# taz.de -- Atomkraft? Nicht schon wieder!: So bleiben Sie AKW-Gegner | |
> Was dabei war, Konsens zu werden, scheint zu kippen. Selbst manche Gegner | |
> zweifeln am Nein zur Atomenergie. taz.de entlarvt die häufigsten | |
> Pro-Argumente der AKW-Debatte. | |
Bild: Die alten Buttons und Ballons können wieder aus dem Keller geholt werden | |
Atomkraft ist Teufelszeug. Davon sind Sie überzeugt, seit Sie politisch | |
denken können. Natürlich sehen das Ihre Freunde genauso, und selbst Ihre | |
kreuzbrave Tante und Ihren stockkonservativen Schwiegervater konnten Sie | |
auf Ihre Seite bringen. Mit guten Argumenten: Harrisburg und vor allem | |
Tschernobyl haben Sie in der Überzeugung gestärkt, dass die | |
Risikotechnologie der Atomspaltung keine Zukunft hat. Zumal die Entsorgung | |
ungelöst ist. | |
Doch plötzlich ändert sich etwas. Menschen, die Sie immer für mündig und | |
intelligent hielten, denken plötzlich darüber nach, dass man vielleicht | |
doch die Laufzeiten der Atommeiler in Deutschland verlängern könnte. Manch | |
einer, der bislang klare Ansichten zum Thema Atom hatte, beginnt plötzlich | |
zu zweifeln. Und Sie fragen sich: Haben sich einige Ihrer Freunde durch die | |
Werbekampagnen der Atomlobby gehirnwaschen lassen? Kapitulieren sie vor den | |
hohen Strompreisen? Oder ist am Ende etwas dran an den Argumenten der | |
Atomkraftbefürworter? Doch Sie können beruhigt sein. Die taz erklärt Ihnen, | |
wie Sie standhafter Atomkraftgegner und standhafte Atomkraftgegnerin | |
bleiben. | |
Energie wird immer teurer. Da könne die Atomkraft helfen, denn die | |
abgeschriebenen Atomkraftwerke liefern besonders preiswerten Strom. | |
Fakt ist: Der Strompreis wird an der Strombörse gemacht. Dort bestimmt nach | |
Börsenlogik immer das teuerste Kraftwerk im Mix den Marktpreis, und das | |
sind derzeit Erdgaskraftwerke. Abgeschriebene Atomreaktoren erzeugen zwar | |
in der Tat billiger Strom als Gaskraftwerke, doch das wirkt sich auf den | |
Börsenstrom nicht aus, denn die AKW-Betreiber verkaufen auch ihren | |
Atomstrom zum Einheitspreis, der von den Gaskraftwerken bestimmt wird. Die | |
Betreiber machen riesige Gewinne mit ihren Meilern, doch den Stromkunden | |
bringen die günstigeren Erzeugungskosten nichts. | |
Zudem können RWE, Eon, Vattenfall und EnBW den Atomstrom nur deshalb | |
billiger erzeugen als den Strom aus Erdgas, weil sie die Kosten des | |
Atomstroms nicht in vollem Umfang selbst tragen. So sind die Schäden, die | |
ein Unfall verursachen kann, nur zu einem Bruchteil versichert. Müsste ein | |
AKW-Betreiber eine Versicherungspolice vorlegen, die alle denkbaren | |
materiellen Unfallschäden abdeckt, wäre (sofern sich überhaupt eine | |
Versicherung fände) die Prämie so hoch, dass der Atomstrom unrentabel | |
würde. Hier haftet also die Gemeinschaft für den vermeintlich billigen | |
Atomstrom. | |
Auch für die Entsorgung wird der Steuerzahler herangezogen - heute und vor | |
allem in Zukunft. Müsste eine Atomfirma Rücklagen bilden, um den Atommüll | |
für Jahrtausende zu sichern, wäre die Kilowattstunde unbezahlbar. Billiger | |
Atomstrom kann also immer nur heißen, dass der Steuerzahler den Strom | |
billig macht. | |
Die neuen AKW sind billiger. | |
Im Gegenteil, beim Neubau wird es noch deutlicher, dass die Meiler unter | |
