# taz.de -- Film „Challengers“ mit Zendaya: Spiel ums Wagen und Wollen | |
> Gut gelaunt und gut gebaut: In Film „Challengers“ spielt Regisseur | |
> Guadagnino die Regeln des Verlangens unter Tennisprofis durch. | |
Bild: Geht es um die Spielregeln, gibt Tashi sie eindeutig vor | |
Zeit für leichte Dehnübungen, ein wenig Warmlaufen und allem voran: | |
Lockermachen. Luca Guadagninos jüngstes Werk schlägt im Kino auf – und | |
wider allen Erwartungen, die sich aus dem bisherigen Schaffen des | |
italienischen Regisseurs ergeben, handelt es sich um einen Sportfilm. In | |
„Challengers“ dreht sich alles um Tennis. | |
Von der Oberfläche aus betrachtet zumindest. Darunter, und das will weitaus | |
besser zur filmischen Neugier des [1][„Call Me by Your Name“]-Schöpfers | |
passen, schwelt allerdings ein provokatives Porträt eines Liebesdreiecks. | |
Wenn die Umschreibung „Sport“ eine bedeutende Bagatellisierung dessen | |
darstellt, worum es hier im Kern wirklich geht, führt das große Wort | |
„Liebe“ allerdings nicht weniger in die Irre. | |
Denn wer, diese Frage stellt sich schnell, liebt hier überhaupt wen? Fragt | |
man nach dem Was, stößt man leichter auf Antworten: Patrick ([2][Josh | |
O’Connor]) liebt den Reiz schöner Frauen und damit indirekt auch das Spiel | |
um Tashis (Zendaya) Aufmerksamkeit. Tashi liebt Tennis und damit indirekt | |
auch Menschen, die Tennis zu spielen wissen. Und Art (Mike Faist) liebt das | |
Leben, das er sich zusammen mit Tashi aufgebaut hat, und damit wohl | |
indirekt auch sie. | |
Er ist jedenfalls der Einzige, der die magischen drei Worte im Laufe der | |
über zweistündigen Spielzeit tatsächlich auch ausspricht. In einer Szene, | |
die sich zu Beginn der Handlung ereignet, in der Gegenwart des Jahres 2019, | |
als das Dreiecksverhältnis zwischen den drei professionellen Tennisspielern | |
bereits der Vergangenheit anzugehören scheint. Art ist mit Tashi | |
verheiratet, sie haben eine gemeinsame Tochter und leben dank seines | |
Erfolgs als Sportstar im Luxus. | |
Genauer gesagt, ist es ein gemeinsames Verdienst. Tashi, einst selbst | |
überaus vielversprechende Nachwuchssportlerin, hat sich nach einer | |
Verletzung ganz dem Trainieren ihres Ehemannes verschrieben. Nun allerdings | |
droht die kometenhafte Karriere ihres Gatten und „Grand Slam“-Gewinners | |
nach einer schmerzlichen Serie an Niederlagen zu einem jähen Ende zu | |
kommen. | |
## Leidenschaft zurückgewinnen | |
Wohl auch aufgrund seines rasanten Leistungseinbruchs erwidert Tashi dessen | |
beinah flehentlich vorgebrachte Gefühlsbekundung mit einem schlichten „Ich | |
weiß“. Es wirkt wie eine weitere Demütigung, nachdem sie Art zuvor | |
verkündete, dass sie ihn ausgerechnet bei einem sogenannten „Challenger“ in | |
einem verschlafenen Sportclub in New Rochelle anmelden möchte. Als | |
höchstens zweitrangiges Qualifizierungsturnier für größere Wettkämpfe liegt | |
das eigentlich weit unter Arts sportlichem Niveau. | |
In Wahrheit verbirgt sich hinter Tashis Drängen auf Teilnahme aber nicht | |
nur der Versuch, Art durch ein paar leicht verdiente Siege sein | |
Selbstbewusstsein zurückgewinnen zu lassen. Sondern auch, so seine | |
Leidenschaft für den Sport wieder zu entfachen. Wichtiger noch: damit auch | |
ihre eigene, die Leidenschaft für ihn. | |
Wie das wohldurchdachte Drehbuch von Justin Kurizkes in zahlreichen | |
