| # taz.de -- Bürgerrat Ernährung: Vier Personen, neun Euro, kein Käse | |
| > Das Beratungsgremium mit ausgelosten Teilnehmenden soll ein Gutachten | |
| > über Ernährungspolitik erstellen. Ergebnisse soll es schon bald geben. | |
| Bild: Passen Würstchen ins Budget? Gesunde Ernährung – so oder doch anders?… | |
| Berlin taz | Stellen Sie ein Abendessen für vier Personen zusammen, geben | |
| Sie aber nicht mehr als neun Euro aus. So lautete der Auftrag an die | |
| Testkäufer:innen. Also entschied sich die Gruppe für einen Auflauf aus | |
| Spitzkohl und Kartoffeln. Zwiebeln und Sahne lagen auch noch im Rahmen des | |
| Budgets. Für den Käse zum Überbacken und einen Salat als Beilage reichten | |
| die neun Euro jedoch nicht mehr aus. | |
| „Mit so wenig Geld dürfte es auf die Dauer schwierig sein, gesundes Essen | |
| zuzubereiten“, sagt Holger Dehnhardt. Das Experiment, an dem er mitwirkte, | |
| ist ein Teil des „[1][Bürgerrats Ernährung] im Wandel“. Erstmals tagt ein | |
| solches Gremium offiziell beim Bundestag. Die 160 Teilnehmenden wurden | |
| dafür aus der Bundesbevölkerung ausgelost – nicht gewählt. | |
| Von der zufällig zusammengesetzten Versammlung erhofft sich die Politik | |
| Ratschläge aus dem Alltag – jenseits der ritualisierten Konflikte. Der | |
| Auftrag lautet: „Der Mehrwert des Bürgerrates für den Deutschen Bundestag | |
| besteht darin, ein genaues Bild zu bekommen, welche Maßnahmen die | |
| Bürgerinnen und Bürger für eine gesündere und nachhaltigere Ernährung | |
| wünschen, oder welchen Beitrag sie selbst dafür bereit sind zu leisten.“ | |
| Seit ihrer ersten Sitzung Ende September treffen sich die [2][Bürgerräte] | |
| regelmäßig persönlich oder online. Hinzu kommen Diskussionsphasen in | |
| wechselnden Kleingruppen. Die Veranstaltungen sind vollgestopft mit | |
| Programm. Manche Teilnehmende schnaufen angesichts der Fülle der | |
| eingespeisten Informationen. | |
| ## Testkauf im Supermarkt | |
| Zahlreiche Expertinnen und Experten erklären beispielsweise in Vorträgen, | |
| wie Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und Handel funktionieren, welchen | |
| Einfluss der Staat nimmt, und wie sich die Ernährungsgewohnheiten der | |
| Bevölkerung ändern. Außerdem haben die vom Bundestag beauftragten | |
| Durchführungsorganisationen einige Vorort-Termine organisiert – etwa den | |
| Testeinkauf im Supermarkt oder Besuche in Betriebskantinen, die täglich | |
| Tausende Essen für Beschäftigte kochen. Nach viermonatiger Debatte wird der | |
| Bürgerrat Anfang 2024 sein Gutachten mit Empfehlungen an die Politik | |
| präsentieren. | |
| Journalist:innen dürfen an manchen Sitzungen teilnehmen, nicht aber | |
| über die Inhalte der Debatten berichten, bevor das Gutachten fertig ist. | |
| Begründung: Die mediale Spiegelung soll die Diskussionen nicht | |
| beeinflussen. Wird der Bürgerrat ein Recht auf Bratwurst fordern oder sich | |
| für die Verteuerung des Fleischkonsums mittels Steuern einsetzen? Antworten | |
| auf solche Fragen darf man ab dem 14. Januar erwarten. | |
| Etwas Ärger gab es auch schon. Einer der ausgelosten Teilnehmer aus dem | |
| Südwesten Deutschlands fühlte sich durch eine Moderatorin ungebührlich | |
| beeinflusst. Die Diskussionsleiterin hatte früher für die Grünen | |
| kandidiert. Während der Kritiker das Gremium aus Protest verließ, erklärte | |
| die Pressestelle des Bundestages, die Neutralität der Moderatorin bei ihrer | |
| Tätigkeit im Bürgerrat stehe nicht in Frage. Weitere Vorwürfe dieser Art | |
| seien nicht bekannt. Regelmäßige Befragungen der Teilnehmenden ergaben laut | |
| Bundestag, dass der größte Teil mit der Moderation zufrieden war. | |
| Teilnehmer Holger Dehnhardt, Software-Spezialist und Musiker aus Berlin, | |
| hat nicht den Eindruck, dass man ihn in die eine oder andere Richtung | |
| indoktrinieren wolle. Die Informationen durch Expertinnen und Experten | |
| sowie die unterschiedlichen Einschätzungen der Teilnehmenden ergäben ein | |
| „gutes Abbild der Gesellschaft“. Während der Sitzungen trifft der Berliner | |
| durchaus auf Leute, die seine Vorliebe für eher fleischlose Ernährung nicht | |
| teilen. Und bei diesen biss er mit seinen Argumenten auch mal auf Granit. | |
| ## Abgeordnete hoffen auf pragmatische Ratschläge | |
| „So ist das in der Demokratie“, sagt er. Wobei Dehnhardt die Debatten | |
| „weniger polarisiert“ wahrgenommen hat, als sie in der medialen | |
| Öffentlichkeit oft vorgeführt würden. Die Atmosphäre im Bürgerrat | |
| beschreibt er als „tolerant“, die Teilnehmenden überwiegend als „motivie… | |
| interessiert und auch offen für Sichtweisen, die nicht ihre eigenen sind“. | |
| Vielleicht wird das Gutachten so auch den Erwartungen gerecht, die | |
| gemeinhin mit dieser neuen Form der Partizipation verbunden sind. Die | |
| Mehrheit des Bundestages erhofft ausgewogene und pragmatische Ratschläge | |
| für die künftige Richtung der Ernährungspolitik, wobei die Entscheidung | |
| über Gesetze nach wie vor den gewählten Abgeordneten vorbehalten bleiben | |
| soll. | |
| Manche Abgeordnete von Union und AfD sehen das zwar anders – das | |
| parlamentarische System brauche keine Ergänzung durch geloste Gremien, | |
| heißt es dort. Wenn es gut läuft, kann der erste Bürgerrat beim Bundestag | |
| dennoch zum Vorbild für weitere Verfahren dieser Art werden. Nach den | |
| bisherigen Planungen soll er nicht der letzte in der laufenden Wahlperiode | |
| sein. | |
| 21 Dec 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hannes Koch | |
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