# taz.de -- Arbeiter auf Olympia-Baustellen in Paris: Ein Stück Plastik für i… | |
> Für die Olympischen Spiele im Sommer baut Paris neue Stadien. Viele | |
> Migranten arbeiten dort ohne Papiere. Doch sie wollen raus aus der | |
> Illegalität. | |
Bild: Auf den olympischen Baustellen in Paris werden Arbeiter*innen ausgebeutet | |
PARIS taz | Eigentlich sollte es ein Pressetermin im kleinen Kreis werden, | |
kein großes Ding: Die Eröffnung der Adidas Arena, einer Art Mehrzweckhalle | |
für Sport-Events und Konzerte, eigens für die Olympischen Spiele im Norden | |
von Paris errichtet. | |
„Guckt sie euch an, sie tragen Anzüge und Krawatten“, ruft ein junger Mann | |
mit erhobenen Armen und deutet abwechselnd auf die Gäste am Eingang und das | |
Gebäude. „Die können hier eine Besichtigung machen, aber wir, wir haben das | |
hier aufgebaut!“ Wenige Meter neben ihm steht eine Gruppe von etwa 30 | |
Menschen mit Bannern. „Keine Papiere? Keine Olympischen Spiele!“, | |
skandieren sie. So kann man es [1][auf einem Video vom 11. Februar] sehen. | |
Ein Stück Papier, beziehungsweise ein Stück Plastik – darum geht es hier. | |
Denn viele Bauarbeiter*innen [2][auf den olympischen Baustellen] haben | |
keinen legalen Aufenthaltsstatus in Frankreich. Sie nennen sich | |
„Papierlose“ und haben in diesem Zustand kaum Rechte. | |
„Vergesst nicht, dass wir hier jahrelang ausgebeutet wurden“, ruft der Mann | |
weiter. „Deshalb sind wir hier! Und wir gehen nicht weg.“ Peinlich berührt | |
über diesen unerwarteten Auftritt lassen die Verantwortlichen der Adidas | |
Arena Gitter aufstellen, um den Mini-Mob wenigstens vom Eingang | |
fernzuhalten, durch den ja jetzt die Prominenz laufen soll: unter anderem | |
die [3][Bürgermeisterin Anne Hidalgo], der Adidas-CEO von Europa, der | |
Präsident von Paris Basketball, Pressevertreter. | |
Doch die Demonstrant*innen wollen sich nicht fernhalten lassen, drängen | |
mit ihren großen Transparenten nach vorne, umrunden die noch nicht ganz | |
aufgestellten Gitter und postieren sich noch näher an den Eingang. Die | |
Störung der Eröffnung ist Teil eines seit Monaten andauernden, hartnäckigen | |
Kampfes der Arbeiter*innen für ihre Rechte, dessen Ausgang noch | |
wegweisend sein könnte. | |
Makha Diaby war bei der Protestaktion am 11. Februar dabei. Er hat mit | |
eigenen Händen die Adidas Arena mit aufgebaut, hat dort bis Juli 2023 | |
Schleif- und Malerarbeiten verrichtet. Der milliardenschwere Mega-Konzern | |
Bouygues, ein Bau- und Telekommunikationsunternehmen, beauftragte für den | |
Bau des Stadions mehrere Subunternehmen, die wiederum Menschen ohne | |
Aufenthaltsstatus mit falschen Papieren auf der Baustelle arbeiten lassen. | |
Makha Diaby ist einer von ihnen. | |
„Wir haben kaum Ausrüstung bekommen. Handschuhe, Kleidung, Schuhe… Das | |
mussten wir alles selbst kaufen“, erzählt Diaby der taz. Obwohl man auf der | |
Baustelle Sicherheitsschuhe benötige, kämen viele in günstigen, selbst | |
gekauften Sneakers. Niemand kontrolliere das. Bei den Klebe- und | |
Malerarbeiten, erklärt Diaby, brauche es wegen der giftigen Gase Masken. | |
Die hätten sie zwar manchmal erhalten, aber: „Wir sollten so eine Maske | |
