# taz.de -- Strategien gegen Femizide: Was wir nicht mehr hören wollen | |
> Jede Frau bekommt Ratschläge, wie sie in der feindlichen Realität ihre | |
> Überlebenschancen erhöhen kann. Dabei müssen wir die Realität selbst | |
> verändern. | |
Bild: Keine offenen Getränke in der Disko, rät nicht nur die Oma | |
Als ich noch jünger war, hat meine Oma mich gewarnt, keine offenen Getränke | |
in der Disko zu bestellen. Vermutlich hatte sie zuvor [1][einen Beitrag | |
über K.O.-Tropfen] im Fernsehen gesehen. „Trinkt nur Cola aus Flaschen“, | |
sagte sie zu mir und meiner Cousine. Neben dem Tipp, nur Getränke in | |
geschlossenen Flaschen zu bestellen, gibt es noch zig weitere, wie Frauen | |
sich im öffentlichen Raum schützen sollen: Die Haare geschlossen halten, | |
lieber den längeren statt den kürzeren Rock anziehen. Beim Nachhauseweg den | |
Schlüssel in die geballte Faust nehmen, besser Taxi statt U-Bahn fahren und | |
am besten in Begleitung nach Hause gehen. Und grundsätzlich sich von | |
bestimmten Orten und Männern lieber fernhalten. | |
Fast jedes Mädchen und jede Frau wird diese Ratschläge schon einmal gehört | |
haben. Und obwohl sie sicherlich das ein oder andere mal eine Person | |
geschützt haben, sind sie falsch. Denn diese Tipps ignorieren, dass die | |
meiste geschlechtsspezifische Gewalt im eigenen Zuhause durch den | |
(Ex-)Partner verübt wird. Und sie laden die Verantwortung bei den | |
potentiell Betroffenen ab anstatt bei den Tätern. | |
Mich hat damals in erster Linie amüsiert, dass meine Oma denkt, dass wir in | |
der Disko Cola trinken. Heute macht es mich vor allem wütend, dass meine | |
Oma sich Sorgen um ihre Enkelinnen machen muss und die Sicherheit von | |
Mädchen und Frauen noch immer eine Privat- statt eine Staatsangelegenheit | |
ist. | |
Doch der Staat nimmt seine Verantwortung bislang nicht wahr. Wenige Tage | |
vor dem 8. März, wenn Politiker_innen und gesellschaftliche Akteur_innen | |
ihre feministische Ader entdecken, steht das Thema geschlechtsspezifische | |
Gewalt für kurze Zeit wieder auf der Agenda. Da heißt es dann: Gewalt gegen | |
Frauen geht uns alle an. Sie geht durch alle Schichten und kann jede | |
treffen. Und es stimmt, dass für jede Frau das Risiko im öffentlichen wie | |
im privaten Leben höher ist. Was diese Warnungen unterschlagen, ist aber: | |
Gewalt trifft nicht alle Frauen gleich – und nicht alle haben die gleichen | |
Möglichkeiten, sich vor ihr zu schützen. | |
## Zum Einzelfall gemacht | |
Denn ein Taxi zu nehmen, kostet mehr Geld, als U-Bahn zu fahren. Und sich | |
im Notfall, wenn das Zuhause oder der Arbeitsplatz zu gefährlich werden, | |
eine eigene Wohnung oder einen neuen Job zu suchen, bedarf bestimmter | |
Privilegien. Doch wie sicher das Leben einer Frau ist, darf nicht von ihrem | |
Kontostand abhängen. Gerade deswegen ist es wichtig, die Sicherheit von | |
Frauen zur Staatssache zu machen. | |
Das hat sich auch vor einer guten Woche gezeigt, als ein Mann [2][in einem | |
Wiener Bordell drei Frauen] mit Stichverletzungen tötete. Polizei und | |
Staatsanwaltschaft gehen davon aus, dass es sich bei den Opfern um | |
Prostituierte mit chinesischer Staatsangehörigkeit handelt. Auf Anfrage der | |
taz kann die Wiener Staatsanwaltschaft keine Auskünfte zum Motiv des Täters | |
geben. Doch dass diese Frauen – mit ausländischer Staatsbürgerschaft und in | |
einem Bordell arbeitend – weniger Möglichkeiten haben als andere, um sich | |
vor Gewalt zu schützen, ist nicht nur statistisch so, sondern in diesem | |
Fall zu einer traurigen Gewissheit geworden. | |
Schon eine Woche später droht der Mord als dramatischer Einzelfall | |
abgestempelt zu werden und in Vergessenheit zu geraten. Drei getötete | |
Frauen sind ein paar wenigen Politiker_innen in Österreich ein kurzes | |
Entsetzen wert, doch dann geht es weiter im Tagesgeschäft. Dabei handelt es | |
sich bei diesen Femiziden, also wenn Frauen aufgrund ihres Geschlechtes | |
ermordet werden, nicht um traurige Einzelfälle, sondern um ein | |
strukturelles Problem, für das es dringend politische Lösungen braucht. | |
Diese liegen dabei schon lange auf dem Tisch: Intensive Täterarbeit, um die | |
Gewalt bereits präventiv zu verhindern. Kampf gegen Frauenarmut und für | |
bezahlbaren Wohnraum, um die Situation langfristig zu lösen. Sowie runde | |
Tische mit Expert_innen und ausreichend Schutzräume, um im Notfall schnell | |
und sensibel handeln zu können. Die Gewaltschutzkonzepte sind also längst | |
da, es fehlt schlicht der politische Wille, sie umzusetzen. Und das nicht | |
nur in Österreich – auch Deutschland vernachlässigt den Kampf gegen | |
geschlechtsspezifische Gewalt sträflich, obwohl beide Länder [3][laut | |
Istanbul-Konvention] verpflichtet sind, mehr zur Bekämpfung der Gewalt | |
gegen Frauen zu tun. | |
Wie es besser gehen kann, zeigt Spanien. Dort wurde 2004 zum Schutz von | |
Frauen ein eigenes Gesetz verabschiedet und ein paar Jahre später der Kampf | |
gegen Femizide zum Staatsauftrag gemacht. Mit Reformen auf institutioneller | |
Ebene – [4][in der Gesetzgebung,] auf den Polizeibehörden und bei den | |
Staatsanwaltschaften – ging auch ein Wandel auf gesellschaftlicher Ebene | |
einher. Und obwohl auch Spanien noch lange kein feministisches Paradies | |
ist, zeigt der Kampf erste positive Wirkungen. | |
Anstatt am 8. März also mit leeren Worthülsen um sich zu werfen, sollten | |
Politiker_innen in Österreich, Deutschland und andernorts sich ihrer | |
Verantwortung bewusst werden und mehr in den Kampf gegen Gewalt gegen | |
Frauen investieren. Damit es irgendwann keine Frage der Sicherheit, sondern | |
nur noch des Geschmacks ist, ob ich eine Flasche Cola oder ein Getränk im | |
Glas bestelle. | |
2 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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