# taz.de -- Nahostkonflikt an Schulen: „Mehr Mut zur Kontroverse“ | |
> Der Nahostkonflikt stellt Lehrkräfte vor Herausforderungen. | |
> Bildungsinitiativen geben Tipps für den Umgang mit palästinensischen | |
> Symbolen. | |
Bild: Jugendliche bei einer pro-palästinensischen Demo in Frankfurt/Main am 14… | |
BERLIN taz | Der Angriff der Hamas auf Israel und die israelischen | |
Bombardements im Gazastreifen führen auch zu Konflikten an Schulen in | |
Deutschland. In der vergangenen Woche etwa [1][war es an einem Berliner | |
Gymnasium zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen einem Lehrer und | |
einem Schüler gekommen], nachdem ein anderer Schüler auf dem Schulhof eine | |
Palästina-Flagge gezeigt hatte. | |
Götz Nordbruch, der bei der Bildungsinitative Ufuq Projekte zu | |
islamistischem Extremismus koordiniert, sieht derzeit eine große | |
Verunsicherung unter Lehrkräften. Um kurzfristig Abhilfe zu schaffen, | |
veröffentlichte Ufuq am Freitag eine Handreichung, die Lehrer*innen bei | |
Gesprächen über den Nahostkonflikt unterstützen soll. | |
Darin geht es weniger um die Hintergründe des Konflikts, sondern darum, wie | |
Lehrer*innen mit den schnell aufbrodelnden Emotionen umgehen können. Die | |
Initiative empfiehlt darin, gegenseitiges Verständnis zu fördern, indem | |
sich die Schüler*innen mit verschiedenen Standpunkten und Stellungnahmen | |
auseinandersetzen. | |
## „Es gibt einen Andrang“ | |
Auch die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) hat schnell auf | |
die Eskalation in Nahost reagiert und organisiert nun Veranstaltungen, bei | |
denen sich Lehrkräfte informieren und austauschen können. „Es gibt in der | |
Tat einen Andrang“, sagt der KIgA-Vorsitzende Derviş Hızarcı. Für eine | |
Onlineveranstaltung, die normalerweise maximal 20 Teilnehmer*innen | |
anzieht, habe es bereits am Montag mehr als 60 Anmeldungen gegeben. | |
Dabei gehen Schulen in Deutschland offenbar sehr unterschiedlich mit der | |
Krise um. Sanem Kleff, Direktorin der Initiative „Schule ohne Rassismus – | |
Schule mit Courage“, berichtet von zahlreichen Rückmeldungen von | |
Schüler*innen und Lehrkräften aus verschiedenen Einrichtungen: Während | |
an manchen Schulen intensiv über die Gewalt in Israel gesprochen worden | |
sei, habe es anderswo keinen Raum zum Austausch gegeben. | |
Wie also Lehrkräften helfen? Oft äußerten sie den Wunsch nach einer | |
Checkliste oder einem Leitfaden, meint Nordbruch von Ufuq. „Aber das | |
funktioniert in einer solchen Situation nicht.“ Die Schwierigkeit liege | |
darin, dass an den Schulen unterschiedliche Erfahrungswelten | |
aufeinanderprallen. [2][Jüdische Kinder und Jugendliche] hätten Angst, sich | |
im Schulkontext als jüdisch zu outen. Vergangenen Freitag blieben viele von | |
ihnen in Berlin dem Unterricht fern – aus Angst vor antisemitischen | |
Übergriffen. | |
## Bedürfnis nach Anerkennung | |
Andererseits fühlten sich Schüler*innen palästinensischer Abstammung mit | |
ihren Erfahrungen zu wenig beachtet, meint Nordbruch. „Das hören wir oft: | |
‚Wir können unsere Perspektive nicht ansprechen, weil das gleich als | |
antisemitisch gilt.‘“ Die Berliner Bildungssenatorin Katharina | |
Günther-Wünsch (CDU) hat jüngst in einem Schreiben deutlich gemacht, dass | |
[3][Schulen das Tragen der Kufiya, des sogenannten Palästinensertuchs, | |
verbieten können]. Untersagt werden können auch der Ausruf „Free Palestine�… | |
sowie Landkarten Israels in den Farben der palästinensischen Flagge. | |
Derviş Hizarci von der KigA sieht darin eine „Law-and-Order-Mentalität“ d… | |
Politik. Es sei grundsätzlich falsch, in der Schule mit Verboten zu | |
arbeiten. „Wie stellt man sich die Umsetzung vor? Jetzt habe ich mein Tuch | |
zu Hause gelassen, aber bin ich deswegen meinen Israelhass oder | |
Antisemitismus los?“ Stattdessen brauche es pädagogische Arbeit. | |
Dieser Forderung schließt sich Sanem Kleff an. In dem Themenfeld sei an | |
Schulen zu wenig gemacht, besonders das Thema Islamismus sei in der | |
Vergangenheit vernachlässigt worden: „Jetzt wird klar, dass es nicht klug | |
ist, spannungsgeladene Themen nicht anzufassen.“ | |
Wenn Jugendliche mit muslimischem oder arabischem Hintergrund mit Sprüchen | |
provozieren, steckt Nordbruch zufolge dahinter auch der Wunsch nach | |
Anerkennung. Solche Provokationen zu verbieten, sei deshalb | |
kontraproduktiv: „Wo, wenn nicht in der Schule, sollen Jugendliche denn | |
auch mit Widerspruch konfrontiert werden? Die Schule ist einer der wenigen | |
Räume, wo das möglich ist.“ Sein Appell: „Es braucht mehr Mut zur | |
Kontroverse.“ | |
## Krieg emotionalisiert auch Lehrer*innen | |
Es ist die Aufgabe der Lehrkräfte, diese Auseinandersetzungen zu | |
moderieren. Doch oft werden sie selbst zur Konfliktpartei. Das liegt auch | |
daran, dass der Nahostkonflikt nicht nur unmittelbar Betroffene | |
emotionalisiert, sondern auch die deutsche Mehrheitsgesellschaft. „Die | |
Debatte um den Konflikt ist durch die deutsche Geschichte geprägt“, sagt | |
Nordbruch. „Es gibt niemanden, der unbeteiligt ist.“ | |
Seiner Einschätzung nach mangelt es Lehrer*innen an Zeit und Mitteln, um | |
den Unterricht vorzubereiten oder an Fortbildungen teilzunehmen. „Wir | |
können Angebote machen. Aber wenn die Lehrkräfte nicht die Ressourcen und | |
die Schulen nicht die Kapazitäten haben, ist das aussichtslos.“ | |
19 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Leon Holly | |
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