# taz.de -- Kunstprojekt „Edit Wars“ in Bremen: Künstlerische Intelligenz | |
> Russland setzt auf Fehlinformationen und Hetze. Die Bremer Gruppe „Edit | |
> Wars“ hat die Propaganda mit KI analysiert und künstlerisch | |
> interpretiert. | |
Bild: Propaganda und ihre Grenzen: die audiovisuelle Rauminstallation des Proje… | |
BREMEN taz | Bildende Kunst, Datenanalyse und Journalismus sind Bereiche, | |
die selten zusammengedacht werden. Mit einem Ausgangspunkt in der | |
Medienforschung soll eine Ausstellung in Bremen nun zeigen, wie die | |
Synthese von Wissenschaft und Kunst nicht nur informativ, sondern auch | |
zukunftsweisend sein kann. Die Gruppe Edit Wars zeigt noch bis zum 5. | |
Februar im Bremer Güterbahnhof ihre Rauminstallation „Propaganda narrative | |
soundscapes“. | |
Zur sechsköpfigen Gruppe Edit Wars gehören Medienkünstler*innen, | |
Web-Entwickler*innen und -Designer*innen der Hochschule für Künste | |
Bremen. Dazu kommen Datenanalytiker*innen aus Georgien. | |
Mit ihrem Namen bezieht sich Edit Wars auf die politische Einflussnahme auf | |
redaktionelle Prozesse als Kernaspekt der Verbreitung von | |
Kriegsrhetoriken. Ziel ist es, auf internationaler Ebene Bewusstsein für | |
die einseitige Kriegsrhetorik russischer Medien zu schaffen und | |
Propagandatechniken des russischen Staats seit dem [1][Angriff auf die | |
Ukraine] zu analysieren und zu dekonstruieren. | |
Für das Team war wichtig zu begreifen, dass Medienpolitik eine | |
Schlüsselkomponente dafür ist, wie über Ereignisse berichtet wird, so Slava | |
Viacheslav Romanov, einer der Künstler*innen des Projekts. Zunächst, so | |
Romanov, hätten sie propagandistische russische Medien analysiert. „Viele | |
aggressive Aussagen, viele Lügen“, so der Student, der sich viel mit | |
Menschenrechten in Russland auseinandergesetzt hat. | |
Um die Unmengen von Schlagzeilen zu bearbeiten, nutzte die Gruppe sowohl | |
[2][Künstliche Intelligenz] als auch qualitative Methoden. Das Team | |
analysiert also nicht nur große Datensätze in der Masse, sondern kombiniert | |
diese Analyse auch mit der Interpretation einzelner Beispiele. | |
Grundlage der Daten ist das [3][Projekt GDELT], eine offene Datenbank, die | |
täglich Nachrichten aus aller Welt in Print-, Rundfunk-, und Webformaten in | |
über 100 Sprachen erfasst. Mit dessen „Global Difference Graph“ hat Edit | |
Wars 250.000 Nachrichten russischsprachiger Medien analysiert, mit | |
maschinenlernenden Tools wie dem BERTopic-Algorithmus wurden die Daten in | |
Cluster geordnet, um relevante Themen und die Dynamik ihrer Veränderung zu | |
erfassen. Mit dem Tool Tableau wurden typische Worte und Phrasen der | |
Propaganda herausgefiltert. Die Ergebnisse wurden schließlich in einem | |
Netzwerk-Graphen visualisiert. | |
Die Erkenntnisse aus der Datenforschung veröffentlicht Edit Wars auf der | |
Webseite [4][editwars.org]. Dort finden sich die gängigsten und | |
aggressivsten Narrative russischer Propaganda über den laufenden Krieg, | |
beispielsweise, dass die Ukraine ein Nazi-Staat sei. Oder dass die von | |
Europa verhängten [5][Wirtschaftssanktionen] keine Wirkung zeigten. „Unsere | |
Aufgabe bestand darin, diese Narrative zu entlarven und zu sehen, wie sie | |
sich in den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 weiterentwickelten oder | |
sonst veränderten“, sagt Romanov. | |
Der zweite Teil der Arbeit habe darin bestanden, einen Weg zu finden, die | |
wichtigsten Ergebnisse künstlerisch zu interpretieren. Die Ausstellung am | |
Güterbahnhof sei als audiovisuelle Rauminstallation zum Mitmachen angelegt, | |
um eine Verbindung zwischen verschiedenen Wahrnehmungen von Propaganda | |
herzustellen. Auf der einen Seite stünden die Menschen jenseits der | |
russischen Grenzen, erklärt Romanov, auf der anderen Seite stünden | |
diejenigen, die der Propaganda permanent ausgesetzt sind und keinen Zugang | |
zu alternativen Sichtweisen haben. | |
Im deutschen Kontext wird der Begriff der Propaganda immer mit der | |
Verbreitung von rassenideologischem Gedankengut des Nazi-Regimes | |
verbunden. Wie mächtig dessen Methoden waren, verdeutlichen nicht nur die | |
furchtbaren Verbrechen, die von der deutschen Bevölkerung getragen wurden. | |
Auch im heutigen Sprachgebrauch zeigt sich noch immer, wie stark das | |
kollektive Bewusstsein durch Hetze und Fehlinformation beeinflusst wurde. | |
Ein Aspekt, der heute im historischen Vergleich zu vorherigen | |
Propagandastrategien hinzukommt, ist der Prozess der Digitalisierung. Durch | |
sie seien wir konfrontiert mit einem „Informationsfluss, der konstant und | |
fast unmittelbar wurde“, so Romanov. Die beabsichtigte Überschwemmung der | |
Medien mit widersprüchlichen Informationen trage, davon ist er überzeugt, | |
zu einem Verlust ihrer Glaubwürdigkeit bei. Auch das Vertrauen in Behörden | |
und Grundrechte wie Redefreiheit seien bedroht. | |
Die Kunst wiederum sei eine Möglichkeit, gegen den Strom der | |
Falschinformation anzuschwimmen und dort zu intervenieren, wo die Politik | |
bislang scheitert – oder selbst verantwortlich ist. Perspektivisch will die | |
Gruppe weiterforschen und ihre Ergebnisse veröffentlichen, um | |
Handlungspotenziale sichtbar zu machen. Romanov: „Manchmal kann die Kunst | |
schneller handeln, als es das Gesetz je könnte“. | |
3 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Genehmigung-von-Leopard-2-Panzern/!5911438 | |
[2] /Kuenstliche-Intelligenz-via-ChatGPT/!5903102 | |
[3] https://www.gdeltproject.org/ | |
[4] https://editwars.org/ | |
[5] /Folgen-der-Sanktionen-in-Russland/!5900124 | |
## AUTOREN | |
Ann-Christin Dieker | |
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