drei Tage in Folge benutzen, obwohl man eigentlich jeden Tag eine neue | |
braucht. Manchmal sagen sie auch: Nehmt halt ein Taschentuch.“ Einzig den | |
Schutzhelm habe man verlässlich zur Verfügung gestellt bekommen. | |
Diabys Job ist keine informelle Arbeit im eigentlichen Sinne – sondern ein | |
verbreitetes, im Stillen geduldetes System: „Unter Alias arbeiten“, nennt | |
sich das. Es funktioniert so: Diaby hat einen Bekannten, nennen wir ihn X, | |
der mit legalem Aufenthaltsstatus in Frankreich lebt. Diaby meldet sich auf | |
der Baustelle mit dem Namen seines Bekannten X, erhält Lohnabrechnungen auf | |
dessen Namen, und auch sein Gehalt geht auf das Konto von X. Dass Diaby gar | |
nicht dieser X ist, sei ein offenes Geheimnis, interessiere die Unternehmen | |
aber offenbar nicht, erzählt Diaby. So machten es viele Bauarbeiter*innen. | |
Und da viele in ähnlicher Notlage wie Diaby sind, kommt es manchmal vor, | |
dass X seinen Namen noch einem weiteren „papierlosen“ Bekannten leiht. | |
Es ist schwer vorstellbar, dass die Behörden von derartigen Fällen nichts | |
mitbekommen: Wenn drei Menschen auf die Papiere von X Vollzeit arbeiten, | |
arbeitet X – den Papieren zufolge – 24 Stunden am Tag. Der Staat spart | |
damit Geld: Die drei Gehälter, die bei X eingehen, werden versteuert. Alle | |
drei zahlen also ins System ein. Anspruch auf Krankenkasse, | |
Arbeitslosenhilfe oder Rente hat aber nur einer von ihnen, nämlich X. | |
In einem solchen System können sich die Beschäftigten aus dieser | |
unfreiwilligen Illegalität heraus nur sehr schlecht gegen niedrige Löhne | |
und Regelbrüche wehren. Diaby sagt: Nach dieser Besteuerung durch die | |
Lohnabrechnung von X blieben 50 bis 60 Euro am Tag übrig. An einem | |
8-Stunden-Tag sind das etwa 7 Euro die Stunde, was deutlich unter dem | |
französischen Netto-Mindestlohn von 9,22 Euro liegt. | |
Die Olympischen Spiele sollen 2024 ein Glanz für Frankreich und seine | |
Hauptstadt sein. Ein Aushängeschild. „Wir sind gerade dabei, das Abenteuer | |
des Jahrhunderts zu erleben“, schwärmte Präsident Emmanuel Macron bei der | |
Eröffnung des Olympischen Dorfs am 29. Februar, das ein paar Kilometer | |
weiter nördlich von der Adidas Arena liegt. | |
Doch hinter den Kulissen glänzt nichts. [4][„Es gab immer so viel Kritik an | |
Katar], als dort die WM stattfand“, sagt ein anderer Bauarbeiter der taz. | |
Er heißt Mody Diawara. „Aber auch hier gibt es Probleme.“ Der 38-jährige | |
Malier ist bei einem anderen Megaprojekt tätig: dem Ausbau der Metrolinie | |
14. Eine selbstfahrende Metro, die den Flughafen Orly mit dem Pariser | |
Stadtzentrum verbinden soll – in nur 14 Minuten statt wie bisher etwa einer | |
Stunde. Damit alles noch schneller und unkomplizierter für den | |
internationalen Besuch läuft. | |
Für Diawara selbst läuft es dafür umso komplizierter. „Ich lebe und arbeite | |
seit sechs Jahren in Frankreich“, erzählt er, „und hatte trotz harter | |
physischer Arbeit noch nie Urlaub.“ Mody Diawara ist aus Mali gekommen, | |
weil dort Krieg herrscht und sein Geschäft zerstört wurde. Obwohl die | |
französische Armee selbst in Mali im Einsatz ist, hat Diawara in Frankreich | |
