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# taz.de -- Abschaltung deutscher Atomkraftwerke: Rasanter Anstieg der Stromimp…
> Britische Analysten sehen Deutschland inzwischen als zweitgrößten
> Nettoimporteur Europas. Doch nicht alle Experten teilen diese
> Einschätzung.
Bild: Die fossilen Kraftwerke werden durch den Zuwachs an erneuerbaren Energien…
Berlin taz | Deutschlands Netto-Stromimport wird sich in diesem Jahr
gegenüber dem Vorjahr verdreifachen – diese Prognose veröffentlichte jetzt
das britische Beratungshaus [1][Icis]. Nachdem Deutschland im Jahr 2023
noch knapp zwölf Milliarden Kilowattstunden (Terawattstunden, TWh) per
Saldo importierte, sei für 2024 mit einem Anstieg auf 38 TWh zu rechnen.
Wenn das so käme, würden rund sieben Prozent des deutschen Strombedarfs von
Kraftwerken im Ausland gedeckt.
Allerdings sehen nicht alle Marktbeobachter einen so großen
Stromimportsaldo auf Deutschland zukommen. [2][Mirko Schlossarczyk],
Geschäftsführer des Berliner Beratungsunternehmens Enervis, rechnet sogar
damit, dass der Importsaldo in diesem Jahr eher zurückgehen wird, als dass
er weiter ansteigt.
Letztlich hänge die Import-Export-Bilanz aber an vielen Faktoren wie etwa
dem Wetter, das die Erzeugung aus erneuerbaren Energien prägt. Auch der
Stromverbrauch und die Preise von Kohle, Erdgas und CO2 haben einen großen
Einfluss auf die Erzeugung – und damit auf die grenzüberschreitenden
Lastflüsse.
Wegen der Vielschichtigkeit des europäischen Strommarkts lassen sich manche
Beobachter der Branche auf eine Prognose gar nicht erst ein. Der Thinktank
Agora Energiewende, der sonst mit Szenarien zur deutschen Energiewirtschaft
immer schnell bei der Hand ist, teilte auf Anfrage mit, er nehme bezüglich
des Stromimports keine Abschätzungen vor.
## Stein- und Braunkohlekraftwerke gehen vom Netz
Die Marktbeobachter von Icis jedoch sehen Deutschlands Weg vorgezeichnet:
Nachdem das Land in den vergangenen zehn Jahren innerhalb Europas der
zweitgrößte Nettoexporteur von Strom war (nach Frankreich), habe es binnen
nur zwei Jahren seine Rolle zum zweitgrößten Nettoimporteur gewandelt –
hinter Italien. Dass die Stromimporte im Jahr 2024 gegenüber dem Vorjahr so
massiv steigen werden, liege daran, dass im laufenden Jahr in Deutschland
mehr als zehn Gigawatt an Stein- und Braunkohlekraftwerken vom Netz gehen
werden, so Icis.
Und auch der Wegfall der letzten drei deutschen Atomkraftwerke, die im Jahr
2023 noch knapp 7 TWh zur hiesigen Stromerzeugung beitrugen, hat natürlich
Auswirkungen auf die Importbilanz, weshalb unter anderem
Wirtschaftsverbände und Unionspolitiker eine Rückkehr zur Atomkraft
fordern.
Die Icis-Importprognose basiert allerdings auf der Annahme, dass die
[3][französischen Atomkraftwerke] 2024 wieder eine höhere Verfügbarkeit
haben als in den vergangenen beiden Jahren. 2022 hatte deren Erzeugung auf
dem niedrigsten Stand seit mehr als 30 Jahren gelegen. Steigt die Erzeugung
französischer Atomkraftwerke – Icis nimmt ein Plus von elf TWh gegenüber
dem Vorjahr an – würde der Atomstrom auch fossile Stromerzeugung in
Nachbarländern verdrängen – und Deutschland damit höhere Importe bescheren.
Die fossilen Kraftwerke werden zugleich durch den Zubau an erneuerbaren
Energien in Europa zurückgedrängt. Die britischen Marktbeobachter rechnen
mit zusätzlich 33,4 Gigawatt an Photovoltaik und 17,4 Gigawatt an Windkraft
im Jahr 2024.
Damit steige die Erzeugung aus diesen beiden Quellen gegenüber dem Vorjahr
um 106 TWh. Ein Betrieb der bestehenden deutschen Kohlekraftwerke sei damit
in vielen Stunden nicht mehr kostendeckend möglich, weshalb die Kraftwerke
ihre Erzeugung auf die Stunden mit hohen Strompreisen beschränkten.
Entsprechend weist Branchenkenner Schlossarczyk darauf hin, dass ein
Stromimportsaldo Deutschlands nicht zwangsläufig ein Indiz dafür sei, dass
es hierzulande an Kraftwerken fehlt oder dass Kapazitätsengpässe
existieren: „Der deutsche Strommarkt ist Teil eines vernetzten,
integrierten europäischen Strombinnenmarkts“, sagt er. Dies führe „aus
Effizienzgesichtspunkten“ dazu, dass Strom importiert wird, wenn die
Kraftwerke im Ausland Deutschland kostengünstiger versorgen können als die
heimischen Kraftwerke.
Das heißt: Selbst wenn Icis recht behalten sollte und der deutsche
Importüberschuss dieses Jahr drastisch ansteigt, wäre das zwar ein
Politikum – aber noch kein Indiz für fehlende eigene (Atom-) Kraftwerke.
3 Feb 2024
## LINKS
[1] https://www.montelnews.com/de/news/1536346/deutschland-sollte-strom-nettoim…
[2] https://enervis.de/beratungsfelder/strommarkt/
[3] /Atomkraft-in-Frankreich/!5930241
## AUTOREN
Bernward Janzing
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