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# taz.de -- Ska Keller über EU-Politik: „Die Grünen stehen zum Green Deal“
> 2024 ist die nächste Europawahl. Die ehemalige grüne Spitzenkandidatin
> über Klimapolitik, Asylfragen und warum sie nicht nicht mehr zur Wahl
> antritt.
Bild: Im September 2022 hat Ska Keller den Fraktionsvorsitz der Grünen im Euro…
taz: Anfang Juni 2024 findet die nächste Europawahl statt. Die letzte 2019
war eine Klimawahl. Nun droht eine Anti-Klimawahl. Wird der Green Deal, der
2019 vorgestellt wurde, um bis 2050 in der EU die Netto-Emissionen von
Treibhausgasen auf null zu reduzieren, wieder abgewickelt?
Ska Keller: Ich hoffe nicht, dass es eine Anti-Klimawahl wird. Wir müssen
jetzt den Green Deal, den die Grünen vorangetrieben und durchgesetzt haben,
ausbauen und umsetzen. Da geht es um die Wurst. Wir brauchen Mehrheiten,
und darum kämpfen wir bei der Europawahl.
Bisher sieht es aber nicht gut aus. In den Niederlanden hat [1][das
rot-grüne Bündnis um den früheren EU-Klimakommissar Frans Timmermans] die
Wahl verloren, europaweit droht ein Rechtsruck. Was nun?
Abwarten. Richtig ist, dass die Rechtsaußenfraktion in Brüssel, in der auch
die AfD vertreten ist, größer werden könnte. Daher kommt es jetzt mehr denn
je auf die Europäische Volkspartei (EVP) an (die von dem deutschen
CSU-Politiker Manfred Weber geführt wird, Anm. d. Red.). Die EVP ist
zentral, muss stehen und die Rechten isolieren. Mich stimmt optimistisch,
dass es einige EVP-Kollegen im Europaparlament ganz ähnlich sehen. Sorgen
machen mir aber die CDU und ihr Chef Friedrich Merz.
Wie schätzen Sie EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ein? Sie ist ja
auch eine prominente CDU-Politikerin. Doch bisweilen hat man in Brüssel den
Eindruck, die Grünen seien ihre letzten und besten Freunde…
Sie ist die erste Kommissionspräsidentin, die sich für Umwelt und Klima
engagiert. Doch nun wird sie von ihrer eigenen Fraktion runtergemacht. Die
EVP radikalisiert sich. In der Klimapolitik hat sie erst versucht,
EU-Gesetze zu verwässern – nun verlegt sie sich aufs blockieren. Deshalb
stehen wir auf einmal auf derselben Seite – denn die Grünen stehen zum
Green Deal.
Wenn nicht alles täuscht, will sich von der Leyen um eine zweite Amtszeit
bewerben. Doch sie will nicht bei der Europawahl antreten, nicht einmal in
ihrer Heimat Niedersachsen wird man sie wählen können. Droht das Ende der
Spitzenkandidaten – nach dem Debakel bei der Europawahl 2019?
Beim letzten Mal ist das ziemlich in die Hose gegangen und auch diesmal ist
es nicht selbstverständlich dass es klappt. Deshalb muss sich das
Europaparlament überlegen, wie man das besser machen kann. Aus meiner Sicht
kommt es nun darauf an, dass das Europaparlament die Initiative ergreift
und nicht alles dem Rat überlässt. Nach der Europawahl müssen wir schneller
sein und eine Mehrheit für den oder die nächste Kommissionspräsidentin
finden. Allerdings braucht ein Koalitionsvertrag seine Zeit. Man muss das
ja verhandeln. Ich hoffe, wir können das System aufrecht erhalten. Wir als
Grüne wollen es – die anderen müssen es aber auch wollen.
Wollen denn alle?
Das kann ich nicht sagen, aus dem Job bin ich raus. [2][Im September 2022
habe ich den Fraktionsvorsitz aufgegeben] und bin mehr legislativ tätig.
Ich kümmere mich um Fischerei und Umwelt und bin an EU-Gesetzen zum
Meeresschutz und zur Eindämmung von Mikroplastik beteiligt. Das macht viel
Spaß – als Fraktionschefin kommt man zu so was leider kaum.
Bei der Europawahl will auch Sarah Wagenknecht mit einer neuen Partei
antreten. Machen sich die Grünen deshalb Sorgen?
Das ist eine spannende Frage! Ich glaube aber nicht, dass sie den Grünen
Stimmen streitig machen wird. Wenn überhaupt, dann geht es um die Linken.
Und da würde ich sagen, dass Wagenknechts Austritt eher eine Chance für die
Linke Partei ist. [3][Denn ihr Programm ist doch teilweise ziemlich rechts,
etwa in der Flüchtlingspolitik]. Deshalb könnte sie auch der AfD einige
Stimmen abknöpfen – das wäre dann die positive Variante…
Ist nicht die gesamte EU in der Flüchtlingspolitik nach rechts gerückt?
Ja, leider. Die Flüchtlingspolitik war mein Thema bis 2019. Wir haben
damals einiges verbessert – zum Beispiel haben wir eine stärkere
Überwachung der Grenzschutzagentur Frontex erreicht und eine Perspektive
[4][für zumindest einige der 2015 in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge
geschaffen]. Doch jetzt sind wir in einer völlig anderen Debatte, [5][es
hat eine schlimme Verschiebung stattgefunden]. Das ist super frustrierend.
Die EU will noch bis zur Europawahl den repressiven Asyl- und
Flüchtlingspakt verabschieden – auch in der Hoffnung, so die Lage zu
entschärfen und die Rechten zu schwächen. Wie beurteilen Sie diesen Pakt?
Aus meiner Sicht [6][tut die EU nicht genug zur Bekämpfung der
Fluchtursachen]. Auch für die Seenotrettung setzt sie sich nicht mehr ein
und die Frage einer gerechteren Verteilung der Asylanträge steht auch noch
aus. Deshalb werden die Probleme auch nicht gelöst.
Wie geht es nach der Europawahl für Sie weiter?
Nach 15 Jahren aktiv in der Europapolitik mache ich jetzt erst mal Pause.
Ich habe in Brüssel alles erreicht, was ich konnte, da tut eine Auszeit gut
– auch wenn mir das keiner glauben will (lacht). Ich wollte nicht wieder
antreten, schließlich war ich schon zweimal Spitzenkandidatin. Da ist es
dann auch mal an der Zeit, Platz für Neue zu machen! Außerdem war mir eine
ordentliche Übergabe wichtig – man braucht Zeit, um sich in dieses Amt
einzuarbeiten.
5 Jan 2024
## LINKS
[1] /EU-Kommissionsvize-Timmermans-verlaesst-Bruessel/!5948832
[2] /Ruecktritt-von-Ska-Keller/!5881891
[3] /Neue-Partei/!5959283
[4] /Migrations--und-Asylpolitik-der-EU/!5880241
[5] /Ex-Gruener-zum-Austritt-wegen-Asylpolitik/!5981460
[6] /EU-Asylkompromiss-von-Italien-blockiert/!5960872
## AUTOREN
Eric Bonse
## TAGS
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