kein Asyl erhalten. | |
Hier in Paris ist Diawara in mehreren Kollektiven organisiert. Bei den | |
„Sans Papiers de Montreuil“, aber seit 2019 auch bei den Gilets Noirs, den | |
„Schwarzwesten“. Der Name ist eine Referenz auf [5][die Bewegung der | |
„Gelbwesten“], die 2018 Autobahnen blockierten und über Monate | |
Massenproteste gegen soziale Ungerechtigkeit organisierten. Die Gilets | |
Noirs dagegen sind ein Zusammenschluss aus vornehmlich eingewanderten | |
Menschen, die meisten ohne Papiere, sowie ihren Unterstützer*innen. | |
Für die Gilets Noirs ist klar: Der Glanz rund um Olympia ist auch ein Hebel | |
für den Kampf der Bauarbeiter*innen. Politik und Unternehmen reagieren | |
sensibler auf Druck, weil sie die Olympischen Spiele möglichst störungsfrei | |
über die Bühne bringen wollen. Weil sie sich keine Verspätungen mit dem Bau | |
von olympischen Projekten leisten können. | |
Die Idee: Gerade jetzt ist der Moment, für so viele Angestellte wie möglich | |
eine Legalisierung des Aufenthaltsstatus zu fordern. Die Baustelle der | |
Adidas Arena wird zum Ort des Protests auserkoren. Hier soll gestreikt und | |
besetzt, hier sollen für die Belegschaft flächendeckend legale Papiere | |
erkämpft werden. Zu dieser Idee kommt es im Sommer 2023. Ein Marathon der | |
Mobilisierung von unten hat seitdem seinen Lauf genommen. | |
Mody Diawara und Makha Diaby erzählen der taz unabhängig voneinander von | |
dieser Zeit. Als Maler in der Adidas Arena und ebenfalls Mitglied der | |
Gilets Noirs hat Makha Diaby eine Schlüsselposition. Er und ein weiterer | |
Mitstreiter haben den besten Zugang, um die insgesamt 27 Kolleg*innen | |
auf der Arena-Baustelle für den Protest zu gewinnen. Aber: „Selbst auf der | |
Baustelle hatten wir Angst, die Leute anzusprechen, weil wir nicht allen | |
vertraut haben. Ich wusste ja nicht, ob jemand hinter meinem Rücken dem | |
Chef erzählen würde: Der da plant gerade einen Aufstand gegen dich. Das | |
hätte sehr schlecht ausgehen können.“ | |
Wer als Papierloser seinen Job verliert, steht mit völlig leeren Händen da | |
– ohne jegliche Absicherung. Ein Jobverlust kann im Nu zu Obdachlosigkeit | |
oder gar zu Abschiebung führen. Deshalb wird Makha Diabys wirklicher Name | |
in der taz nicht genannt. Auch sein Herkunftsland in Westafrika wird hier | |
aus Sicherheitsgründen geheim gehalten. Trotz der bedrohlichen Lage nimmt | |
Diaby für die Mobilisierung seinen ganzen Mut zusammen, spricht mit | |
Kolleg*innen. Die Resonanz bleibt aber erst einmal verhalten. Anfangs | |
wollten sich nicht alle am Protest beteiligen. Diaby konnte nur wenige | |
Arbeiter*innen auf seiner Baustelle überzeugen. „Viele hatten einfach | |
Angst.“ | |
Mody Diawara bestätigt: „Wir haben alle Angst, wir Papierlosen. Ständig.“ | |
Allein die Gefahr einer Abschiebung lasse niemandem Ruhe. Im Sommer und | |
Herbst 2023 ist Mody Diawara auf zahlreichen anderen Baustellen außerhalb | |
der Adidas Arena unterwegs, geht zu gleichgesinnten Organisationen, schafft | |
Vernetzung. Eingewanderte mit und ohne Papiere sollen sich an der Besetzung | |
der Baustelle beteiligen, um den Druck zu erhöhen. | |
