# taz.de -- Intendant übers Theaterspielen: „Meiner Mutter war's peinlich“ | |
> Theater hat Franz Breit früh fasziniert. Im Interview erzählt er, wie er | |
> es von der Eifel nach Hamburg kam und warum er gerne den König spielt. | |
Bild: Gold und Glitter schätzt Franz Breit hier in seinem Theater durchaus | |
wochentaz: Wann haben Sie Ihre Freude am Theater entdeckt, Herr Breit? | |
Franz Breit: Meine Mutter hat mich ins Theater nach Trier mitgenommen. Das | |
war für uns eine Weltreise. Ich bin sechs Jahre in eine Dorfschule in der | |
Eifel gegangen, wo alle sechs Klassen in einem Raum saßen. Theater war da | |
in weiter Ferne. Meine Mutter hatte in die Eifel geheiratet und kam | |
gebürtig aus Castrop-Rauxel. Für sie waren regelmäßige Theaterbesuche | |
normal. Als ich dann in Trier das Märchen „Peterchens Mondfahrt“ gesehen | |
habe, wusste ich, dass ich rauf auf die Bühne wollte. | |
Hat man Sie in Castrop als Kind vom Dorf auch belächelt? | |
Die Familie dort hat alles für uns gemacht. Aber wenn ich eine getragene | |
Jacke bekam, kam immer noch so ein Satz wie: „Für die Eifel ist das ja gut | |
genug.“ Man war halt der arme Verwandte. | |
Wie groß war das Dorf, in dem Sie aufgewachsen sind? | |
280 Einwohner, mehr war das nicht. Ich habe das geliebt, ich liebe es immer | |
noch. Aber wenn ich länger als zwei Tage dort bin, will ich wieder nach | |
Hause, nach Hamburg in mein Theater. | |
Was war es für eine Kindheit? | |
Wir Kinder waren sehr selbstständig. Meine Familie hatte eine | |
Landwirtschaft, nichts riesengroßes, drei Kühe und was da noch so kreucht | |
und fleucht. Man musste nach der Schule mithelfen. Wir haben alles mit | |
Kühen gemacht, bis 1964 der Traktor gekommen ist. Dann musste man immer mit | |
den zwei rechten Rädern vom Traktor in der Furche fahren. Das kann ein | |
sechsjähriges Kind, aber ich kam nicht ans Gaspedal. Da kam ein Klotz unter | |
den Fuß, zwei Einmachgummis drum herum – und dann kamst du auch ans Gas | |
unten dran. | |
Wie leicht war für Sie der Sprung von der Dorfschule zum Theater? | |
Nach der Schule hieß es: „Was willst du machen? Theater? Da musst du erst | |
mal einen Beruf erlernen.“ Das hat mir eingeleuchtet. Bei der | |
Berufsberatung sagte ich dann: „Ich will Koch werden.“ Da hieß es: „Das | |
geht nicht. Keine Stelle frei. Aber wir haben eine Lehrstelle als | |
Konditor.“ Das habe ich gemacht, mit Gesellenbrief, und heute nach über 50 | |
Jahren habe ich immer noch einen guten Kontakt zu der damaligen | |
Juniorchefin bei meiner alten Lehrstelle. Jetzt ist sie Seniorchefin und | |
geht auf die 90 zu. | |
Aber das Theater haben Sie nicht aus den Augen verloren? | |
Nie, zu keinem Zeitpunkt. Aber ich habe sehr schwer gearbeitet, um an einer | |
Privatschule Gesang zu studieren. Dann ging es über regelmäßige Auftritte | |
an einer Freilichtbühne zu den Theatern. Immer als Freiberufler. | |
Wie fanden Ihre Eltern Ihre Laufbahn? | |
Mein Vater ist früh gestorben, der hat das nicht mehr so miterlebt. Meine | |
Mutter war in jeder meiner Vorstellungen, wenn sie zum Besuch kam. Meiner | |
Mutter war das am Anfang sogar peinlich. „Ich kann den Leuten im Dorf doch | |
nicht erzählen, das du am Theater bist.“ Aber sie war in allen meinen | |
Vorstellungen und hat die Zeitungsausschnitte dazu aufgehoben. | |
Sie waren im Theater zuerst Sänger. Wie sind Sie vom Gesang zum | |
Kindertheater gekommen? | |
Als Sänger ist man ja zeitlich eingeschränkt. Wenn die Stimme nicht mehr | |
