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# taz.de -- Krise der Berliner Verkehrsbetriebe: „Das wird noch mal richtig w…
> Die BVG ist ein Großsanierungsfall. Unternehmenschef Henrik Falk will die
> Probleme bis Ende 2027 in Griff kriegen – mit einer „gewissen
> Radikalität“.
Bild: „Niemand darf erwarten, dass ich das mit einem Fingerschnipsen hinkrieg…
taz: Herr Falk, Sie sind zum Januar 2024 von der Hamburger Hochbahn zur BVG
gewechselt. Wie oft haben Sie diese Entscheidung seither verflucht?
Henrik Falk: Nie, kein einziges Mal.
taz: Weil es jeden Tag aufs Neue unglaublich erfüllend ist, Kapitän auf
einem alten Tanker in schwerer Seenot zu sein?
Falk: Richtig ist, dass mir bei der Rückkehr aus Hamburg in meine
Heimatstadt Berlin zwar klar war, dass die BVG vor Herausforderungen steht.
Aber die tatsächliche Größenordnung war mir nicht bewusst. Hätte ich mir
Anfang 2024 vorstellen können, dass unsere Strategie heute „Stabilität vor
Wachstum“ heißt? Ganz sicher nicht.
taz: Wenn wir ehrlich sind, [1][haben Sie bereits zu Ihrem Amtsantritt
nicht von Wachstum gesprochen], sondern davon, noch 2024 eine
„Stabilisierung des Systems“ hinzubekommen.
Falk: Das ist kein Widerspruch. Dass es Stabilitätsthemen bei der BVG gibt,
war von Anfang an klar. Den Kurswechsel „Stabilität vor Wachstum“ haben wir
dann nach eingehender Analyse Ende 2024 eingeleitet und die Hintergründe
breit kommuniziert. Folgendes muss man dabei festhalten: Die BVG befindet
sich seit Ende des letzten Jahres im größten personellen und inhaltlichen
Umbau der jüngeren Vergangenheit. Diesen Prozess gehen wir mit aller
Entschiedenheit an.
taz: Und dann kommt das Wachstum?
Falk: Es ist selbstverständlich mein Anliegen, dass sich die BVG wieder
Zukunftsthemen widmen kann. Aber dafür braucht es halt erst mal ein
Fundament. Es wurden viel zu viele Sachen parallel gemacht, da fehlt es an
einer effizienten Aufstellung und Fokussierung im Unternehmen. Das wird
sich ändern.
taz: „Krise? Welche Krise?“, heißt es von CDU-Verkehrssenatorin Ute Bonde
über die Probleme Ihres Unternehmens, dessen Aufstellung Sie gerade als
ineffizient bezeichnet haben. Sehen Sie die Sache auch so locker?
Falk: Sagen wir so: Der Zustand der BVG ist kritisch und die Situation so,
dass sie eine gewisse Radikalität erfordert. Aber das als „Krise“ zu
bezeichnen? Da gehe ich nicht mit.
taz: Frau Bonde ist auch der Meinung, [2][die Meckerer sollten mal halblang
machen]. Anderswo fahre die U-Bahn nur alle 10, 15 Minuten. Das sei alles
eine Frage der Haltung. Wird in Berlin zu viel gejammert?
Falk: In Hamburg wird genauso viel gemeckert wie in Berlin. Dabei hat
Hamburg im Vergleich zu Berlin ein wesentlich kleineres ÖPNV-System. Da
gibt es vier U-Bahnlinien und ein Busnetz, und alles führt zum
Hauptbahnhof. Es gibt keinen S-Bahn-Ring wie in Berlin, keine Tram. Man
sollte sich immer mal wieder klar machen, wie gut ausgebaut das Berliner
System schon ist.
taz: Das ist ja schön, dass das Berliner System generell gut ausgebaut ist.
Nur fehlt es eben an Stabilität. Bleiben wir beim U-Bahn-Betrieb. Wann
läuft der wieder stabil?
Falk: Bei der U-Bahn wollen wir spätestens Ende 2027 eine Zuverlässigkeit
von 99 Prozent erreichen.
taz: Das heißt, nur 1 Prozent aller geplanten Fahrten fallen aus. [3][2024
waren es 6 Prozent.]