Sprüngen zwischen Zeiten und Tennisplätzen mit großer Lust am Verwirrspiel | |
ganz allmählich herausarbeitet, kommt es Tashi als treibender Kraft dieses | |
Films immerzu auf sie, die leidenschaftliche Hingabe, an. Egal ob in | |
sportlichen oder sexuellen Kontexten – wobei in „Challengers“ das eine | |
ohnehin niemals recht vom anderen zu trennen ist, sondern ineinander | |
übergeht, sich sogar gegenseitig bedingt. | |
## Grenzen überschreiten | |
Was Luca Guadagnino in seinem neuen Film also vollzieht, ist eine | |
formvollendete Studie des Verlangens. Erneut, muss man hinzufügen, | |
schließlich kehrt der Filmemacher so doch zur Essenz dessen zurück, was | |
seine sinnlichen Leinwanderkundungen schon in der Vergangenheit | |
auszeichnete. | |
Sei es das Sehnen des jungen Elio (Timothée Chalamet) nach dem deutlich | |
älteren Oliver (Armie Hammer) in „Call Me by Your Name“ oder der sexuell | |
konnotierte Hunger zweier [3][verliebter Kannibalen in seinem zuletzt | |
erschienenen Horrordrama „Bones and All“]: Das Wollen hat bei Luca | |
Guadagnino stets einen größeren Wert als das Haben, das Begehren eine | |
größere Bedeutsamkeit als das Besitzen. Umso mehr, wenn es Grenzen | |
überschreitet. | |
So wiegt der Verlust weniger schwer, als aus Angst vor der Niederlage | |
vorzeitig aufzugeben. Seien es die bitteren Tränen des Elio nach der | |
Trennung von seiner ersten großen Liebe oder das Verzehren des eigenen | |
Liebhabers in besagter Kannibalen-Romanze: Was zählt, das vermittelt das | |
Werk des Filmemachers mit gebührender Dringlichkeit, ist, etwas gewagt zu | |
haben. Etwas zumindest eine kurze Zeit über mit jeder Faser des eigenen | |
Körpers wahrlich gewollt zu haben. | |
Der leichtfüßige Hedonismus, mit dem „Challengers“ das Spiel des Wollens | |
und Wagens wortwörtlich Punkt um Punkt durchexerziert, stellt für Luca | |
Guadagnino allerdings ein Novum dar. Neuerlich eröffnet durch Patrick, den | |
eine ehemalige enge Freundschaft mit Art verbindet, aber auch ein | |
unerbittlicher Wettstreit um Tashis Aufmerksamkeit. Über eine Dekade zuvor | |
ging er siegreich aus dieser Rivalität hervor und wurde ihr fester Freund. | |
Nachdem er es mangels nötigen Ehrgeizes niemals an die Spitze des | |
Profitennis gebracht hat, nimmt Patrick nun ausgerechnet ebenfalls am | |
Qualifizierungsturnier in New Rochelle teil – und steht Art selbstredend in | |
einem nervenaufreibenden Finale gegenüber. | |
## Innovative Kamera | |
Um diese Wettkampfszenen möglichst elektrisierend zu gestalten, werden | |
innovative Techniken eingesetzt: Mal scheint es, als würde die Kamera sich | |
auf dem fliegenden Ball um sich selbst drehen, dann, als wäre sie direkt | |
auf den Tennisschlägern. | |
Während die einstigen Kumpel, respektive Konkurrenten, unerbittlich um den | |
Punktsieg kämpfen und sich Tashi auf der Tribüne wohl gleichermaßen um die | |
sportliche Zukunft wie ihre – fest damit verbundene – Ehe sorgt, fördern | |
Flashbacks die gemeinsame Vergangenheit der drei zutage. | |
Wie sich zeigt, reichte ein Windstoß, um ein Jahre umspannendes Spiel des | |
gegenseitigen Anziehens und Abstoßens ins Rollen zu bringen: Just nachdem | |
Art und Patrick 2006 selbst zusammen das Juniorendoppel der „US Open“ | |
gewannen, werden sie nicht nur Zeuge von Tashis augenscheinlich noch | |
größerem sportlichen Können. Ein kurzes Wehen hebt auf dem Platz ihren Rock | |