mitmacht, muss man sich nach etwas anderem umsehen. Und das frühzeitig, ehe | |
man am Theater gegangen wird. Das ist ein sehr harter Beruf. Sie brauchen | |
neben der Stimme Glück. Sie müssen einen festen Willen haben, sie müssen | |
kerngesund sein, sie dürfen keine Allergien haben. Und am Tag, an dem sie | |
vorsingen, müssen sie neben der Stimme auch das Gesicht haben, das denen | |
gefällt. | |
Ab wann kann man nicht mehr singen? | |
Der eine früher, der andere später. Das Publikum quittiert einen falschen | |
Ton schon mal mit Buhrufen. Das finde ich persönlich ungerecht, denn jeder | |
versucht ja in der Vorstellung, alles zu geben. Aber im Sport ist es ja | |
genauso. Das muss man aushalten können, sonst darf man nicht in diesen | |
Beruf gehen. | |
Wie lief der Einstieg ins Kindertheater? | |
Ich bin für einen erkrankten Kollegen, der an einem Tourneetheater für | |
Kinder gespielt hat, eingesprungen. Das hat mir sehr gut gefallen. So gut, | |
dass ich bei diesem Theater geblieben bin und für mich da eine Möglichkeit | |
für die Zukunft gesehen habe. Allerdings mit einer eigenen Bühne, nicht als | |
Angestellter. Das habe ich dann auch gemacht. Am Anfang war alles schwer | |
und umständlich. Die Lagerräume waren über ganz Hamburg verteilt, wir haben | |
in einer Aula oder im Gemeindesaal geprobt. Aber in der Zeit ist der | |
Schauspieler, Regisseur und Autor [1][Jan Radermacher] bei uns | |
eingestiegen, das war der größte Glücksfall. Er schreibt bis heute die | |
Stücke und komponiert die Musik dazu. Er hat auch den größten Teil der | |
Bühnenbilder gebaut und gemalt. Ohne ihn wäre das Theater nie so | |
erfolgreich gewesen. Aber wir haben in der Anfangszeit alles selber | |
gemacht. | |
Was bedeutet alles? | |
Das Bühnenbild bauen und malen, Akquise betreiben, Kostüme in Auftrag | |
geben. Auf der Tournee Bühnenbild und Technik auf- und abbauen. Meine | |
Theaterbesessenheit hat mir da sehr geholfen. Ich habe mich früher an den | |
Theatern immer auch für die anderen Abteilungen wie Werkstatt, Maske und | |
Kostümschneiderei interessiert. Am Anfang habe ich auch mal selbst | |
Bühnenbilder für die Tour gemalt. Die sahen wahrscheinlich so aus, wie | |
Kinder es selbst gemalt hätten. | |
Aber irgendwann wurden Sie sesshaft mit dem Theater. | |
Wir haben im Sommer im Innenhof des Altonaer Rathauses gespielt. Da wurden | |
wir des Öfteren gefragt, warum wir kein festes Haus in Hamburg haben. In | |
Ottensen wurden wir dann fündig. Ich habe die ersten drei Jahre auch im | |
Theater gewohnt. Büro, Schlafzimmer und Wohnzimmer, alles auf 12 | |
Quadratmetern. Zu Beginn habe ich noch frühmorgens unsere Plakate in der | |
Umgebung aufgehängt. Jetzt sind wir meist ausverkauft. Aber man muss | |
ständig kämpfen und kann sich selten ausruhen. | |
Sondern? | |
Es ist immer etwas zu reparieren oder zu erneuern. Es gibt nichts | |
Schlimmeres, als wenn die Zuschauer Mitleid haben. Wenn da eine kaputte | |
Strumpfhose ist oder ein angeranztes Bühnenbild und die Leute sagen: „Haste | |
gesehen, Grete, da ist ja alles kaputt. Aber wie sollen Sie es denn noch | |
machen? Ist ja ein kleines Theater.“ Sie müssen das hier genauso behandeln | |
wie die Staatsoper. | |
Ist Ihr Blick auf Ihre Schauspieler:innen auch so streng? | |
Da wird wie in jedem anderen Beruf Leistung verlangt. Ich bin sicher | |
einzelnen Schauspielern oder Schauspielerinnen nicht so gerecht geworden, | |
wie sie es verdient hätten. Die Zeiten waren auch nicht immer einfach. Aber | |
