| # taz.de -- Rechtsextreme Artgemeinschaft verboten: Ende des völkischen Treibe… | |
| > Innenministerin Faeser verbietet die rechtsextreme Artgemeinschaft. Diese | |
| > veranstalteten germanische Treffen – und hielten Kontakte ins NSU-Umfeld. | |
| Bild: Razzia in Essen am Mittwochmorgen: Die Polizei geht gegen die sogenannte … | |
| Berlin taz | Es ist eine Herberge im kleinen Ilfeld im Thüringer Südharz, | |
| das Gasthaus Hufhaus, wo sich seit Jahren regelmäßig krude Szenen | |
| abspielten. Männer in traditionellen Hemden und Frauen in Gewändern trafen | |
| sich dort zu Treffen am „Metkessel“ – die „Gemeinschaftstage“ der | |
| völkischen Artgemeinschaft. Dann gab es „Volkstänze“, „germanischen | |
| Sechskampf“ oder „Mitmachkurse zur Runenmagie“. In Vorträgen wird aber a… | |
| zu sozialdarwinistischer und antisemitischer Ideologie doziert. Und immer | |
| mittendrin befinden sich die Kinder der Artgemeinschaftler. | |
| Nun soll damit Schluss sein. Am frühen Mittwochmorgen ließ | |
| Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die rechtsextreme | |
| [1][„Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer | |
| Lebensgestaltung“] verbieten. In 12 Bundesländern rückte die Polizei aus | |
| und durchsuchte die Wohnungen von 39 Beschuldigten. Gefunden wurden dabei | |
| auch rechtsextreme Devotionalien, Gold, Schusswaffen und eine | |
| ABC-Schutzausrüstung. Laut Ministerium wurden auch waffenrechtliche | |
| Erlaubnisse entzogen. | |
| Faeser, die momentan auch SPD-Spitzenkandidatin zur Hessenwahl ist, sprach | |
| von einer „sektenartigen, zutiefst rassistischen und antisemitischen | |
| Vereinigung“. Die Artgemeinschaft sei breit in der rechtsextremen Szene | |
| vernetzt und habe versucht, durch „eine widerwärtige Indoktrinierung von | |
| Kindern und Jugendlichen neue Verfassungsfeinde heranzuziehen“. Ein Jahr | |
| lang hatte Faesers Ministerium das Verbot vorbereitet. | |
| Es ist ein Schlag gegen eine Szene, die auch von Sicherheitsbehörden lange | |
| unbeachtet blieb: das rechtsextreme Siedlungsspektrum. Über Jahre konnten | |
| sich Gruppen wie die Artamanen, die Anastasia-Bewegung oder Weda Elysia in | |
| ländlichen Räumen ausbreiten, Höfe übernehmen und völkische Bräuche | |
| pflegen. Auch Treffen der Artgemeinschaft blieben von der Polizei fast | |
| immer unangetastet. Nun aber setzt Faeser ein Zeichen – nur eine Woche | |
| nachdem sie bereits die rechtsextremen Hammerskins verbot. | |
| Gefährliche NS-Ideologie | |
| Die Artgemeinschaft setzte indes weniger auf Siedlungsprojekte denn auf | |
| Ideologiefestung nach innen. Im völkischen Spektrum ist sie damit | |
| bundesweit die größte neonazistische Vereinigung – und die älteste. Und | |
| schon 1951 gründete Alt-Nazi Wilhelm Kusserow eine Vorläuferorganisation, | |
| seit 1957 ist die Artgemeinschaft in Berlin als Verein eingetragen. | |
| Ab 1989 führte und prägte die Artgemeinschaft jahrelang der | |
| Rechtsextremist, NPD-Bundesvorstand und [2][Szeneanwalt Jürgen Rieger], der | |
| 2009 verstarb. Er schrieb auch das „Sittengesetz“ der Gemeinschaft, in dem | |
| eine „Wehrhaftigkeit bis zur Todesverachtung gegen jeden Feind von Familie, | |
| Sippe, Land, Volk, germanischer Art und germanischen Glauben“ gepredigt | |
| wird. | |
| Die Gruppe verstand er als „Kampfverband“ und lehnte sie ideologisch an die | |
| NS-Rassenlehre an. So heißt es im „Artbekenntnis“, die „Menschenarten“ | |
| seien „verschieden in Gestalt und Wesen“. Ziel sei die „Mehrung der | |
| germanischen Art“, auch mit „gleichgearteter Gattenwahl“ und dem Ziel | |