Auch ein paar gebürtige Französ*innen werden kommen – doch worum es hier | |
geht, ist klar: Dies ist eine Selbstermächtigung der Papierlosen. „Um sie | |
zu überzeugen, bei diesem Streik mitzumachen, habe ich versucht, sie zu | |
bestärken, und gesagt: Es ist unser Recht zu streiken, auch ohne | |
Aufenthaltsstatus. Es ist unser Recht.“ | |
Die Vernetzungstreffen sind eine logistische Herausforderung: Jeder | |
Diskussionsbeitrag muss in mehrere Sprachen übersetzt werden, da nicht alle | |
Teilnehmer*innen Französisch beherrschen. Die CSP – Koordination der | |
Papierlosen –, aber auch Gewerkschaften nehmen teil. Ein Tag wird | |
festgelegt: der 17. Oktober 2023. | |
Als der Tag gekommen ist, sind die Besetzer*innen ab sechs Uhr morgens | |
auf der Baustelle, erzählt Mody Diawara. „Wir waren mehr als 150 Leute!“ | |
Das Sicherheitspersonal ist gegen die Menge machtlos. Die | |
Besetzer*innen versperren den Zugang zur Baustelle – so kann die Firma | |
nicht überprüfen, wer genau von den Angestellten am Streik teilnimmt. | |
Um 9 Uhr treffen schließlich eine Reihe von Verantwortlichen ein: ein | |
Vertreter des Mega-Konzern Bouygues, ein Vertreter der drei Subunternehmen, | |
sowie ein Vertreter der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Dass sie noch | |
am selben Morgen zum Gespräch kommen, verdeutlicht, unter welchem Druck | |
Konzernvertreter und Politik stehen, wenn es um die Olympischen Spiele | |
geht. In anderen Situationen wäre womöglich eine gewaltsame Räumung durch | |
die Polizei angeordnet worden. | |
Die Besetzer*innen der Baustelle schicken Vertreter*innen der | |
verschiedenen Kollektive nach vorne. Mody Diawara geht als Delegierter des | |
Kollektivs der „Papierlosen von Montreuil“ mit in die Verhandlung. „Die | |
haben alles versucht, sie haben versucht uns auszutricksen, uns zu | |
zerquetschen“, erzählt er. Doch das Protestbündnis bleibt hart. „Wir haben | |
denen klargemacht: Wir gehen hier nicht weg“, erzählt Diawara. | |
Die Verhandlungen dauern Stunden. Es werden Pausen gemacht, Dinge | |
rückgesprochen, Gespräche wieder aufgenommen. Gegen 17 Uhr erhöhen die | |
Demonstrierenden den Druck. Unterstützer*innen, die bis jetzt bei der | |
Arbeit waren, kommen vorbei. Auch auf Social Media wurde mobilisiert. Es | |
wird voller auf der Baustelle der Adidas Arena. So schildern es Diwara und | |
Diaby, und so kann man es auf Bildern sehen. | |
Die Forderung an die Stadt und die Unternehmen: eine sofortige | |
Legalisierung aller papierlosen Angestellten, die auf der | |
Adidas-Arena-Baustelle arbeiten und gearbeitet haben. Tatsächlich liegt | |
dies nicht nur in den Händen der Stadt, sondern auch der Arbeitgeber, die | |
den Angestellten dafür entsprechende Unterlagen aushändigen müssen. | |
Die Kollektive fordern außerdem: Alle, die in den vergangenen drei Monaten | |
ihre Arbeit auf der Baustelle beendet haben oder in den kommenden drei | |
Monaten beenden werden, müssen ebenfalls legalisiert werden. Nur so sind | |
sie sicher, dass eine Einigung nicht mit Kündigungen umgangen wird. „Wir | |
haben gesagt: Entweder ihr akzeptiert, oder wir bleiben hier“, erzählt Mody | |
Diawara. Die Androhung eines Sit-in über Nacht habe den Geschäftsmännern | |