Falk: Ja. Es kann auch gern schneller gehen. Aber niemand darf erwarten,
dass ich das als Manager mit einem Fingerschnipsen hinkriege. Wir müssen
große infrastrukturelle Herausforderungen bewältigen. Bei der U-Bahn sind
das Hauptthema die Werkstätten. Wir bekommen jetzt bald so viele neue
Fahrzeuge, wie wir in den letzten Jahrzehnten nicht bekommen haben. Die
müssen dann alle nach einigen Jahren in die Hauptuntersuchung. Aber das
gesamte Werkstattkonzept der U-Bahn ist noch nicht da, wo es hätte sein
können. Wenn wir das bis dahin nicht hinkriegen, haben wir ein richtiges
Problem.
taz: Wann rollen denn die ersten neuen U-Bahn-Züge? Für das sogenannte
Kleinprofil, also [4][die engeren und schmaleren Tunnel auf den Linien U1
bis U4], hieß es zuletzt: nach den Sommerferien. Waren da die Berliner oder
die bayerischen Sommerferien gemeint?
Falk: Ich weiß, dass die Berliner Sommerferien am 6. September zu Ende
sind. Anschließend werden wir Schritt für Schritt die Fahrzeuge im
Kleinprofil einsetzen, die U2 wird dabei unser Fokus sein. Die Fahrerinnen
und Fahrer werden schon geschult, und der Termin für das erste Fahrzeug,
das wirklich im Fahrgastverkehr fährt, steht auch.
taz: Den werden Sie uns jetzt sicher auch nennen.
Falk: Unsere erste Fahrgastfahrt wird unmittelbar nach den Berliner
Sommerferien stattfinden. Die komplette Lieferung der 140 Kleinprofil-Wagen
wird in Rekordzeit und noch bis Ende des Jahres eingeflottet. 2026 kommt
dann das Großprofil (für die Linien U5 bis U9; Anm. der Red.), das wird
dann auch ungefähr bis Jahresende dauern. Das ist für die BVG auf jeden
Fall ein Befreiungsschlag.
taz: Und dann läuft bei der U-Bahn alles wieder rund?
Falk: Auf der U2 wollen wir noch in diesem Jahr zeigen, dass wir mit den
neuen Fahrzeugen und einem erneuerten Personalkonzept den Takt wieder
stabilisieren können.
taz: Das hilft den Fahrgästen auf der U1 wenig, die seit Längerem nicht
mehr bis zur Warschauer Straße fährt, sondern nur noch die drei Stationen
von Wittenbergplatz bis Uhlandstraße bedient.
Falk: Wir haben da definitiv ein Thema. Auf der U1 müssen wir jeden Tag
operativ entscheiden, ob wir die Züge fahren lassen oder die Fahrgäste zum
Umstieg in die U3 bitten, die wir ja verstärkt haben.
taz: In der Regel entscheiden Sie sich jeden Tag für den Stummelbetrieb.
Wann fährt die U1 wieder durch?
Falk: Wie gesagt, die Linie, auf der Sie in diesem Jahr deutliche
Verbesserungen sehen sollten, ist die U2. Dann werden wir uns weiter
vorarbeiten, und sobald wir alle neuen Fahrzeuge im Kleinprofil haben,
werden wir den Takt auch wieder einhalten können. Jetzt kommt ein Aber.
taz: Das da wäre?
Falk: Die für 2026 geplante Sanierung der Tunneldecke am U-Bahnhof
Nollendorfplatz wird den Betrieb von U1 und U3 direkt betreffen, da werden
wir Einschränkungen haben. Das wird Anfang kommenden Jahres noch mal
richtig wehtun. Aber danach wird es auch hier viel stabilere Takte geben.
taz: Wenn wir schon beim Thema „Alles wird wie neu sein“ sind. Was ist
eigentlich aus den neuen „Urbanlinern“ geworden? Die extralangen Trams
[5][sollten schon seit Anfang dieses Jahres rollen]. Zu sehen ist davon
nichts.
Falk: Die kommen auch noch dieses Jahr. Wir haben sie Mitte letzten Jahres
vorgestellt, und inklusive aller Zulassungsprozesse hat sich das Ganze
etwas verzögert. Der Unterschied ist: So sehr wir uns auf den „Urbanliner“
freuen – so eng beim Fuhrpark aufgestellt wie bei der U-Bahn sind wir bei
der Tram definitiv nicht. Ich weiß, wenn man sagt, dass etwas zu einem
bestimmten Zeitpunkt kommt, und dann kommt es nicht, ist das nicht gut.
Nichtsdestotrotz hat es nicht die Dramatik wie bei der U-Bahn.
taz: Gleiches werden Sie vermutlich zum Thema Busse sagen. Es wurde lange
versprochen, [6][dass bis 2030 die Elektrifizierung der Flotte
abgeschlossen ist]. Das wird nichts, oder?
