Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bauernprotest wird fortgesetzt: Fährblockierer könnten davonkommen
> Die Ermittlungen zur Blockade der Urlaubsfähre von Habeck sind schwierig.
> Die Polizei nahm keine Personalien auf. Der Bauernprotest geht weiter.
Bild: Dutzende Personen bedrängten die Fähre mit Habeck am Fährhafen Schlüt…
BERLIN taz | Der Vorfall sorgte für breite politische Empörung. Kanzler
Olaf Scholz ließ seinen Sprecher erklären, es sei „beschämend“, dass
Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor wenigen Tagen
durch [1][eine Blockade protestierender Landwirte in Schlüttsiel]
(Schleswig-Holstein) daran gehindert wurde, eine Fähre zu verlassen, mit
der er gerade aus dem Urlaub zurückkehrte. „Eine solche Verrohung der
politischen Sitten sollte keinem egal sein.“
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einer „massiven
und inakzeptablen Grenzüberschreitung“. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir
(Grüne) erklärte, „Gewalt und Nötigung sind verachtenswert und schaden auch
dem Anliegen“. Und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther
(CDU) erklärte, Protest habe klare Grenzen. Diese seien hier „weit
überschritten worden“.
Allerdings: Für die Protestierenden, die Habeck bedrängten, könnte die
Aktion folgenlos bleiben. Und damit auch die Frage ungeklärt, inwieweit
Rechtsextreme den Protest anstachelten. Denn ein Sprecher der Polizei
Flensburg sagte der taz, dass aufgrund der unübersichtlichen Situation am
vorherigen Donnerstag keine Personalien von möglichen Straftätern
aufgenommen werden konnten.
## Bisher keine Tatverdächtigen ermittelt
Auch ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Flensburg sagte der taz am
Montagabend: „Stand heute Abend ist es noch nicht gelungen, einzelne
Personen namhaft zu machen, die als Beschuldigte geführt werden können.“
Die Ermittlungen dauerten aber an. Noch am Freitag sei ein
Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Nötigung eingeleitet worden,
so der Sprecher. Auch weitere Tatbestände wie Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte und Landfriedensbruch würden geprüft.
Unterdessen setzten Bäuer*innen ihre bundesweite Protestwoche am Dienstag
fort. So gab es etwa in Sachsen, Hessen oder Baden-Württemberg
Blockadeaktionen an Autobahnauffahrten oder Straßenkreuzungen. In anderen
Bundesländern gab es Kolonnenfahrten oder Kundgebungen.
Am Montag noch hatten sich [2][zehntausende Landwirte am Protestauftakt
beteiligt]. Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbands, sprach
von rund 100.000 Traktoren, die bundesweit teilgenommen hätten. Die Demos
seien „geordnet“ abgelaufen. Auch ein Sprecher des Bundeskriminalamts sagte
der taz, der Auftakt sei „westgehend störungsfrei“ gewesen. Rukwied
erklärte, der Protest sei ein „deutliches Zeichen in Richtung
Bundesregierung, die Steuererhöhungspläne gänzlich zurückzuziehen“.
Die Bundesregierung hatte wegen der Haushaltskrise geplant, die
KfZ-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge und einen
Steuerrabatt beim Agrardiesel zu streichen. Ersteres hatte die Ampel
zuletzt zurückgenommen, die Subvention beim Agrardiesel soll nun
schrittweise bis 2026 fallen. Kanzler Olaf Scholz hatte am Montag
bekräftigt, trotz der Proteste daran festhalten. „Die Bundesregierung steht
dazu.“ Das Vorhaben solle „in sehr kurzer Zeit“ im Bundestag zur Abstimmu…
kommen.