ich bekomme heute nach all den Jahren oft Besuch von früheren Kollegen – | |
das ist ja auch meine Familie. Am Theater zu arbeiten ist ein schöner | |
Beruf! Ich hab mal an einem Theater mitgespielt, bei dem eine Premiere | |
nicht stattfinden konnte, weil der Vorhang kaputt war. Wir hatten alle vier | |
Wochen gearbeitet wie die Blöden, und an so einem Stück sind 150, 200 Leute | |
beteiligt. Dann haben wir es nur für uns gespielt und im Publikum saßen | |
auch die Platzanweiser unten und die Schneiderin. Das wird mir unvergessen | |
bleiben. | |
Wenn man hier hereinkommt, stößt man zuerst auf einen Thron und einen | |
Spiegelsaal, überall ist Gold und Glitter. Kommt Ihnen das stilistisch | |
entgegen? | |
Der Theaterbesuch soll etwas Besonderes sein. Keiner rechnet beim ersten | |
Besuch hier damit, dass es auf dem Hinterhof so etwas gibt, auch was die | |
Kostüme betrifft. Wenn ein Stück wie bei Dornröschen 17 Jahre umfasst, dann | |
ziehen sich die Protagonisten doch mal um, oder nicht? Dornröschen ist eine | |
Prinzessin. Die wird ja nicht nur ein Kleid haben. Und der König zieht sich | |
auch mal um – das hat auch etwas damit zu tun, dass ich ihn immer gespielt | |
habe. Ein König ist ein König, warum soll ich den im Straßenanzug durch die | |
Gegend laufen lassen? Ich liebe Kostüme und üppige Ausstattungen. Die | |
Kinder wollen das auch. | |
Was konnten Sie als König noch durchbringen? | |
Wir haben ein Stück, da weckt die böse Fee nachts alle im Schloss, und alle | |
kommen im Nachthemd. Ja, da hat der König aber trotzdem noch eine Krone auf | |
dem Kopf, oder nicht? So stelle ich mir das vor. Er hat die Krone doch | |
neben dem Bett auf dem Nachttisch liegen, und das Erste, was er aufsetzt, | |
ist die Krone. Wenn man Kindertheater macht, sollte man sich eine Idee von | |
der Kindheit bewahren und die Neugierde. Bloß nicht die Mottenkiste auf und | |
zu machen. | |
Was bedeutet das konkret? | |
Ein Stück muss sich ständig entwickeln. Besonders wenn man die Stücke in | |
regelmäßigen Abständen wiederholt. Ich denke mir immer, wenn wir ein Stück | |
anfangen: Wie werden die neuen Schauspieler das wohl umsetzen? Für mich als | |
Regisseur ist es wichtig, die Schauspieler erst mal etwas anbieten lassen. | |
Dann kann man immer noch eingreifen. Bei der Probe lachen sich alle tot und | |
bei der Vorstellung lacht kein Mensch. Da fragt man sich oft, woran es | |
liegt. | |
Aber man erfährt es nie – man kann das Publikum ja schlecht fragen. | |
Wenn ich Leute drin habe, die ich kenne, frage ich sie. Es macht mich | |
verrückt, wenn ich im Stück eine Pointe habe, die nicht zündet. Kinder | |
haben da auch eine eigene Denke. Dann kommt es auch darauf an, ob sie mit | |
dem Kindergarten kommen oder mit den Eltern oder Großeltern. | |
Warum? | |
Sie sind viel freier, wenn sie mit der Schule oder Kita unter sich sind. | |
Mit den Eltern, besonders mit einigen Großeltern, ist das so eine Sache. Da | |
gibt es im Vorfeld schon Hinweise: „Wenn das schlimm wird, sag Bescheid, | |
oder wenn es zu laut wird oder zu leise – dann geht Oma mit dir raus.“ Ich | |
glaube, dass man den Kindern heutzutage viel zu wenig zutraut. Man kann sie | |
ja nicht ewig beschützen, man muss sie auch mal laufen lassen. | |
Ich stelle mir vor, dass man als jemand, der für Kinder spielt, | |
ungeschützter ist, weil die Reaktionen unvorhersehbar sind. | |
Unsere Stücke dauern maximal 50 Minuten. Es kann schon mal passieren, dass | |
Kinder nach 40 Minuten etwas unruhiger werden. Es kommt ja auch darauf an, | |
