| # taz.de -- Pädagogen über den Nahost-Konflikt: „Verbote bringen herzlich w… | |
| > Das jüdisch-palästinensische Duo Shai Hoffmann und Jouanna Hassoun will | |
| > an Schulen über die Gewalt in Nahost sprechen. Wie kann das gelingen? | |
| Bild: Aufruhr am Ernst-Abbe-Gymnasium in Berlin nach Rangelei zwischen Lehrer u… | |
| taz: Herr Hoffmann, Frau Hassoun, ab diesem Mittwoch werden Sie beide | |
| bundesweit an Schulen gehen, um mit Jugendlichen über den Nahostkonflikt zu | |
| sprechen. Wie kam das Format zustande? | |
| Jouanna Hassoun: Wir haben die Trialoge aus der Not heraus ins Leben | |
| gerufen. Den Anlass gab vor allem [1][das Video, in dem man sieht, wie es | |
| an einer Berliner Schule zu Gewalt zwischen einem Schüler und einem Lehrer | |
| kommt]. Man muss aber bedenken: Die Jugendlichen, mit denen wir für frühere | |
| Projekte gesprochen haben, sind nicht diejenigen, die jetzt Randale machen | |
| oder jüdische Menschen bedrohen. Viele wenden sich dieser Tage an mich und | |
| sagen: „Wir sind doch keine Hamas-Anhänger. Wir wollen einfach nur | |
| mitfühlen mit unseren palästinensischen Freunden und Geschwistern. Warum | |
| werden wir abgestempelt, als wären wir Monster und Terroristen?“ | |
| Shai Hoffmann: Wir haben mittlerweile schon über hundert Anfragen für | |
| Trialoge bekommen. Wir kommen diesen ganzen Einladungen – und Hilferufen – | |
| von Lehrer:innen gar nicht hinterher. | |
| Wie versuchen Sie, mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen? | |
| Hassoun: Wir versuchen authentisch und empathisch zu sein und zuzuhören. In | |
| der aktuellen Phase sind die Jugendlichen extrem emotionalisiert durch die | |
| ganzen Bilder auf Tiktok oder Instagram. Da können wir ihnen nicht mit | |
| Fakten kommen. Das Einzige, was wir tun können, ist, ihre Gefühle ernst zu | |
| nehmen und sie nicht in eine bestimmte Ecke zu stellen. | |
| Und doch gibt es auch menschenverachtende Äußerungen. Wie gehen Sie damit | |
| um? | |
| Hassoun: Auch dafür muss der Raum unbedingt da sein. In einem geschützten | |
| Raum kann man das aufbrechen. Wenn wir den Jugendlichen in der Schule nicht | |
| die Möglichkeit geben, ihre [2][Vorurteile, Ängste und Wut auszudrücken], | |
| dann werden sie Hass und Hetze auf Social Media verbreiten. Meine | |
| persönliche Erfahrung zeigt: Das sind keine knallharten Antisemiten und | |
| Israelfeinde – das sind Jugendliche. Die haben alle Zeit der Welt, von der | |
| Gesellschaft begleitet zu werden, damit sie zu reflektierten Menschen | |
| heranwachsen. | |
| Auch unter jüdischen Schüler:innen wächst die Angst vor antisemitischen | |
| Anfeindungen. | |
| Hoffmann: Als die Hamas an dem Freitag nach dem Angriff zu Gewalt aufrief, | |
| hatten jüdische Kinder Angst, in die Schule zu gehen. Und das in | |
| Deutschland im Jahr 2023, viele Jahrzehnte nach dem Völkermord an Jüdinnen | |
| und Juden. Das ist eine Katastrophe! Ich habe mal mit einer Schulleiterin | |
| gesprochen, die meinte: „Von ein paar Schüler:innen weiß ich, dass sie | |
| Muslime sind. Aber wer jüdisch ist, wissen wir nicht. Die halten sich | |
| bedeckt.“ | |
| Hassoun: Mir als Palästinenserin ist es wichtig, dass meine jüdischen | |
| Mitbürger keine Angst vor mir und meinesgleichen haben müssen. Doch leider | |
| gibt es auch auf der jüdischen Seite gewisse Ressentiments gegenüber | |
| Muslimen. Vor ein paar Jahren war ich bei einem jüdisch-muslimischen | |
| Dialog. Die jüdischen Jugendlichen dort hatten [3][wenig Kontakt mit | |
| Muslimen]. Sie kannten sie vielleicht von der Straße, oder aus den Medien, | |
| aber hatten keine zwischenmenschliche Interaktion. Ich habe das nicht | |
