# taz.de -- Die Wahrheit: Wir basteln uns eine Buchmesse | |
> Warum sentimental werden, wenn in Frankfurt die wichtigste Veranstaltung | |
> der Buchbranche ausfällt? Es gibt doch einen Ersatz. | |
So, ich dachte nämlich, ich wäre froh, zu Hause auf dem Klo statt auf der | |
Buchmesse in Frankfurt oder wo. Leider merke ich jetzt schon | |
Ausfallerscheinungen wegen des Buchmessen-Ausfalls. Zum Beispiel fange ich | |
plötzlich an zu reimen, obwohl ich das nicht kann, mein lieber Mann. Damit | |
es nicht noch schlimmer wird, basteln wir uns in diesem Jahr eine Buchmesse | |
für daheim. | |
Wir brauchen – was, Bücher? Keineswegs, eine Buchtapete als Hintergrund | |
genügt völlig. Davor sind unbequeme Stühle zu drapieren oder besser noch | |
Stehpulte ohne jede Sitz- und Anlehngelegenheit. Unbedingt grelles Licht | |
von allen Seiten. Die Heizung lassen wir auf Hochtouren laufen, aber | |
veranstalten gleichzeitig einen garstigen Durchzug. | |
Dann bestellen wir ein paar Freunde ins Haus und rennen mit ihnen auf dem | |
Flur durcheinander, wobei wir Prospektstapel fallen lassen und beim | |
Einsammeln die Köpfe aneinanderschlagen. Dazu rufen wir: „Wenn große | |
Geister sich treffen“ und „Mensch, toll, dich zu sehen, habe dich echt | |
vermisst!“, winken kurz und rennen weiter. Falls die Freunde schlecht | |
instruiert sind und uns ein Gespräch aufzwingen wollen, gucken wir starr | |
über ihre Schulter hinweg, hören nicht zu und brüllen irgendwann: | |
„Entschuldigung! Ich habe gleich einen Termin!“ | |
Von der Arztpraxis bestellen wir ein Sortiment Erkältungsviren mit einer | |
Prise Corona, die wir mit Hilfe eines Ventilators gleichmäßig im Raum | |
verteilen. Dazu servieren wir uns warmen, sauren Wein, den wir nur trinken, | |
weil wir ihn nicht bezahlen müssen. Auf die naheliegende Idee, uns | |
stattdessen guten, kühlen Wein zu kaufen, den wir uns sehr wohl leisten | |
könnten, kommen wir nicht, weil auf unseren selbstgedruckten Messeausweisen | |
ein „Schnorrer!“-Stempel pappt, und den muss man sich schließlich jedes | |
Jahr neu sauer verdienen. | |
Deshalb sind wir sehr froh, dass wir die Restbestände der staubigen | |
Buchmesse-Trockenkeks-Edition vom vergangenen Jahr für beinahe umsonst nach | |
Hause geliefert bekamen. Das Backwerk wurde mit dem Edelstaub | |
geschredderter Werkausgaben verfeinert, was uns freut, weil uns auf der | |
Buchmesse jeder Quatsch freut und umgehend zum kulturellen Erbe erklärt | |
wird. | |
Für den Abend verabreden wir uns in überfüllten Restaurants, die es in | |
meiner Provinz allerdings gar nicht gibt, was aber egal ist, weil | |
Verabredungen auf der Buchmesse sowieso nie zustande kommen. Deshalb können | |
wir einander stattdessen stundenlang mit wunderbar kryptischen | |
Kurznachrichten bombardieren, die hauptsächlich von der Autokorrektur | |
erschaffen wurden: „Der tschechische Übersetzer ist total Yogatennis! | |
Herzlich, Ihre Susanne Fischereihafenrestaurant.“ | |
Am Ende verlassen wir das Haus, schütten eimerweise Kunstregen über uns | |
aus, feiern den Buchvertrag, den mein Smartphone bekommen hat, und stolpern | |
betrunken durch – was, Frankfurt? Keineswegs, eine Skyline-Tapete genügt. | |
14 Oct 2020 | |
## AUTOREN | |
Susanne Fischer | |
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