| „gleichgearteter Kinder“. Rieger selbst bezog die Artgemeinschaft einmal | |
| auf die „nordisch-fälische Rassengemeinschaft, als nur einen Teil der | |
| gesamten Menschenheit, und zwar den Teil, dem wir enger zugehören“. | |
| ## Die Nachwuchsgewinnung | |
| Ein Fokus lag auf der Nachwuchsgewinnung. So erhielten Familien ein | |
| „Geburtsgeld“ oder einen „Familienlastenausgleich“. Abtreibungen sollte… | |
| verhindert und kinderreiche Familien befördert werden. Kinderlose | |
| Mitglieder mussten 100 Euro zusätzlich im Jahr entrichten. | |
| Für „die jüngsten Gefährten“ wurden derweil gezielt Kinderbücher aufgel… | |
| mit rassistischen oder antisemitischen Inhalten und Titeln wie „Die | |
| Bazillen“ oder „Der Bandwurm“. Eingefordert wird dort die Entfernung von | |
| „fremden“ Parasiten. Das Buch der „Pudelmopsdackelpinscher“ wiederum he… | |
| kaum verhohlen gegen Juden: Den „Rassemischling“ kennzeichne „Niedertracht | |
| und Gemeinheit“, heißt es darin. Auch er müsse sein „Schicksal erfüllen�… | |
| „erst dann ist wieder Ruhe und Ordnung“. | |
| Noch zu Riegers 10. Todestag veranstaltete die Artgemeinschaft eine | |
| „Morgenfeier“. Und noch bis Dienstag bewarb sie fast täglich auf internen | |
| Messenger-Kanälen Bücher von Rieger oder andere Werke wie „Deutsche | |
| Tischsprüche für die Sippe“. Gepflegt wurde auch eine eigene Zeitrechnung �… | |
| „n. St.“, nach Stohnehenge. Denn: Man wolle nicht die „Zählung der Jahre | |
| nach einem uns aufgezwungenen Juden namens Christus hinnehmen“. | |
| Das Innenministerium wirft der Gruppe laut der 92-seitigen Verbotsverfügung | |
| Verstöße gegen die „verfassungsmäßige Ordnung“ vor. Zugerechnet werden … | |
| Artgemeinschaft rund 150 Mitglieder, im Kern sollen es rund 40 gewesen | |
| sein. Zu Veranstaltungen wie den regelmäßigen Sommersonnenwenden, oder | |
| Julfeiern kamen indes auch mal bis zu 350 Teilnehmende. Wer der | |
| Gemeinschaft beitreten wollte, musste dafür monatlich ein Prozent seines | |
| Netto-Einkommens zahlten, mindestens aber 80 Euro im Jahr. Verpflichtend | |
| war auch ein eintägiger Arbeitseinsatz im Jahr. Sie erhielten auch die | |
| gruppeneigene „Nordische Zeitung“. | |
| ## Die Gruppe scheute die Öffentlichkeit | |
| Die Öffentlichkeit suchte die Gruppe nicht, im Gegenteil. Ihr Tun versuchte | |
| sie meist im Verborgenen zu organisieren – wohl auch, weil sie schon länger | |
| ein Verbot befürchtete. Einladungen zu ihren Treffen gingen nur über | |
| interne Kanäle an Mitglieder. Vor Ort waren Fotos und Filmaufnahmen | |
| untersagt, betont wurde, dass es „keine Spaßveranstaltungen“ seien. | |
| Zusammen kam dann auch der „Gemeinschaftsrat“. | |
| Für einzelne Regionen gab es dann „Quartierswarte“ und „Gefährtschaften… | |
| mit klingenden Namen wie „Nordmark“ oder „Kurpfalz“, die mindestens neun | |
| Mitglieder bedurften. Darunter gab es „Freundeskreise“, etwa „Jomsgau“ … | |
| „Wittekindsland“. | |
| Die Artgemeinschaft traf sich aber auch anderswo, etwa zu | |
| „Frauen-Wander-Wochenenden“ auf Usedom und Hessen oder zum 70-jährigen | |
| Jubiläum der Gruppe etwa in Berlin-Lichterfelde, vor dem früheren Wohnhaus | |
| des Artgemeinschaft-Gründers Kusserow. Nach eigenen Auskünften wurden auch | |
| Kontakte zu skandinavischen, französischen oder italienischen | |
| Rechtsextremisten gepflegt. | |
| ## Jens Bauer- vermeintlicher Vertrauter der NSU | |
| Zuletzt war der frühere NPD-Aktivist Jens Bauer aus Sachsen-Anhalt länger | |
| Anführer der Artgemeinschaft. Der trat zuletzt auch bei Coronaprotesten | |