rein marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht realisierbar sind: | |
Nirgendwo auf der Welt wird ein neuer Atommeiler gebaut, wenn nicht der | |
Staat dafür geldwerte Vergünstigungen oder sogar direkte Zuschüsse gibt. | |
Ohne Atomkraft sind die Klimaziele nicht zu erreichen. | |
Die Stromerzeugung durch Atomkraft senkt den CO2-Ausstoß in Deutschland | |
überhaupt nicht - vorausgesetzt, der Emissionshandel funktioniert. Denn | |
Deutschland hat im Rahmen des Kioto-Protokolls ein bestimmtes Kontingent an | |
CO2, das es in den kommenden Jahren ausstoßen darf. Unabhängig von den | |
Atomkraftwerken. Und dieses Limit wird zwangsläufig eingehalten, sofern der | |
Handel nicht unterlaufen wird. Würden die Laufzeiten der Atomkraft | |
verlängert, würden deswegen die CO2-Kontingente nicht gekürzt. Somit würde | |
nach der Logik des Emissionshandels die gleiche Menge an CO2 emittiert. | |
Eine Laufzeitverlängerung würde nur den Druck vermindern, die fossilen | |
Energien effizienter einzusetzen. Wirklich helfen würde dem Klima eine | |
Senkung des Energieverbrauchs. | |
Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist ja schön und gut, aber | |
Atomkraftwerke sind als Grundlastkraftwerke unverzichtbar. | |
Dahinter steckt ein veraltetes Denken. Bislang gibt es Grundlastkraftwerke, | |
die rund um die Uhr laufen, das sind vor allem Atomkraftwerke, aber auch | |
Kohleblöcke. Sie decken den Bedarf ab, der zur schwächsten Stunde des Tages | |
herrscht. Um die Tagesschwankungen der Nachfrage abzubilden, werden zudem | |
Mittellastkraftwerke eingesetzt, was die Kohle übernimmt. Die Spitzenlast | |
wird schließlich von Gas oder auch speicherbarer Wasserkraft abgedeckt. | |
Nachdem die Windkraft in Deutschland inzwischen von ihrer Anschlussleistung | |
her die Atomkraft überschreitet, ergibt sich die Situation, dass die | |
bisherige Grundlast an stürmischen Tagen nicht mehr gebraucht wird. Dann | |
nämlich, wenn die Windkraft den Atomstrom komplett ersetzt. Erkennbar ist | |
das an der Strombörse, wenn die Preise bei null liegen. | |
Heute ist Grundlast daher etwas anderes als noch vor zehn Jahren: Die | |
Grundlast setzt sich zunehmend zusammen aus einerseits den schwankenden | |
Erzeugern (derzeit vor allem die Windkraft) sowie flexiblen Kraftwerken, | |
die jeweils gegenläufig zur Windstromerzeugung gefahren werden. In der | |
Summe muss dann eine konstante Leistung garantiert werden. Eine solche Form | |
der modernen Grundlast aber kann kein Atomkraftwerk leisten, weil diese | |
Technik zu träge ist. Damit zeigt sich, dass gerade durch den Ausbau der | |
erneuerbaren Energien die Atomkraft immer weniger sinnvoll ins Stromnetz | |
integriert werden kann. | |
Es bringt nichts, wenn Deutschland aus der Atomkraft aussteigt. Dann wird | |
Atomstrom aus dem Ausland importiert. | |
Deutschland ist weiter denn je davon weg, zu einem Stromimportland zu | |
werden. Selbst im vergangenen Jahr, als durch Stillstand mehrerer | |
Atomkraftwerke 26 Milliarden Kilowattstunden weniger an Atomstrom erzeugt | |
wurden als im Jahr zuvor, hat Deutschland in der Gesamtbilanz noch immer | |
den Strom aus zwei Atomkraftwerken exportiert. Deutschland könnte folglich | |
fünf Atomkraftwerke dauerhaft abschalten und wäre noch immer nicht auf | |
Stromimport angewiesen. Und mit dem weiteren Ausbau der erneuerbaren | |
