| # taz.de -- Ein Jahr nach dem Atomausstieg: Atomkraft? Vermisst die jemand? | |
| > Am 15. April 2023 gingen die letzten drei deutschen AKWs vom Netz, | |
| > begleitet von Ängsten vor Blackouts und Teuerungen. Was davon ist | |
| > eingetreten? | |
| Bild: Ging als eines der drei letzten Atomkraftwerke in Deutschland vor einem J… | |
| Freiburg/Berlin taz | Die [1][Debatte über Atomenergie] hört nicht auf. | |
| Auch weil diese allgemein als relativ klimafreundlich gilt: Im Vergleich zu | |
| Kohle- und Gaskraftwerken verursacht sie weniger CO₂-Emissionen. Selbst im | |
| [2][IPCC-Bericht wird Kernenergie deshalb trotz ihrer Risiken als | |
| Möglichkeit erwähnt, zumindest einen kleinen Teil des Energiebedarfs | |
| emissionsarm] zu decken. Als am 15. April 2023 die drei letzten deutschen | |
| Atomkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 vom Netz gingen, | |
| nutzten Kritiker:innen des Ausstiegs auch dieses vermeintliche | |
| Klimaschutzargument als Vehikel, um das Abschalten der nuklearen | |
| Stromerzeugung generell infrage zu stellen. Daneben gab es eine Reihe von | |
| Befürchtungen rund um die Versorgungssicherheit. Nach 12 Monaten lässt sich | |
| nun eine erste Bilanz ziehen. | |
| Wurde der wegfallende Atomstrom durch Kohle und Gas ersetzt? | |
| Nein. Die öffentliche Nettostromerzeugung aus fossilen Energien lag in den | |
| letzten zwölf Monaten bei 155 Milliarden Kilowattstunden (Terawattstunden, | |
| TWh). In den zwölf Monaten vor dem Atomausstieg waren es 210 TWh gewesen. | |
| Diese Zahlen hat das [3][Fraunhofer ISE im Rahmen seiner Energy-Charts] | |
| aufbereitet. Der CO₂-Wert des deutschen Strommixes, den das Umweltbundesamt | |
| für 2022 noch auf 434 Gramm pro Kilowattstunde bezifferte, ist 2023 trotz | |
| Atomausstieg auf unter 400 Gramm gesunken. | |
| Woher kommt es, dass der Strommix in Deutschland emissionsärmer geworden | |
| ist? | |
| Zum einen durch die erneuerbaren Energien, die binnen Jahresfrist um gut 32 | |
| TWh zulegten und damit rein von der Summe her den wegfallenden Atomstrom | |
| (29,5 TWh) kompensierten. Zugleich [4][sank aber auch der Stromverbrauch im | |
| Land um rund 2 Prozent]. Hinzu kommt die Umkehr der Exportbilanz: In den | |
| zwölf Monaten vor dem Ausstieg exportierte Deutschland per Saldo noch 21 | |
| TWh, nach dem Ausstieg betrugen die Nettoimporte 23 TWh. [5][Deutschland | |
| deckt heute also rund 5 Prozent seines Strombedarfs durch Importe]. | |
| Welche Rolle spielt der Atomstrom aus Frankreich für Deutschland? | |
| Natürlich bekommt Deutschland auch Strom aus Frankreich, denn es liegt im | |
| Wesen des europäischen Strommarkts, dass alle Länder mit ihren Nachbarn | |
| Strom handeln. Die Menge zu definieren, ist aber schwer, weil Deutschland | |
| auch Transitland ist – da wird manches zur Definitionsfrage. Wenn zum | |
| Beispiel Österreich Strom in Frankreich kauft, der durch Deutschland | |
| fließt, taucht dieser hierzulande in der Statistik als Import aus | |
| Frankreich und zugleich als Export nach Österreich auf. Rein physikalisch | |
| importiert Deutschland dann Atomstrom, den es selbst aber gar nicht | |
| braucht. Deswegen sollte man lieber auf den Stromhandel schauen, also | |
| darauf, in welchen Ländern Deutschland den hier verbrauchten Strom | |
| einkauft. Das war 2022 zum großen Teil [6][Dänemark, mit Abstand folgten | |
| Norwegen, Schweden und die Niederlande]. | |
| Warum kauft Deutschland aktuell zunehmend französischen Atomstrom ein? | |
| Weil die französischen Kraftwerke zuletzt weniger oft ausfielen als in den | |
| Jahren zuvor. So erreichte die französische Atomstromerzeugung im ersten | |
| Quartal 2024 den höchsten Stand seit drei Jahren. Dadurch fielen die | |