| oder beim rechtsextremen „Trauermarsch“ in Dresden auf und gilt als | |
| Vertrauter des [3][NSU-Waffenlieferanten Ralf Wohlleben]. Diesen soll er | |
| nach seiner Haftentlassung 2018 zwischenzeitlich bei sich aufgenommen | |
| haben. | |
| Auch der [4][NSU-Helfer André Eminger] soll zumindest ein Treffen der | |
| Artgemeinschaft besucht haben. Schon im Herbst 2021 soll Bauer dann die | |
| Führung der Artgemeinschaft an seine Stellvertreterin Sabrina S. abgegeben | |
| haben. Im Vereinsregister wurde dies erst im Juni nachgetragen. Auch das | |
| Haus von Sabrina S., ein ehemaliges Brauereigelände im bayrischen Hausen, | |
| wurde am Mittwoch durchsucht. | |
| Jens Bauer soll allerdings weiter Vorsitzender des Vereins „Familienwerks“ | |
| gewesen sein – in dem ebenfalls alle Artgemeinschaftler Mitglied werden | |
| sollten. Auch das „Familienwerk“ wurde am Mittwoch verboten. | |
| Als zentraler Akteur gilt auch Alexander D. aus Baden-Württemberg, der | |
| ebenfalls durchsucht wurde und Kontakte zur militanten Szene hält, etwa zu | |
| dem verurteilten Rechtsterroristen Martin Wiese. Auch im sächsischen | |
| Leisnig wurden gleich mehrere Höfe von Mitgliedern durchsucht, die zuvor | |
| bereits in der verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ aktiv waren und | |
| in Sachsen angesiedelt waren. | |
| Verbote zeigten Wirkung | |
| Zu den Sympathisanten der Artgemeinschaft soll vor Jahren auch der | |
| [5][Lübcke-Mörder Stephan Ernst] gezählt haben. Laut Sicherheitsbehörden | |
| stand er auf einer Liste, die Mitglieder und Förderer aufführte, und soll | |
| dort 2011 gestrichen worden sein, weil er seine Mitgliedsbeiträge nicht | |
| mehr bezahlt habe. Mitverboten sind nun auch verschiedene | |
| Teilorganisationen der Artgemeinschaft: das „Familienwerk“, die | |
| „Gefährtschaften“, „Gilden“ und „Freundeskreise“. | |
| Die Artgemeinschaft ist damit nur ein Projekt von mehreren in der | |
| völkischen Siedlungsbewegung. Wie viele Personen sich dort tummeln, lässt | |
| sich schwer bemessen – obwohl Journalist*innen und Expert*innen | |
| schon lange warnen, schauen die Sicherheitsbehörden erst seit Kurzem | |
| genauer hin. So stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz erst im Juni die | |
| Anastasia-Bewegung als extremistischen Verdachtsfall ein. Und warnte: Die | |
| Gruppe könnte auch „Personen radikalisieren, die zuvor nicht in | |
| extremistischen Zusammenschlüssen aktiv waren“. | |
| Erst vor einer Woche hatte Faeser [6][die rechtsextremen Hammerskins] | |
| verboten, die vor allem mit Rechtsrockkonzerten Gelder machten. Auch diese | |
| sahen sich als Szeneelite und waren rund 30 Jahre aktiv. Faeser hatte zu | |
| Amtsbeginn als Innenministerin angekündigt, rechtsextreme Netzwerke zu | |
| „zerschlagen“. | |
| Die jüngsten Verbote zeigten jedenfalls Wirkung in der rechtsextremen | |
| Szene. Noch am Mittwoch verkündeten die „Arische Bruderschaft“ und die | |
| „Brigade 12“ vorauseilend ihre Auflösung. Bei der Artgemeinschaft stellte | |
| sich indes die Frage, ob Mitglieder nicht gewarnt gewesen sein könnten. So | |
| datiert das Verbot schon auf den 4. August – vollstreckt wurde es aber erst | |
| jetzt. Zum anderen ist auf die Adresse von Sabrina S., der letzten | |
| Artgemeinschaft-Leiterin, bereits ein neuer Verein gemeldet – das | |
| „Stiftungswerk Zukunft – Heimat“. Der postuliert „Brauchtumspflege, | |
| Heimatkunde, Familienförderung“. Es klingt ganz wie bei der | |
| Artgemeinschaft. | |
| 27 Sep 2023 | |
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