Falk: Wir stellen einen Großteil der Busflotte Schritt für Schritt und
fokussiert auf Elektroantrieb um. Ich gehe dabei davon aus, dass wir 70
Prozent bis 2030 schaffen. Dabei ist aber der Umbau der Infrastruktur das
eigentliche Thema. Wir bauen jetzt zwei neue Betriebshöfe für E-Busse bis
2027 und können dann 550 Busse betreiben. Danach geht’s los mit der
Grundinstandsetzung der Höfe in der Müllerstraße und in Lichtenberg. Einen
Großteil der Flotte bis 2035 auf emissionsfreien Betrieb umzustellen, ist
ambitioniert, aber möglich. Ich würde aber nie zu 100 Prozent auf Elektro
umstellen, das halte ich für falsch.
taz: Wieso?
Falk: Weil wir eine Resilienz im System brauchen. Dass kritische
Infrastruktur resilient sein muss, haben wir spätestens seit dem russischen
Angriffskrieg in der Ukraine begriffen. In Krisensituationen spielt das
Bussystem eine ganz wichtige Rolle, etwa bei großen Stromausfällen. Darum
werden wir 20 bis 30 Prozent der Busflotte mit einer anderen
emissionsfreien Technologie betreiben.
taz: Welcher denn? Dem von Umweltverbänden als Mogelpackung kritisierten
HVO-Diesel?
Falk: Das werden wir sehen. Aber ja, aktuell sondieren wir HVO, also
„Hydrotreated Vegetable Oils“, einen Dieselersatz aus Altspeiseölen. Aber
ich bin auch bei E-Fuels überhaupt nicht dogmatisch, da wird es
technologische Sprünge geben. Ich weiß, manche betrachten das kritisch.
taz: Heißt das, dass ein Teil der Dieselflotte einfach nur ein bisschen
umgerüstet wird, aber ansonsten erhalten bleibt? Und was, wenn HVO mal
knapp wird? Fahren die Busse dann wieder mit dem fossilen Zeug von
vorgestern?
Falk: Wir prüfen derzeit ergebnisoffen, ob zusätzliche Maßnahmen die
CO2-Emissionen unserer Bestandsflotte möglichst schnell senken können.
Tests zur technischen Umsetzbarkeit von HVO100 haben wir bereits
erfolgreich durchgeführt. Selbstverständlich sind für uns neben der
technischen Machbarkeit aber auch die Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit
entscheidend. Hier haben wir nach wie vor Fragen an den Markt hinsichtlich
der Lieferketten, zur gesamthaften Nachhaltigkeitsbilanz und zur
ausreichenden Verfügbarkeit und Preisstabilität des Treibstoffs.
taz: Apropos Zukunftsmusik: Frau Bonde hat sich letztens mit
Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder, CDU, getroffen, um mit ihm über
Flugtaxis, Magnetschwebe- und Seilbahnen zu plaudern. Beneiden Sie die
Senatorin dafür, [7][dass sie über Utopien fern aller Bedarfe sinnieren
darf], während Sie mit uns über die Probleme Ihres Unternehmens im Hier und
Jetzt reden müssen?
Falk: Sie können schon davon ausgehen, dass Ute Bonde und ich abgestimmt
mit dem Bundesministerium reden. Und wenn wir bis Ende 2027 Stabilität im
Grundsystem hinkriegen, muss ich natürlich darüber nachdenken, was die
nächsten Schritte sind. Es ist Frau Bondes und auch mein Job, weiter in die
Zukunft zu denken.
taz: Das heißt, sobald die U-Bahn wieder stabil fährt, kriegt Berlin auch
seine Schwebe- und Seilbahnen?
Falk: Ob Magnetschwebebahnen und Seilbahn-Linien im ÖPNV eine Antwort sind,
kommt ganz drauf an. Es gibt Städte, die das machen. Aktuell liegt unser
Fokus darauf, dass wir unser bestehendes Netz weiter optimieren und
verbessern. Darüber sind wir uns mit der Senatsverwaltung vollkommen einig.
taz: Eine Stadt mit Seilbahnen ist zum Beispiel La Paz in Bolivien, wo es
innerorts aber auch bis zu 1.000 Meter Höhenunterschied gibt, enge Gassen,
Serpentinen, begrenzte Straßenkapazitäten. Etwas andere Notwendigkeit,
oder?
Falk: Es sollte stets erst einmal ergebnisoffen und entlang von konkreten
Bedarfen untersucht werden, ob ein Verkehrsträger möglicherweise auch in
Berlin sinnvoll sein könnte – und das geht ganz ohne jeden Sarkasmus.
24 Aug 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Claudius Prößer
Rainer Rutz
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