# taz.de -- Senegals Stellung in Afrika: Das letzte Bollwerk des Westens | |
> Senegal hielt sich schon immer für aufgeklärter. Präsident Macky Sall | |
> verkörperte mal den Respekt vor Institutionen und Verfassung. Jetzt nicht | |
> mehr. | |
Bild: Macky Sall 2023 in Kigali | |
taz | Im eigenen Selbstverständnis ist Senegal so etwas wie ein Leuchtturm | |
für Afrika. Es ist ein Land der Dichter und Denker: [1][Der erste | |
Präsident, Léopold Sédar Senghor], gewann den Literaturnobelpreis, und der | |
bekannteste Intellektuelle, Cheikh Anta Diop, schuf mit der Herleitung der | |
afrikanischen Kultur aus dem alten Ägypten und den Aufrufen für eine | |
„afrikanische Renaissance“ eine wichtige Grundlage für den Panafrikanismus | |
und ein nachkoloniales afrikanisches Selbstbewusstsein. | |
Senegal war der Ausgangspunkt für maritime europäische Handelsbeziehungen | |
mit Afrika südlich der Sahara ab dem 15. Jahrhundert und Ausgangspunkt der | |
kolonialen Eroberung der westafrikanischen Sahelzone durch Frankreich Ende | |
des 19. Jahrhunderts. Bis heute kann sich Senegal rühmen, als einziges Land | |
Westafrikas noch nie einen Militärputsch erlebt zu haben. Und bis vor | |
wenigen Tagen war es das einzige Land der Region, wo noch nie ein | |
Wahltermin verschoben wurde. | |
Diese historische Tragweite ist es, die viele Menschen in Senegal jetzt so | |
fassungslos macht. Präsident Macky Sall hat nicht einfach die Wahlen um ein | |
paar Monate verschoben. Er hat, so sehen es viele Beobachter, leichtfertig | |
die Regeln seines Landes mit Füßen getreten und damit die Axt an Senegals | |
politische Kultur gelegt. | |
Die Bilder aus der Nacht zu Dienstag, wie Polizisten in Kampfmontur kurz | |
vor der entscheidenden Parlamentsabstimmung den Sitzungssaal stürmen und | |
protestierende Abgeordnete auseinandertreiben, stehen für einen Dammbruch. | |
„Die Republik ist bedroht, alles ist möglich“, warnt der respektierte | |
Kommentator Vieux Savane in der unabhängigen Zeitung Sud Quotidien. „Es ist | |
dringend, zur Vernunft zurückzukehren und die verfassungsmäßige Ordnung | |
schnellstmöglich wiederherzustellen, bevor Senegal untergeht.“ | |
## Einstiger Hoffnungsträger der Jugend | |
Ausgerechnet Macky Sall. Als er 2012 Präsident wurde, verkörperte er den | |
Respekt vor der Verfassung. Sein [2][Vorgänger Abdoulaye Wade hatte eine | |
verfassungswidrige dritte Amtszeit angestrebt] und dies sogar vom | |
Verfassungsgericht absegnen lassen. Dank einer Mobilisierung jugendlicher | |
Protestgruppen und Wahlbeobachter konnte sich Oppositionsführer Sall in der | |
Stichwahl gegen Wade durchsetzen und dem Spuk ein Ende bereiten. Die | |
Erneuerung eines ökonomisch und sozial zunehmend polarisierten Landes | |
brachte er aber nicht voran. | |
Stattdessen wurde sein Spiel mit den Institutionen zunehmend riskant: Erst | |
änderte er die Verfassung, damit seine zweite Amtszeit sieben statt fünf | |
Jahre währte. Dann ließ er lange offen, ob er 2024 erneut antreten würde, | |
und kegelte zugleich sämtliche aussichtsreichen Gegenkandidaten mit | |
juristischen Mitteln aus. Dann trat er doch nicht an. Und nun verschiebt er | |
die Wahlen. | |
Eine ähnliche Situation führte 2014 in Burkina Faso zu einem Volksaufstand, | |
der mit einer Besetzung des Parlaments durch eine wütende Protestbewegung | |
begann und mit der Machtergreifung durch die Armee unter dem Jubel der | |
Menge endete. Nur gut zwei Jahre nach der Wende in Senegal schien damals | |
ein „afrikanischer Frühling“ zu entstehen. Die Demokratieaktivisten aus | |
Burkina Faso und Senegal arbeiteten eng zusammen und standen in anderen | |
afrikanischen Ländern Nachahmern mit Rat und Tat zur Seite. | |
Aber diese Ära ist längst vorbei. In Burkina Faso [3][wurde der 2015 zuerst | |
gewählte neue Präsident 2022 durch einen Militärputsch wieder abgesetzt], | |
es folgte ein zweiter Putsch, das Land ist heute tief im Bürgerkrieg gegen | |
islamistische Terrorgruppen versunken. Militärputsche beendeten auch 2020 | |
in Mali, 2021 in Guinea und 2023 in Niger die relativ jungen zivilen | |
Demokratien der Sahelzone. In Tschad und Mauretanien herrschen ohnehin aus | |
dem Militär hervorgegangene Präsidenten. Die Macht kommt wieder überall in | |
der Sahelzone aus den Gewehrläufen – außer in Senegal. | |
## Too important to fail | |
In europäischen Augen ist Senegal damit der letzte Fels der Demokratie in | |
einer Brandung der Instabilität. Jahrelang verschloss man deswegen vor | |
Salls zunehmend erratischem Kurs die Augen. [4][Denn während die | |
Militärregierungen in Guinea, Mali, Burkina Faso und Niger sämtlich | |
antiwestlich und prorussisch sind], besteht an Senegals „Westbindung“ kein | |
Zweifel. Regional ist Senegal einfach zu wichtig, als dass man es fallen | |
lässt. Aus Dakar heraus operieren die in der Region aktiven UN-Hilfswerke, | |
350 französische Soldaten sind ständig dort stationiert, der | |
Bundeswehrabzug aus Mali vergangenes Jahr wurde über Senegal abgewickelt. | |
Mehrfach haben senegalesische Generäle UN-Blauhelmmissionen geleitet und | |
Senegal ist einer der weltgrößten Bereitsteller von UN-Polizisten. | |
Deutschland stuft Senegal sogar seit 1993 asylpolitisch als „sicheres | |
Herkunftsland“ ein, was nicht einmal Frankreich tut. | |
Aber wenn das prowestliche Senegal jetzt genauso autokratisch wird wie die | |
antiwestlichen Nachbarn, punktet am Ende nur Senegals antiwestliche | |
Opposition, die schon längst einen Putsch nach dem Vorbild von Mali oder | |
Burkina Faso herbeisehnt. So schrillen jetzt in westlichen Hauptstädten | |
sämtliche Alarmglocken. | |
6 Feb 2024 | |
## LINKS | |
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[4] /Zwischen-Mali-Burkina-Faso-und-Niger/!5958062 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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