| Börsenpreise des Stroms in Frankreich wieder unter die deutschen Preise, | |
| was zu höherem Export nach Deutschland führte. Die Exportmuster folgen eben | |
| exakt den Strompreisen des Großhandels: Bei Dunkelflaute importiert | |
| Deutschland zumeist Strom, bei viel Wind oder viel Sonne, wenn folglich der | |
| Strompreis hierzulande niedrig ist, ist Deutschland Exporteur. | |
| Was wurde aus der Befürchtung, dass der Atomausstieg Strom in Deutschland | |
| deutlich verteuern würde? | |
| Der Einfluss des Atomausstiegs auf die Marktpreise ist gering, denn die | |
| Entwicklung wird von erheblich gewichtigeren Faktoren geprägt: Das Wetter | |
| hat heute durch Photovoltaik und Windkraft einen so deutlichen Einfluss auf | |
| die kurzfristigen Notierungen, dass der Wegfall der Atomkraft im Vergleich | |
| dazu untergeht. Zudem prägt auch der Gaspreis ganz erheblich den Strompreis | |
| an der Börse, weshalb dieser für Deutschland im ersten Quartal 2024 | |
| deutlich niedriger war als im ersten Quartal 2023. Mitunter versuchen | |
| Atomkraftgegner die gesunkenen Großhandelspreise an Spot- und Terminmärkten | |
| gar mit dem Atomausstieg zu begründen, doch das ist unseriös – Ursache ist | |
| schlicht der deutlich gesunkene Gaspreis, der den Einsatz der Gaskraftwerke | |
| wieder erheblich verbilligt hat. | |
| Ist die Gefahr eines Blackouts gestiegen? | |
| 2022, als die letzten drei Atomkraftwerke noch liefen, mussten Haushalte | |
| nach Angaben aus dem Bundeswirtschaftsministerium im Schnitt 12,2 Minuten | |
| ohne Strom auskommen, der zweitniedrigste Wert seit 2006. Damals waren noch | |
| 17 AKWs am Netz. Daten für 2023 liegen noch nicht vor. Bisher gleichen | |
| Stromnetz und konventionelle Kraftwerke Schwankungen aus. Sollte über einen | |
| längeren Zeitraum weder Wind wehen noch genug Sonne scheinen, wird es eng. | |
| Denn große Stromspeicher fehlen immer noch, das Netz muss ausgebaut werden. | |
| Stimmt es, dass große Teile der Welt auf Atomkraft setzen, während | |
| Deutschland ausgestiegen ist? | |
| [7][Ankündigungen zum Neubau von Reaktoren gab und gibt es in diversen | |
| Ländern] zwar immer wieder, einige Projekte wurden auch realisiert. Doch in | |
| der weltweiten Bilanz konnten die neuen Atomkraftwerke gerade mal den | |
| Wegfall alter Reaktoren ersetzen. Die globale Erzeugung von Atomstrom liegt | |
| deswegen nach wie vor etwa auf dem gleichen Niveau wie schon vor 20 Jahren. | |
| Da zugleich der Stromverbrauch weltweit gestiegen ist, sank der Anteil der | |
| Atomkraft am internationalen Strommix kontinuierlich. Im Jahr 2022 lag er | |
| nur noch bei 9,2 Prozent, dem niedrigsten Wert seit 40 Jahren. Photovoltaik | |
| und Windkraft erzeugen zusammen weltweit inzwischen mehr Strom als die | |
| Atomkraft. | |
| Wie wahrscheinlich sind neue, kleinere AKW-Typen? | |
| Viele existieren bisher nur auf dem Papier. Experten wie Christian von | |
| Hirschhausen von der Technischen Universität Berlin [8][erwarten marktreife | |
| Anlagen frühestens in vier Jahrzehnten]. Und die meisten erzeugen Atommüll. | |
| Was passiert mit dem bestehenden Atommüll? | |
| Die rund 27.000 Kubikmeter hochradioaktiver Abfälle aus deutschen AKWs | |
| sollen tief in der Erde verstaut werden, wo er für Zigtausende Jahre sicher | |
| sein soll. Ein [9][geeigneter Standort wird gesucht], er wird frühestens in | |
| 20 Jahren festliegen. Derzeit lagert der Atommüll mehrerer Jahrzehnte | |
| Betrieb an den Kraftwerken und in den Zwischenlagern Ahaus und Lubmin. | |
| 14 Apr 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernward Janzing | |
| Björn Hartmann | |
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