Energien dürfte Deutschland in diesem Jahr eine noch größere Strommenge | |
exportieren. | |
Und was die Kraftwerke im Ausland betrifft: Wenn Deutschland als ein | |
führendes Industrieland es schafft - woran kein ernsthafter Zweifel | |
bestehen kann -, ohne Atomkraft auszukommen, wird das in einigen anderen | |
Ländern Nachahmer beflügeln. Schon beim Ausbau der erneuerbaren Energien | |
haben sich Dutzende von Länder weltweit ein Beispiel an den deutschen | |
Einspeisevergütungen genommen. | |
Deutschland ist mit dem Ausstieg weltweit isoliert. Überall sonst entstehen | |
neue Atomkraftwerke. | |
Der Schein trügt. Zum einen gibt es auch in Europa einige Länder, die keine | |
Atomkraftwerke haben und an dieser Position festhalten. Österreich und | |
Dänemark etwa. Zum anderen spiegelt die Berichterstattung in vielen Medien | |
die realen Verhältnisse nicht wider, weil über Neubauten immer viel mehr | |
berichtet wird als über die Abschaltungen. Anfang 2007 zum Beispiel wurden | |
in Europa auf einen Schlag sieben Atommeiler vom Netz genommen, ohne dass | |
dies von vielen Menschen wahrgenommen wurde. Viel häufiger wird über die | |
einzigen europäischen Neubauten in Finnland und Frankreich berichtet. | |
Die AKW werden immer sicherer. Die dritte Generation von Reaktoren sorgt | |
gegen eine Kernschmelze vor, und bei der nächsten Generation wird der | |
größte anzunehmende Unfall ausgeschlossen sein. | |
Die angebliche Sicherheit der neuen Reaktoren stützt sich immer nur auf die | |
Aussagen der Atomlobby. Vor Tschernobyl wollte sie auch die Möglichkeit | |
einer solchen Katastrophe nicht wahrhaben. | |
Zudem geht es beim deutschen Atomausstieg nicht um neue Kraftwerke, sondern | |
vor allem um uralte Meiler. Die in den nächsten zwei Jahren anstehenden | |
Abschaltungen betreffen Reaktorblöcke aus den Siebzigerjahren, die auf der | |
Technik der Sechzigerjahre basieren. Diese haben, zum Beispiel was | |
Flugzeugabstürze betrifft, deutliche Sicherheitsmängel. | |
Für den Atommüll wird man schon eine sichere Lösung finden. | |
Das Problem mit dem Atommüll ist mitnichten gelöst. Bislang gibt es | |
nirgendwo auf der Welt ein sicheres Endlager für hochradioaktiven Müll. | |
Welche Probleme schon nach wenigen Jahrzehnten auftreten können, bestätigen | |
die aktuellen Vorgänge im Bergwerk Asse, wo bis in die Siebzigerjahre | |
hinein Fässer mit mittelradioaktiven Abfällen eingelagert wurden. Dort | |
gefährdet nun Wassereinbruch die Umwelt, und noch ist völlig unklar, wie | |
man mit der Atomkloake weiter verfahren wird. | |
Halten wir uns vor Augen: In Asse hat man es nicht einmal geschafft, die | |
Abfälle über drei Jahrzehnte hinweg sicher zu lagern. Faktisch jedoch muss | |
hochradioaktiver Müll für Jahrtausende sicher gelagert werden. Man stelle | |
sich vor, in der letzten Eiszeit hätte es schon Atomkraftwerke gegeben, | |
dann müssten wir heute noch über die Abfälle wachen. Kein Mensch kann | |
garantieren, dass ein geologischer Untergrund, welcher Art auch immer, den | |
Müll über so lange Zeiträume sicher einschließen kann. | |
11 Jul 2008 | |
## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
Bernward Janzing | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
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