# taz.de -- Mozilla-Chefin über KI: „Aufregend und beängstigend“ | |
> Künstliche Intelligenz ist die Technologie des Jahrzehnts. Mozilla-Chefin | |
> Mitchell Baker über Chancen und warum Open Source ökologischer ist. | |
Bild: KI-generierte Kunst: mal gut, mal bedrohlich, mal schräg | |
wochentaz: Frau Baker, seit Jahren kritisieren Sie, dass große Techkonzerne | |
ihre Macht ausnutzen. Nun gibt es mit [1][künstlicher Intelligenz] eine | |
neue Technologie, die in den Markt drängt – ist das eine Chance für einen | |
Wandel? | |
Mitchell Baker: Ja, definitiv. [2][Künstliche Intelligenz ist eine mächtige | |
Technologie]. KI hat vermutlich ein noch größeres Potenzial, treibende | |
Kraft für einen echten Wandel zu sein, als wir das aktuell absehen können. | |
Woran machen Sie das fest? | |
Nehmen wir den Browser-Markt. Browser sind immer noch für viele | |
Nutzer:innen das Tor zum Internet. Und sie wissen ziemlich genau, was | |
sie mit einem Browser machen wollen. Das ist sehr tief verankert, fast | |
schon wie eine Art Muskelgedächtnis. Sie wissen, wo das Feld für die | |
Suchfunktion ist, wo sie für ihre Bookmarks klicken und wo für das | |
Wetter-Widget. Bei Mozilla haben wir immer mal wieder Tests für neue | |
Funktionen gemacht, etwa die Suche so einzubauen, dass Nutzer:innen sie | |
schneller finden. Mitunter haben wir dann aber festgestellt: Nein, das | |
passt nicht mit diesem Muskelgedächtnis zusammen. Das ist also alles sehr | |
gelernt und festgefahren. Und jetzt kommt’s: KI ist das erste große Ding, | |
was das Potenzial hat, die Karten komplett neu zu mischen. | |
Sie meinen, weil etwa Suchmaschinen auf den Markt kommen, die keine | |
Linkliste mehr liefern, sondern Antworten? | |
Zum Beispiel. Oder weil wir nicht mehr tippen werden, sondern sprechen. | |
Aber man muss auch sagen: Wir reden hier über ein Potenzial. Noch ist es | |
nicht ausgemacht, [3][dass nicht doch wieder Big Tech von heute auch Big | |
Tech von morgen ist]. | |
Was muss denn passieren, damit sich etwas ändert? | |
Mehrere Dinge. Das Elementare ist: Es braucht ein Ökosystem, das Innovation | |
begünstigt. Denn die kommt in der Regel nicht von den großen, sondern von | |
den kleinen Firmen … | |
… die dann von den großen aufgekauft werden. | |
So ein Ökosystem lässt sich extrem fördern, wenn darin Open Source ein | |
große Rolle spielt. Bei KI haben wir das bereits gesehen. Bis zum Frühjahr | |
schien es komplett klar zu sein, dass die großen Konzerne, die in die neue | |
Technologie investiert hatten, unter sich bleiben würden. Google und | |
Microsoft zum Beispiel hatten längst angekündigt, KI in ihre Anwendungen | |
einzubauen. Dann kam das KI-Sprachmodell von [4][Meta] heraus – und kurz | |
danach wurde dessen Code geleakt. Ich weiß bis heute nicht, ob das bewusst | |
war oder versehentlich. Und nur wenige Wochen später haben wir eine Flut | |
von Innovationen und Aktivitäten bei KI gesehen, sogar in Bereichen, die | |
als schwierig oder unmöglich galten. Das war bemerkenswert. | |
Was war das zum Beispiel? | |
Was glauben Sie, wie viel Rechenleistung braucht man, damit KI-Anwendungen | |
laufen? | |
Normalerweise ziemlich viel. | |
Stimmt. Aber Rechenleistung kostet Geld. Wenn wir im Open-Source-Bereich | |
unterwegs sind, dann müssen wir mit unseren Ressourcen gut haushalten. Und | |
in dieser Innovationsflut stellte sich heraus: KI-Anwendungen lassen sich | |
so ressourcensparend designen, dass sie auf einem Notebook oder sogar lokal | |
auf dem Smartphone laufen. Das ist nicht nur ökologischer, es ermöglicht | |
auch eine ganz andere Art der Nutzung von KI. | |
Und zwar? | |
Anwendungen wie ChatGPT, die gerade gehypt werden, [5][haben ein ganz | |
großes Privatsphäreproblem]. Denn sie beruhen darauf, dass sie mit großen | |
Datenmengen, in dem Fall Textmengen, trainiert werden. Sie nutzen also | |
alles, was im Internet steht: meine Gedanken, die ich in einem Blog oder | |
auf Social Media formuliert habe, mein geistiges Eigentum, wenn ich | |
vielleicht Autorin bin, meine Kreativität. Und das alles ohne mein | |