## SPD-Regierungschefs stellen sich gegen die Ampel
Am Montag hatten sich indes [3][auch SPD-MinisterpräsidentInnen in den
Ländern gegen die Ampel] und auf Seiten der Bauern gestellt und gefordert,
die geplanten Kürzungen gänzlich zurückzunehmen. Grünen-Chefin Ricarda Lang
sagte am Dienstag, wenn jetzt aus den Reihen der SPD-Regierungschefs gegen
den Ampel-Beschluss argumentiert werde, „dann ist das ein Problem, dass die
SPD intern bei sich klären sollte, um nicht zur Verunsicherung im Land
beizutragen“.
Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) dagegen hat
wenig Sympathie für den Protest. Er könne gut verstehen, dass sich die
Bauern gegen die ursprünglich geplanten Subventionskürzungen gewandt
hätten, sagte er am Dienstag. „Das hätte die Bauern überproportional
belastet.“ Bei der Abmilderung habe er den Landwirtschaftsminister auch
tatkräftig unterstützt. „Wir haben das besprochen, lange bevor die ersten
Traktoren gerollt sind.“ Aber jetzt seien die Belastungen zurückgenommen
und da wundere er sich, „dass das die Bauern so gar nicht zur Kenntnis
nehmen“.
Baden-Württemberg hatte bereits vergangenes Jahr einen groß angelegten
Strategiedialog Landwirtschaft ins Leben gerufen, bei dem Verbraucher,
Handel und Landwirte an einem Tisch sitzen und versuchen, Probleme zu
lösen. Kretschmann wollte sich noch am Dienstag in einer Sprechstunde
zusammen mit Landwirtschaftsminister Özdemir den Fragen der Bevölkerung
stellen. Zuvor war Özdemir von einer Brauerei in Aalen zu einem lang
geplanten Besuch wieder ausgeladen worden. Am Mittwoch wird sich der Grüne
auf einem Landwirtschaftsfest in Ellwangen den organisierten Landwirten
stellen.
Kretschmann kann den Zorn der Bauern speziell auf grüne Politiker nicht
verstehen. Er selbst habe sich immer in Berlin und vor allem Brüssel für
die Belange der Bauern eingesetzt, beteuerte er. Beim Thema Glyphosat auch
gegen grüne Überzeugungen, weil es Betriebe gefährden würde. Kretschmann
erinnerte aber daran, dass in Deutschland die meiste Zeit CDU-Politiker für
Landwirtschaft verantwortlich waren und sich auch die CDU im Dezember noch
im Landwirtschaftsausschuss für ein Ende des Steuerprivilegs für
landwirtschaftliche Fahrzeuge ausgesprochen habe. „Jetzt rudert die Union
zurück“, sagt Kretschmann.
Der Grüne kritisierte auch den polarisierenden Ton mancher Debattenbeiträge
scharf. Verschwörungsthesen eines Hubert Aiwanger von den Freien Wählern,
welcher der Ampel unterstellt, den ländlichen Raum planvoll zu ruinieren,
liessen ihn erschaudern, sagte Kretschmann. Und nur weil etwas von der
Meinungsfreiheit gedeckt sei, müsse man nicht alles machen. Bei allen
Nöten, findet Kretschmann: „Die Bauern sollten auch mal nachdenken, bevor
sie Galgen aufstellen.“
## Regierung lobt Distanzierung von Rechtsextremen
Zu den Bauerprotesten hatten auch Rechtsextreme aufgerufen und in der
Dresdner Innenstadt auch [4][eine Kundgebung zu dem Thema abgehalten].
Andererorts hatten [5][Schilder an Traktoren oder Banner rechtsextreme
Bezüge]. Die Innenminister von Sachsen und Brandenburg, Armin Schuster
(CDU) und Michael Stübgen (CDU), sahen dennoch keine Unterwanderung des
Protests. Beide verwiesen auf Erklärungen des Bauernverbands, die sich von
Rechtsextremen distanziert hatten.
Auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) dankte dem
Bauernverband und anderen Organisator*innen, die sich von einer
rechtsextremen Instrumentalisierung distanziert hätten. „Dafür bin ich
sehr, sehr dankbar. Die Mehrheit der Landwirte hat damit nichts zu tun.“
Der Protest sei ein demokratisches Recht, dem die Politik zuzuhören habe.