Angst gemacht. Wenig wäre wohl peinlicher als ein unfertiges Stadion zu | |
Beginn der Spiele Ende Juli. | |
14 Stunden nach Beginn der Besetzung, gegen 20 Uhr, willigen Rathaus und | |
Arbeitgeber ein – und unterschreiben eine Einigung. Ein Papier gegen die | |
Papierlosigkeit. Es ist ein ermutigender Sieg. „Am Anfang haben nur fünf, | |
sechs Leute von der Baustelle aktiv beim Streik mitmachen wollen“, | |
berichtet Diaby, der als Maler zu denjenigen gehört, die bald ihre Papiere | |
erhalten sollen. „Nach dieser Aktion waren wir mindestens zwanzig.“ | |
Doch der Kampf wird noch weitergehen müssen. Makha Diaby erhält von seinem | |
Arbeitgeber alle Unterlagen, die er zur Legalisierung in Frankreich | |
braucht. Mitte Februar ist er allerdings immer noch papierlos. Seit Monaten | |
bekommen weder er noch seine Mitsteiter*innen einen Termin bei der | |
zuständigen Polizeipräfektur, um den Prozess abzuschließen. Die Betroffenen | |
unterstellen bewusste Schikane. Im Dezember besetzen sie die Baustelle | |
erneut. Am 11. Februar dann die Störaktion bei der Eröffnungsfeier der | |
Adidas Arena. | |
Weil auch das nichts bringt, demonstrieren sie rund zwei Wochen später vor | |
dem Gebäude der zuständigen Polizeipräfektur. Die wiederum gibt sich | |
gegenüber über taz schweigsam. Erst nach mehrmaliger Nachfrage, warum die | |
Männer noch nicht wie versprochen ihre Papiere bekommen haben, heißt es, | |
man „wisse nicht, ob es darauf eine Antwort gebe“. Man habe dazu „keine | |
weiteren Informationen“. | |
Die Papierlosen und ihre Unterstützer*innen lassen derweil nicht | |
locker. An einem Nachmittag Mitte Februar trifft Mody Diawara am Platz der | |
Republik in Paris ein und begrüßt dort per herzlichen Handschlag seine | |
Mitstreiter*innen. Jeden Freitagnachmittag trifft sich hier das Kollektiv | |
„Koordination der Papierlosen“ (CSP) – seit Jahren schon. Das wöchentlic… | |
Treffen dient der Vernetzung, dem Austausch, dem Kennenlernen von | |
Gleichgesinnten, Menschen, die neu in Frankreich sind und ihre Rechte nicht | |
kennen. Man steht in kleinen Grüppchen und redet, berät, bringt sich auf | |
den neuesten Stand, fragt sich, wie es geht. | |
Manche von ihnen haben nach vielen Jahren in Frankreich mittlerweile einen | |
legalen Aufenthaltsstatus, wie zum Beispiel Mari-Am Sidibé. „Ich komme | |
hierher, um weiter zu unterstützen“, sagt sie der taz. Demnächst reist sie | |
nach Rouen, um dort weitere Papierlose zu beraten, wie sie sich in einem | |
Kollektiv organisieren können. Diawara erzählt den Mitstreiter*innen | |
von den Gilets Noirs, vom Stand des Kampfes rund um die Adidas Arena. Wie | |
jeden Freitag rufen die etwa 50 Menschen zu einer kleinen Demonstration für | |
ihre Einbürgerung auf. | |
Indessen steht die Hülle der Adidas Arena. Innen werden die Bauarbeiten von | |
anderen Arbeiter*innen fortgeführt. Haben sie bessere | |
Arbeitsbedingungen als Diaby und seine Mitstreiter*innen? Die taz trifft | |
einige der Beschäftigten, als sie durch einen Gang von ihren Wohncontainern | |
auf die Baustelle kommen. Auf die Bedingungen angesprochen, sagt einer von | |