Einverständnis, ja, ohne, dass ich auch nur davon weiß. Habe ich jetzt aber | |
ein KI-Modell, das so klein ist, dass es auf meinem Smartphone laufen kann, | |
dann kann ich es selbst trainieren, mit meinen eigenen Daten. Das würde | |
übrigens auch die Machtverhältnisse entscheidend ändern. Denn warum sollte | |
ich dann noch meine Daten in die Hände eines Konzerns legen, der daraus | |
eine Anwendung macht, an der nur er selbst verdient? | |
Es klingt ein bisschen zu einfach, dass mit Open Source als Basis alles gut | |
wird. | |
Na ja, so einfach ist es nicht. Erstens fällt Open Source nicht vom Himmel, | |
sondern gedeiht nur dort, wo es ein entsprechendes Ökosystem gibt. Das | |
passiert [6][mit einer guten Regulierung]. In diesem Kontext brauchen wir | |
weitere Vorgaben, zum Beispiel Interoperabilität … | |
… dass man also eine Nachricht von einem zum anderen Dienst schicken können | |
soll. | |
Die EU hat das in ihrer Plattformregulierung, dem „Digital Markets Act“, | |
unter anderem für Messenger-Dienste vorgeschrieben. Das ist zwar keine | |
Vorgabe, die sich speziell auf KI bezieht, aber sie ist wichtig, weil es | |
ein erster Schritt hin zu mehr Wettbewerb ist. | |
Für Politiker:innen scheint es nicht so einfach zu sein, die | |
Dimensionen von KI zu erfassen. Die Branche selbst sendet unterschiedliche | |
Signale. Mal ist KI eine Technologie, die die Menschheit bedroht, mal soll | |
mit ihr alles besser werden. Was denn nun? | |
Grundsätzlich: Jede mächtige Technologie hat beide Seiten in sich – das | |
Gute und das Bedrohliche. Der Verbrennungsmotor zum Beispiel. Er hat eine | |
enorme wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht, doch seine Nutzung bedroht | |
nun das Leben auf diesem Planeten. [7][Man kann natürlich nicht das | |
Bedrohungspotenzial von KI und Klimawandel gleichsetzen]. Aber das | |
Disruptionspotenzial, also das Potenzial, Gesellschaften direkt zu | |
verändern, ist bei KI vergleichbar mit dem der industriellen Revolution. | |
Dann lassen Sie uns ein Stück in die Zukunft schauen – wie wird die | |
Situation in fünf Jahren sein? | |
Ein paar punktuelle Prognosen: Wir werden Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt | |
sehen, [8][einige Jobs werden wegfallen] und andere entstehen. Für die | |
Menschen heißt das, dass sie sich um- oder weiterbilden müssen, dass andere | |
Fähigkeiten gefragt sind. Die großen Sprachmodelle, wie GPT-4, die Basis | |
von ChatGPT, werden immer besser, und das wird zu einer ganz essenziellen | |
Frage führen: Wenn hier Gefahren drohen – die Ansätze sehen wir aktuell | |
schon mit Desinformation oder Deep Fakes –, für wen sollen diese | |
Technologien zugänglich sein? Wie offen dürfen sie sein? Das wird eine | |
große Debatte. Ich finde, wenn ein Unternehmen eine Anwendung baut, die zu | |
gefährlich für die Menschheit ist, dann darf dieses Unternehmen, was das | |
Problem überhaupt erst kreiert hat, daraus nicht auch noch Profit ziehen. | |
Wir sehen heute schon viel zu oft, dass Profite bei den Firmen konzentriert | |
sind, während die Risiken auf die Nutzer:innen ausgelagert werden. | |
Wie lässt es sich besser machen? | |
Zum Beispiel mit transparenter oder vertrauenswürdiger KI. Bei vielen | |
KI-Modellen, die wir heute sehen, lässt sich nicht nachvollziehen, warum | |
die Software eine bestimmte Entscheidung getroffen hat. Bei | |
vertrauenswürdiger KI schon, sie macht den Prozess transparent. Und ich | |
sehe aktuell ein viel stärkeres Bewusstsein dafür, vertrauenswürdige | |
Software zu bauen, als das in früheren Generationen der Fall war. Was auch | |
verständlich ist, schließlich sehen wir mittlerweile alle bei Social Media, | |
welche Folgen intransparente Algorithmen haben können. | |
Sie sind also optimistisch? | |
Wandel ist aufregend und beängstigend. Aber wir sind immer noch Menschen. | |
Wir haben Emotionen und Hormone, sind rational und irrational, denken nach | |
über unsere Seelen und Spiritualität. Und das wird sich nicht ändern – egal | |
wohin KI uns bringt. | |
21 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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