„Und das machen wir ja auch.“
Innenministerin Faeser betonte, die Distanzierungen könnten nur ein Anfang
sein. Nun müssten die Protestorganisator*innen auch dafür sorgen,
dass auf den Kundgebungen keine extremistischen Parolen gebrüllt oder
Transparente gezeigt würden. „Nur wenn es eine glasklare und deutlich
sichtbare Abgrenzung gibt, können Instrumentalisierungsversuche durch
Extremisten nicht verfangen.“
9 Jan 2024
## LINKS
[1] /Extremisten-wollen-Agrarproteste-kapern/!5981385
[2] /Start-der-Bauernproteste/!5982195
[3] /Start-der-Bauernproteste/!5982195
[4] /Start-der-Bauernproteste/!5982195
[5] /Start-der-Bauernproteste/!5982195
## AUTOREN
Konrad Litschko
Benno Stieber
## TAGS
Rechtsextremismus
Cem Özdemir
Robert Habeck
Landwirtschaft
Protest
GNS
Bauernprotest
Schwerpunkt Bayer AG
Bauernprotest
Kolumne Die Woche
Schwerpunkt Demos gegen rechts
Ampel-Koalition
Landwirtschaft
Grüne
Landwirtschaft
IG
IG
## ARTIKEL ZUM THEMA
Umweltschützer drohen mit Klage: Juristen gehen gegen Glyphosat vor
Die Deutsche Umwelthilfe und die Aurelia Stiftung legen Rechtsmittel ein
gegen die Neuzulassung von Glyphosat. Das Pestizid schade der
Artenvielfalt.
Bauernprotest vor Aldi-Lager: Scharf auf Billig-Solidarität
Bauern in Niedersachsen blockierten Lager von Amazon und Aldi. Konkrete
Forderungen gebe es dabei keine, sagt der Protestforscher Felix Anderl.
Über Streik, schlechte Witze und die AfD: Aufs Glatteis geführt
Die Bauern und Lokführer zwingen uns aufs Rad. Die AfD die bürgerliche
Mitte endlich aktiv zu werden. Und Jo Koy wirft Witzeschreiber untern Bus.
Omas gegen Rechts: Bunte Omas, schwarzer Block
Antifaschismus kennt kein Alter, das beweisen die Omas gegen Rechts.
Unterwegs mit Frauen, die gegen die AfD kämpfen. Manchmal auch mit
Cha-Cha-Cha.
Bauernproteste in Baden-Württemberg: Erst Buhrufe, dann Dialog
Bundesagrarminister Cem Özdemir stellt sich in Ellwangen der Wut der
Landwirte. Der Grünen-Politiker begegnet ihnen mit Respekt – das zahlt sich
aus.
Bauernproteste in Sachsen: Für Kretschmer klatschen
Auch in Dresden ist der Protest der Landwirte groß – die radikalen Kräfte
sind dieses mal aber klein.
Klausur des Grünen-Vorstands: Mit Mindestlohn gegen Gegenwind
Mit der Forderung nach höheren Löhnen und besserer Arbeit startet die
Partei ins neue Jahr. Ganz frei von Widersprüchen bleibt sie dabei aber
nicht.
Proteste der Landwirte: Wie schlimm trifft es die Bauern?
Die Dieselkürzungen werden das Höfesterben kaum beschleunigen. Der
durchschnittliche Betrieb verliert nur rund 1.700 Euro pro Jahr.
Sinn und Zweck der Bauernproteste: Nichtiger Anlass
Die Proteste sind unangemessen und leisten Rechtsextremisten Vorschub.
Dabei geht es eigentlich um Peanuts – und um Prestige.
Start der Bauernproteste: Auf fruchtbaren Boden
Massenproteste von Landwirten haben begonnen. Wütende Slogans, auch
Hetzformeln, ernten Zuspruch und Solidarität. Um Diesel geht es allerdings
kaum.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.