an, woraufhin beide jungen Männer nicht anders können, also fortan um sie | |
herumzutänzeln. | |
„Challengers“ tänzelt diesen von kleinen Intrigen begleiteten Balztanz | |
munter mit und bewegt sich in seiner schaubegierigen Bildsprache immerzu | |
lustvoll auf der Linie zum Aus, überschreitet sie aber niemals nachhaltig. | |
Noch bevor sich der Eindruck festsetzen könnte, dass ausgerechnet Zendaya | |
als weibliche Hauptdarstellerin rein auf ihre Körperlichkeit reduziert | |
wird, zeigt sich: Bei der visuellen Exposition der Mitglieder dieser | |
sinnesfrohen Ménage-à-trois lässt Luca Guadagnino generelle | |
Gleichberechtigung walten. | |
Geht es wiederum um deren Spielregeln, gibt diese ohnehin eindeutig Tashi | |
vor, und das schon seit dem gemeinsamen Kennenlernen auf einer opulenten | |
Sponsorenparty zu ihren Ehren nach besagtem Sportevent. Als sie den beiden | |
Männern nach unbeholfenen Anmachversuchen des draufgängerischen Patrick und | |
den zumindest etwas gehaltvolleren Gesprächsansätzen des zurückhaltenderen | |
Art wider Erwarten auf das gemeinsame Hotelzimmer folgt, lässt sie sich | |
zwar auf einen ausgiebigen Kuss zu dritt ein. Aus diesem zieht sie sich | |
jedoch genüsslich zurück, sodass die beiden verbleibenden jungen Männern | |
ihn ungewollt alleine einige Augenblicke fortführen. | |
Zudem unterbreitet sie ihnen, dass nur der ihre Handynummer erhalten soll, | |
der am nächsten Tag als Sieger aus dem Einzelturnier hervorgeht. Damit sind | |
indirekt auch die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten ihres | |
Dreiecksverhältnisses gesetzt: Wer gewinnt, hat ihre Aufmerksamkeit. | |
## Pulsierende Venen, ekstatische Gesichter | |
Was wie eine kleine Koketterie anmutet, lässt sich erneut auf das Leitmotiv | |
des Films zurückführen: Tashi lebt vom Wollen und kann an ihrer Seite nur | |
akzeptieren, wer ebenso viel will wie sie und damit ihr Wollen weiter | |
nährt. In der Ergründung dieser Volatilität des Verlangens schwingt | |
allerdings auch eine homoerotische Komponente mit. | |
Die Frage, ob die Liebe zu dritt nicht auch eine denkbare Variante wäre, | |
würde gay panic dem nicht im Wege stehen, stellt sich immer wieder, wenn | |
„Challengers“ den Wandel des wechselseitigen Wollens im Verlauf von zwölf | |
Jahren in von reichlich Schweiß getränkten Vignetten herausarbeitet. In | |
unzähligen Nahaufnahmen studiert die Kamera Sayombhu Mukdeeproms | |
([4][„Suspiria“]) die athletischen Körper, seziert in Slow Motion | |
angespannte Arme und Schenkel, pulsierende Venen und ekstatische Gesichter. | |
Während des Tennisspielens, wohlgemerkt. Sex selbst ist in „Challengers“ | |
angesichts der Tatsache, wie sexuell aufgeladen seine Inszenierung doch | |
ist, erstaunlich wenig zu sehen. | |
Wie sehr Luca Guadagnino am Verwischen der Grenzen interessiert ist, zeigt | |
auch der Musikeinsatz: Der treibende Techno von Trent Reznor und Atticus | |
Ross ist sowohl im Wettbewerb auf dem Platz als auch in Wortgefechten | |
abseits davon zu hören. Es geht eben doch immer um das eine: die | |
Leidenschaft. Dass sie es ist, die auch im Re-Match zwischen Art und | |
Patrick obsiegt, ist das Einzige, was am Ende dieses mindestens so | |
gutgelaunten wie gutaussehenden Films zählt. | |
23 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Arabella Wintermayr | |
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