ihnen knapp, es sei „hart“ und dass er von sechs Uhr morgens bis spät | |
bleiben müsse. | |
Doch die meisten wollen nichts sagen: Aufpasser laufen herum, von denen | |
einer dann auch mit etwas allzu aufgesetzter Höflichkeit zu verstehen gibt, | |
dass Journalist*innen hier nicht erwünscht sind. Lieber mit Termin, | |
damit man vorbereitet sei, schiebt der Mann mit gezwungenem Lächeln | |
hinterher. Es sei eben alles noch nicht fertig, wie man sieht, die Fotos | |
lieber löschen, und wenn Sie dann bitte … man begleite dann jetzt auch | |
gerne bis zum Ausgang, sehr erfreut, auf Wiedersehen. | |
Draußen rauscht der Verkehr. Brücken, breite Straßen und Schienen | |
überkreuzen sich in einem vielarmigen Geflecht. An der Metrostation Porte | |
de la Chapelle im Norden von Paris verläuft auch der „Périph“, der | |
Autobahnring, der Paris wie eine Grenze umrundet: innen die Stadt, außen | |
die „Banlieues“, die Vorstädte. | |
Ein Obdachloser liegt mit nach hinten übergekipptem Oberkörper mitten auf | |
dem Bürgersteig vor einem Zebrastreifen. Um ihn herum sind kleine | |
Habseligkeiten zerstreut, die in ihrer Anordnung die Richtung eines Sturzes | |
nachzeichnen. Beim Überqueren der Straße weichen die eilenden | |
Fußgänger*innen ihm und den Gegenständen wie bei einem Slalom aus. | |
In den Fastfoodläden und Bäckereien sind die Preise für Pariser | |
Verhältnisse sehr günstig. Nach Glamour und Gentrifizierung sieht es hier | |
nicht aus. Noch nicht. Die Politik will dieses Viertel für das | |
internationale Publikum aufpolieren, das im Sommer – am 26. Juli wird die | |
Eröffnungsfeier sein – aus aller Welt zu den Spielen nach Paris kommen | |
wird. | |
Ein paar Schritte weiter klaffen deshalb aufgerissene Bürgersteige und | |
Straßen. Die bisherige brüchige Teerfläche soll durch glattes Pflaster | |
ersetzt und mit üppigen Grünflächen versehen werden. Ein | |
„Vorher-nachher“-Schild zeigt, wie idyllisch es in Zukunft hier aussehen | |
soll. Viele der Bauarbeiter*innen, die hier für diese Idylle bohren, | |
hämmern, schleppen und tragen, sind schwarz. Ob auch sie eingewandert und | |
papierlos sind, ist nicht feststellbar. Wie in der Arena laufen hier | |
Aufpasser herum, es lässt sich kein Gespräch führen. | |
Mody Diawara, seit sechs Jahren im Bauwesen tätig, sagt: Auf allen | |
Baustellen gebe es einen Anteil an Papierlosen. Zahlenmäßig überprüfen | |
lässt sich das nicht. Doch es drängt sich der Verdacht auf: Die | |
prachtvollen olympischen Bauten und die Infrastruktur rundherum werden | |
häufig von Menschen errichtet, denen kein Asyl, keine Rechte und keine | |
faire Bezahlung gewährt werden. Die 27 von der Adidas Arena, die auf ihre | |
Legalisierung warten, sind nur ein winziger Teil eines vermutlich riesigen | |
Ausbeutungsmechanismus. Sie wissen nur eins: dass sie nicht lockerlassen | |
werden. | |
5 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=5Bw-w47b7tE | |
[2] /Olympische-Spiele-in-Paris-2024/!5944119 | |
[3] /Neuer-Pariser-Klimaschutzplan/!5974984 | |
[4] /Arbeitsbedingungen-in-Katar/!5893489 | |
[5] /Prozess-gegen-Gelbwesten-in-Frankreich/!5756894 | |
## AUTOREN | |
Lea Fauth | |
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