# taz.de -- „Innovationsbahnhof“ Kottbusser Tor: Manche Probleme löst man … | |
> Ist es okay, wenn die BVG Drogenabhängige oder Obdachlose von | |
> „Problembahnhöfen“ wie den Kotti verdrängt? Die Antwort ist komplexer, | |
> als es scheint. | |
Bild: Die Securitys sollen noch empathischer werden: „Reinigungsstreife“ im… | |
Wird bald der Rauchhaus-Song in Dauerschleife laufen, um Drogenabhängige | |
vom U-Bahnhof Kottbusser Tor zu vertreiben? Zumindest ließe sich eine | |
Ankündigung der BVG so zugespitzt interpretieren. [1][Um den Kotti zum | |
„Innovationsbahnhof“ zu machen], soll neben weiteren Maßnahmen die | |
„Beschallung mit entspannter Musik mit lokalem – also Kreuzberger – Bezug… | |
getestet werden. Man kennt das aus anderen Städten, etwa vom Hamburger | |
Hauptbahnhof, wo es schon seit fast einem Vierteljahrhundert aus den | |
Lautsprechern dudelt – mit genau diesem Vertreibungszweck. | |
Ist das der weich gepolsterte Ellenbogen, mit dem die Mehrheitsgesellschaft | |
Gruppen noch weiter ins Abseits drängt, denen es ohnehin am schlechtesten | |
geht? Die akustische Version von Kotti-Wache und Görli-Zaun, von Parkbänken | |
mit Spikes oder fehlendem Mittelteil, auf denen es sich niemand allzu | |
bequem machen kann? Die Antwort kann nur „Jein“ lauten. | |
Zuallererst: Niemand sollte sich Illusionen darüber machen, dass Musik | |
Menschen vertreibt, die versuchen, sehr grundlegende Bedürfnisse wie das | |
nach einem trockenen, halbwegs warmen Ort zu befriedigen. Selbst | |
Trinker-Grüppchen, wie sie in manchen U-Bahnhöfen öfters die | |
Sitzgelegenheiten in Beschlag nehmen, werden sich von ein bisschen Mucke | |
kaum davon abhalten lassen. | |
Auch aus Hamburg hört man, dass die musikalische Berieselung eher wenig | |
effektiv war. Vielmehr haben Push- und Pullfaktoren wie Securitydienste und | |
die Schaffung alternativer Räume den Ausschlag dafür gegeben, dass die | |
„offene Szene“ vom Bahnhofsvorplatz weitgehend verschwunden ist. | |
Fragt man die BVG, will sie von musikalischer Vergrämung ohnehin nichts | |
wissen. Es gehe umgekehrt darum, den Fahrgästen das Warten und Umsteigen | |
angenehmer zu machen, sagt der Sicherheitschef der Verkehrsbetriebe. Das | |
könne wiederum den Effekt haben, dass sich andere eben nicht mehr so wohl | |
fühlten. | |
## Lichter und Spiegel | |
Aber es soll ja ein ganzes Maßnahmenbündel ausprobiert werden: Neben einem | |
„modularen Sicherheitscenter“, das wohl in der Zwischenebene des U-Bahnhofs | |
aufgebaut wird, gehören dazu eine hellere Beleuchtung, Spiegel, die | |
abgelegene Ecken einsehbar machen, und eine verstärkte Reinigung der | |
Fahrstuhlschächte, wo sich der Urin von Aufzugpinklern sammelt und stinkt. | |
Auch ein derzeit ungenutzter Ausgang soll wiedereröffnet werden, um mehr | |
Durchgangs(fuß)verkehr zu schaffen. | |
Natürlich soll all das in der Summe dazu führen, dass im Testareal Kotti | |
nicht mehr gedrückt und gesoffen, gepennt und gegrölt wird. Dass am Ende | |
ein wuseliger, aber cleaner Verkehrshub entsteht, den alle mit einem Lied | |
auf den Lippen verlassen – kann das gut sein? | |
Im vergangenen Jahr [2][übte unter anderem der Verein Gangway scharfe | |
Kritik] am Pilotprojekt „Reinigungsstreifen“, das nun verstetigt werden | |
soll und aus dem die Ideen für den „Innovationsbahnhof Kotti“ | |
hervorgegangen sind. Die kombinierten Einsätze von Putz- und | |
Kontrollkräften, die aus Sicht der Verkehrsbetriebe „ein Projekt für, nicht | |
gegen Menschen“ sind, habe durch Vertreibung wohnungsloser Menschen die | |
Arbeit der Straßensozialarbeiter „extrem schwierig“ gemacht. Denn diese | |
basiere auf Kontinuität und Vertrauen. | |
Die BVG hält dagegen, dass sie mit freien Trägern wie der Stadtmission und | |
den Johannitern gut zusammenarbeite. Wohnungslose würden nicht einfach | |
rausgeschmissen, sondern erhielten Unterstützung bei der Suche nach anderen | |
Aufenthaltsorten. Künftig würden auch alle Security-Mitarbeiter geschult, | |
um sensibler mit dem Thema umzugehen. | |
## Das Versprechen darf kein leeres sein | |
Dass da noch viel Luft nach oben ist, steht für alle, die das oft robuste | |
Auftreten der Sicherheitsdienste kennen, außer Frage. Aber: Wenn das | |
Versprechen der BVG kein leeres ist, zunehmend eng mit sozialen Trägern | |
zusammenzuarbeiten, dann ist die Verdrängung hinzunehmen. | |
Warum? Weil die so wichtige Mobilitätswende nur funktioniert, wenn die | |
Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel einigermaßen angenehm ist – und zwar | |
überall in der Stadt. Dass potenzielle Fahrgäste abgeschreckt werden, weil | |
sie sich regelmäßig unsicher oder unwohl fühlen, kann in niemandes | |
Interesse sein. | |
Und im Übrigen ist auch das Klassismus: wenn eine Gesellschaft kein Problem | |
damit hat, dass Menschen mit wenig Geld, die auf den ÖPNV angewiesen sind, | |
halt ein paar Unannehmlichkeiten hinzunehmen haben und nicht jammern | |
sollten. Alle haben es verdient, halbwegs komfortabel und sicher mobil zu | |
sein. Die Probleme, die sich aktuell in den U-Bahnhöfen ballen, müssen von | |
der Gesellschaft gelöst werden – aber besser, und anderswo. | |
17 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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