrätseln
zu tun (das sind Sudokus), vielmehr bezeichnet der Begriff das Anhäufen von
Büchern. Er setzt sich zusammen aus den japanischen Zeichen für „etwas
vorrätig haben“/„stapeln“ und „lesen“.
Das Phänomen Tsundoku kenne ich sehr gut, denn ich gehöre zu den
Buch-Hochstaplern. Jede Menge Druckwerke liegen knie- bis oberschenkelhoch
in meinem Wohnzimmer und neben dem Bett. In den Großteil der Bücher lese
ich nur kurz rein, einige landen irgendwann noch eingeschweißt im Regal
(was zu verwunderten Nachfragen von Besuchern führt), geschätzte zehn
Prozent davon lese ich wirklich von vorne bis hinten durch. Für
Tsundokuisten ist gerade Hochsaison: Es ist Bücherherbst, Buchmessenzeit.
Oder auch: erhöhte Stapelgefahr.
Die [2][Schriftstellerin und Journalistin Marlen Hobrack] hat gerade ein
Buch darüber geschrieben, wie ihre kürzlich verstorbene Mutter Dinge in der
Wohnung gehortet hat („Erbgut. Was von meiner Mutter bleibt“), zum Beispiel
Putzmittel, Steppdecken, Vitaminpillen. Wir Bücherstapler würden es
wahrscheinlich weit von uns weisen, mit dieser Art des Hortens in
Verbindung gebracht zu werden. Dabei tun wir mit der geistigen Nahrung
zwischen den Buchdeckeln nichts anderes: Wir heben sie auf für eine Zeit,
die vielleicht nie kommt.
Wahrscheinlich wird Tsundoku auch deshalb zum Teil pathologisiert.
Einerseits verständlich, denn es scheint sogar rationaler, Putzmittel
anzuhäufen – Haushalt ist immer –, als Gedrucktes hochzustapeln, das man
allein aus zeitlichen Gründen wohl nie wird lesen können. Andererseits
liegt im Buchanhäufertum etwas zutiefst Menschliches.
Man bescheißt sich selbst („irgendwann werde ich Zeit und Muße haben“) und
will jederzeit Zugriff haben auf etwas, das den Horizont jenseits des
eigenen kleinen Raumes erweitert. Und es passiert ja auch tatsächlich, dass
man Bücher nach vielen Jahren des Patinaansetzens vom Herumstehen erlöst
und noch einmal zur Hand nimmt. Nur ist das eben der Ausnahmefall.
Zum Glück bin ich dieser Tage, während der Buchmesse, direkt umgeben von
der wohl größten Tsundoku-Selbsthilfegruppe der Welt. Mögen wir zusammen
lernen, etwas tieferzustapeln.
19 Oct 2024
## LINKS
[1] https://utopia.de/ratgeber/tsundoku-kaufst-du-mehr-buecher-als-du-lesen-kan…
[2] /10-Geburtstag-des-Blogs-10-nach-8/!6034366
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
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