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# taz.de -- Pilotprojekt in Berliner U-Bahn: Eine saubere Verdrängung
> In einem Pilotprojekt wollen die Verkehrsbetriebe in der Linie U8 für
> mehr Sicherheit und Sauberkeit sorgen. Es ist eine Kampagne mit
> Beigeschmack.
Bild: Platz machen für die Sauberkeit in der U8
U-Bahn-Fahren in Berlin ist nicht immer schön. Wer so noch vor ein paar
Wochen an einer beliebigen Neuköllner oder Kreuzberger Station der Linie U8
ausgestiegen ist, wäre dort wahrscheinlich gleich auf einen wohnungslosen
Menschen gestoßen, der sich auf einer Bank eingerichtet hat. Oder auf
Junkies, die sich ihren morgendlichen Schuss setzten.
Das ist eben Großstadt, mag man meinen. Doch selbst
Hauptstadt-Bewohner:innen haben die U8 gemieden, [1][wie der
Fahrgastvertreter der taz erzählte.]
Doch seit einem Monat glänzt die berüchtigte Drogen-Hotspot-Bahn in Berlin.
Statt nach Zigarettenrauch riecht es im Untergrund nach Reinigungsmitteln.
Die Bänke auf den Bahnsteigen sind verdächtig leer. Dafür gibt es mehr
Bewegung – alle sind auf dem Weg von A nach B, niemand verweilt mehr hier.
Die unterirdischen Gänge atmen wieder und strotzen nur so vor Sauberkeit
und Sicherheit.
Denn seit einem Monat läuft [2][ein Pilotprojekt der Berliner
Verkehrsbetriebe] (BVG). Reinigungskräfte und Sicherheitspersonal sollen
rund um die Uhr für mehr Sicherheit und Sauberkeit auf den U8-Stationen
sorgen.
Was schon auch anerkannt wird von Kund:innen. Dass sie sich jetzt auf den
Weg zur Arbeit freue, erzählt eine U8-Nutzerin der taz, da sie keine
Drogenabhängigen und Spritzen mehr herumliegen sehe.
Na endlich. Ein bisschen Sauberkeit in dieser schmutzigen Hauptstadt. Und
als ob das nicht schon genügend gute Nachricht wäre: Das Projekt wurde
sogar mit einem sozialen Versprechen besiegelt. „Die Reinigungsstreifen
sind ein Projekt für, nicht gegen Menschen“, sagt Jannes Schwentu,
BVG-Pressesprecher, der taz.
## Das Spiel durchschaut
„Für die Menschen“ stiegen so auch diese Woche zwei BVG-Sicherheitsbeamte
an einer Station aus der Bahn. Sie richteten ihre Aufmerksamkeit auf eine
augenscheinlich wohnungslose Frau im Rollstuhl und gingen zielstrebig auf
sie zu. Die Frau hatte das Spiel bereits durchschaut und flüchtete schnell
in die U-Bahn. Sie hinterließ einen sicheren und sauberen Bahnhof, der aber
auf einmal üblen Nachgeschmack hatte.
„Für die Menschen“? Für die, die öffentliche Verkehrsmittel als
Transportmittel nutzen, vielleicht. Für die, die U-Bahnhöfe als
Zufluchtsort in einer für wohnungslose Personen unsicheren Stadt nutzen,
definitiv nicht.
Die U-Bahn-Stationen sind für manche eben ein Schutzraum [3][vor Wetter und
Kälte.] Und sie dienen auch als zentraler Ort für Streetwork. „Die
Verlagerung und Vertreibung machen unsere Arbeit extrem schwierig“, sagt so
Moritz Speiser, Straßensozialarbeiter für wohnungslose Menschen in
Neukölln, der taz. Die mühsame und langfristige Beziehungsarbeit, die
Sozialarbeiter:innen mit diesen Menschen aufgebaut haben, wurde aber
mit den „Reinigungsstreifen“ zerstört.
Der üble Beigeschmack des Pilotprojekts wird durch die neue Drogenpolitik
des Berliner Senats noch verstärkt. Während die Verkehrsbetriebe 700.000
Euro für ihr Reinigungsprojekt ausgegeben haben, erwägt der Senat gerade,
900.000 Euro für die Drogen- und Suchthilfe in der Hauptstadt zu streichen.
Denn in Berlin muss mal wieder gespart werden.
Natürlich kann die BVG da nichts für. Aber man fragt sich, was die Anstalt
des öffentlichen Rechts mit diesem nicht ganz billigen Pilotprojekt
eigentlich bezwecken will. Denn wenn die Mittel für die
Sicherheitsschichten erst aufgebraucht sind, werden die Bahnhöfe schnell
wieder genauso aussehen wie vor der Reinigungswelle.
Viel sinnvoller wäre es gewesen, gleich in eine nachhaltige Drogen- und
Suchtprävention zu investieren. Das wäre wirklich etwas „für die Menschen�…
gewesen.
19 Mar 2024
## LINKS
[1] /Berliner-Nahverkehrslobbyist/!5995820
[2] /Sauberkeit-in-der-Berliner-U-Bahn/!5989121
[3] /Obdachlosigkeit-in-Berlin/!5995139
## AUTOREN
Clara Suchy
## TAGS
Wochenkommentar
Obdachlosigkeit
Verdrängung
Sicherheit
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