ob Kinder mit Theaterbesuchen vertraut sind. Ich bin schon erschrocken, | |
wenn es Kinder gibt, die fragen, ob die Menschen auf der Bühne echt sind. | |
Würden die Kitas und Schulen nicht die Theaterbesuche organisieren, würden | |
einige Kinder nie ein Theater von innen sehen. | |
Was tun Sie denn, wenn es laut wird? | |
Ich sage den Schauspielern: Wenn die Kinder laut werden, liegt es meistens | |
daran, dass sie nicht gut zu verstehen sind. Das kenne ich aus dem | |
Musiktheater. Wenn Sie nicht deutlich sprechen und nicht interpretieren | |
beim Singen, dann sagen die Leute nach zwei Minuten: „Jetzt haben wir ja | |
alles gesehen.“ Wieso sollen sie noch zuhören, wenn sie den Text nicht | |
verstehen. | |
Kennen die Kinder, die hierherkommen, die Grimmschen Märchen noch? | |
Die Klassiker kennen die Kinder noch. Man muss sie auch nicht total | |
modernisieren, so dass die Prinzessin mit einer Jeanshose rumläuft und | |
sagt: „Den Prinzen find ich geil.“ Aber man muss auch nicht mehr sagen: | |
„Nun geh denn hin.“ Was aber zusätzlich kommt, ist der Gedanke: Darf ich | |
mich noch über einen dicken Koch lustig machen, so wie er in Dornröschen | |
vorkommt? Passt das noch in die heutige Zeit, wenn der König sagt: „Ich | |
brauche einen Schwiegersohn, ich habe nur eine Tochter, die kann nicht | |
Königin werden“? | |
Wie gehen Sie damit um? | |
Wir versuchen, es zu umgehen. Im tapferen Schneiderlein zum Beispiel sucht | |
der Vater händeringend einen Schwiegersohn, damit er jemanden hat, der das | |
Land regieren kann – er traut es der Tochter gar nicht zu. Deshalb habe ich | |
als König gesagt: „Endlich habe ich einen Schwiegersohn, der mit dir | |
zusammen das Land regieren kann.“ Wenn man Märchen spielt, gerade Grimm, | |
dann muss man sie ernst nehmen. Das war das große Problem in den 70er, 80er | |
Jahren. Da wurde etwas in die Stücke hineininterpretiert und die wurden | |
dadurch total verfälscht. Das gab es auch im Musiktheater, besonders in der | |
Operette. | |
Was hat man verfälscht? | |
Man hat versucht, die Inszenierungen für jüngere Leute attraktiver zu | |
machen, indem man es total verkitscht und damit nicht ernst genommen hat. | |
Sie müssen sich mit den Charakteren in den Stücken auseinandersetzen. Das | |
ist jetzt nicht einfach gut, gut, böse, böse. Ein gutes Beispiel ist im | |
Märchen das Rumpelstilzchen. Er kommt ja boshaft rüber, wenn er, wie von | |
der Königin leichtsinnig versprochen, ihr Kind haben möchte. Warum? Er hat | |
große Schätze angehäuft, er kann zaubern, aber er ist sehr einsam. Und | |
deshalb sagt er dann: „Etwas Lebendiges ist mir lieber.“ Das ist rührend | |
und darauf muss die Szene aufgebaut werden. | |
Was ist Ihnen noch wichtig für Ihr Theater? | |
Durch den Zuschuss der Stadt Hamburg, den wir seit einigen Jahren bekommen, | |
können wir zusätzliche Vorstellungen auch für kleinere Gruppen spielen. | |
Unser Theater wird gern von Gruppen besucht, die in anderen Theatern | |
Schwierigkeiten haben, etwa Kinder, die nicht in der Lage sind, ruhig einer | |
Vorstellung zu folgen. Oder wir spielen nur für fünf, sechs Kinder mit | |
Beatmungsgeräten, die in riesigen Rollstühlen sitzen. Wir können hier alles | |
ausräumen und wir machen das auch. | |
22 May 2024 | |
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[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Radermacher | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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