| persönlich genommen, aber mir wurde die Frage gestellt, ob Palästinenser | |
| und Muslime eigentlich dumm seien. Weil die Jugendlichen über die Medien | |
| mitbekommen hatten, dass die laut sind und Stress machen. Wir müssen Hass | |
| und Hetze also in der Mehrheitsgesellschaft stoppen, aber auch in den | |
| diskriminierten Communitys. | |
| Wie kommen diese Ressentiments zustande? | |
| Hoffmann: Das ist ein Ausdruck der Migrationsdebatte in Deutschland. Die | |
| ist im Grunde wahnsinnig islamfeindlich. Es wird immer behauptet, die bösen | |
| Muslime würde uns infiltrieren und unsere Frauen vergewaltigen – und, dass | |
| sie den Antisemitismus mitbringen. Natürlich gibt es Dispositionen, die sie | |
| aus ihren Ländern mitbringen. Aber ich habe selbst erlebt, wie sich | |
| Geflüchtete öffnen. Ich habe einen Kumpel aus Syrien, der ist 2015 | |
| geflohen. Ich war der erste Jude, dem er je begegnet ist. Jouanna und ich | |
| glauben deswegen beide ganz stark an Begegnungen, weil sie dazu führen, | |
| dass Vorurteile abgebaut werden. | |
| Die Politik in Deutschland reagiert stattdessen mit Demonstrationsverboten. | |
| Berliner Schulen können zudem palästinensische Symbole verbieten. Was soll | |
| das bringen? | |
| Hassoun: Erstens bringen diese Verbote in unserem pädagogischen Kontext | |
| herzlich wenig. Sie führen dazu, dass viele Palästinenser:innen | |
| denken: „Ich habe keine Meinungsfreiheit mehr.“ Mich als politische | |
| Bildnerin hindert das bei meiner Arbeit. Denn die Jugendlichen verschließen | |
| sich dann und bekommen das Gefühl, nicht mehr mit uns reden zu können, weil | |
| wir das Gesagte eventuell gegen sie nutzen. Und zweitens: Als | |
| Palästinenserin finde ich es ungeheuerlich, dass plötzlich Palästinaflaggen | |
| und die Kufiya (das sogenannte Palästinensertuch; Anm. d. Red.) | |
| kriminalisiert werden. | |
| Viele Lehrer:innen wirken mit der Lage überfordert. Woran mangelt es? | |
| Hassoun: Sie brauchen Fortbildungen. Aber auch die Möglichkeit, sich selbst | |
| und ihre [4][eigene Haltung zu Rassismus und Antisemitismus in Gesprächen | |
| zu reflektieren]: Wie kann ich die palästinensische Identität neben die | |
| israelische stellen, ohne dass die eine die andere negiert? Ohne dass ich | |
| meinen Schülerinnen sage: Du kannst das israelische Militär nicht | |
| kritisieren oder unschuldigen Opfern dein Mitgefühl aussprechen. | |
| Hoffmann: Ich möchte natürlich nicht alle über einen Kamm scheren, aber | |
| auch Lehrer:innen wissen manchmal nicht, mit welcher Verstrickung sie | |
| auf diesen Konflikt schauen und welche Emotionen und Vorurteile sich in | |
| ihnen breit machen. Die Lehrkräfte müssen im Unterricht Safe Spaces | |
| schaffen, in denen sich Schüler:innen jeglicher Herkunft wohlfühlen, | |
| wirklich das sagen zu können, was sie umtreibt. Jouanna und ich denken da | |
| etwa an die 45.000 Berliner:innen aus der palästinensischen Diaspora. | |
| Die bringen Fluchterfahrungen mit, von Eltern und Großeltern, die | |
| vertrieben wurden. Das sind tiefe Wunden. | |
| Welches Feedback geben Ihnen Lehrkräfte, nachdem Sie an Schulen waren? | |
| Hassoun: Ich bekomme viele Nachrichten von Lehrer:innen, die sich bei mir | |
| dafür bedanken, dass wir bereit sind, sie zu unterstützen. Eigentlich | |
| müsste das die Schule oder die Schulverwaltung leisten – tun sie aber oft | |
| nicht. Da müssen wir aus der Zivilgesellschaft heraus als Privatpersonen | |
| oder NGOs unterwegs sein, um dafür zu sorgen, dass die gesellschaftliche | |
| Spaltung nicht größer wird. | |
| 24 Oct 2023 | |
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| Leon Holly | |
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