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# taz.de -- Mit Kreuzen gegen völkische Siedler: Ausrufezeichen im Dorf
> Ernestine Monville-Raabe und Martin Raabe vom Netzwerk „beherzt“ kämpfen
> gegen den Einfluss von völkischen Siedler:innen in der Lüneburger
> Heide.
Bild: Über 2.500 Kreuze hat das Netzwerk „beherzt“ schon aufgehängt, die …
Ebstorf/Bienenbüttel taz | Die Gegend zwischen Uelzen und Lüneburg ist
flach und voller Felder. Eine Landstraße führt vorbei an Häusern aus roten
Klinkersteinen durch kleine Dörfer, die Allenbostel, Barnstedt oder
Grünewald heißen. In manchen wohnen ein paar Hundert, in anderen keine
fünfzig Menschen.
Auch weil sie dünn besiedelt ist und es viele abgelegene Höfe gibt, wohnen
in dieser Gegend besonders [1][viele extrem rechte, völkische Familien].
Die Region ist schon seit den 1920er-Jahren bei Rechten beliebt. Die NSDAP
holte hier früh absolute Mehrheiten.
Heute sind Völkische aktiv im Kindergarten, Sportverein oder der
Freiwilligen Feuerwehr. Sie arbeiten als Anwälte, Handwerker oder
[2][Lehrer], sind Nachbarn, bei denen das Horst-Wessel-Lied zu hören ist,
die [3][Sommersonnenwende] feiern und Flaggen zu Hitlers Todestag auf
Halbmast setzen.
„In der Stadt kann man zwei Stunden gegen Rechts demonstrieren und danach
wieder nachhause gehen“ sagt Martin Raabe, 75, in seiner Wohnküche in
Ebstorf, nicht weit von der Kreisstadt Uelzen. Hier auf dem Dorf sei das
anders. Ernestine Monville-Raabe, seine Frau, zündet zwei Kerzen am
Adventskranz an und setzt sich mit an den Tisch. „Meine Einstellung ist:
wer Angst hat, macht nix“, sagt die 74-Jährige. Ihr Mann nickt. Ende 2018
haben die Raabes das [4][Netzwerk „beherzt“] mitgegründet, das sich auf den
Dörfern im Nordosten der Lüneburger Heide gegen völkische Siedler:innen
und „für ein weltoffenes Zusammenleben“ einsetzt, wie es auf der Webseite
heißt.
## Pink-gelbe „Kreuze ohne Haken“
Erkennungszeichen von „beherzt“ sind große pink-gelbe „Kreuze ohne Haken…
zwei Holzlatten, die ein X bilden, „fUEr Vielfalt“ steht darauf. Das UE im
'Für’ steht für Uelzen. Mittlerweile findet man sie in fast jedem Ort im
gleichnamigen Landkreis. Sie hängen an Gartenzäunen, Scheunentoren und
Häuserecken. Mehr als 2.500 sind es, einige davon als Solidaritätsgrüße
über ganz Deutschland verteilt, so das Netzwerk.
Nach den Drohungen muss man Ernestine Monville-Raabe und Martin Raabe
fragen. Von selbst erwähnen sie die nicht. Als es am Anfang von „beherzt“
eine Person brauchte, die öffentlich für die Gruppe spricht, mit Adresse
und Gesicht, hätten die beiden lange diskutiert, und entschieden, dass
Martin Raabe das macht. Seit einem Jahr zeigen noch mehr der rund 400
Mitglieder von „beherzt“ ihr Gesicht, auf der Webseite, bei
Zeitungsinterviews und auf Instagram. „Trotzdem krieg’ ich noch den meisten
Dreck übergekübelt“, sagt Martin Raabe.
Manchmal führen Autos vor, hielten an und drehten wieder um. „Wenn die
Bäume wenig Blätter haben, kann ich mir die Nummernschilder merken“, sagt
Ernestine Monville-Raabe. Vergangenes Jahr hätten die Drohungen sich
gehäuft, anonyme E-Mails und Anrufe mit unterdrückter Nummer. Im Frühjahr
2023 habe es nachts Sturm geklingelt. Im ersten Moment habe Monville-Raabe
gedacht, es sei ihre Tochter. Dann habe sie verstanden, dass das nicht sein
könne und entschieden, lieber nicht aufzumachen.
Ungefähr eine Woche habe es jede zweite Nacht geklingelt. Minutenlang.
„Dann hab ich gedacht: jetzt ist gut“, sagt Monville-Raabe, überkreuzt
resolut ihre Arme vor der Brust, um das zu unterstreichen. „Ich habe die
Klingel abgestellt.“ Nach einigen Wochen sei es nachts wieder ruhig
gewesen. „Natürlich sind wir quasi Ausrufezeichen im Dorf, weil alle wissen
wie wir denken“, sagt Martin Raabe.
Die Raabes wohnen seit mehr als 35 Jahren in Ebstorf. Gekommen sind sie
Ende der 1980er aus Indonesien, wo Martin Raabe als Pastor im
Auslandsdienst gearbeitet hat. „Wir waren auch ’n bisschen exotisch für
die“, sagt Ernestine Monville-Raabe über das Ankommen in Ebstorf. Schon
damals hätten sie eine fremdenfeindliche Grundstimmung wahrgenommen.
„Selbst die Jungbauern waren unglaublich konservativ“, sagt Monville-Raabe.
Extrem Rechte ziehen schon seit Jahren gezielt aufs Land. Für Völkische hat
das nicht nur strategische, sondern auch ideologische Gründe. Die völkische
Weltanschauung schließt an die nationalsozialistische
„Blut-und-Boden“-Ideologie an. Das Leben in ländlicher Abgeschiedenheit
steht für Völkische einer angeblichen Überfremdung in der Moderne entgegen.
Das begründen sie rassistisch und antisemitisch.
Die Amadeu-Antonio-Stiftung zählt rund 200 solcher Siedlungen im
Bundesgebiet. In Niedersachsen beobachtet der Verfassungsschutz die
völkischen Siedler. In der Lüneburger Heide wohnen aktuell ungefähr 20
völkische Familien – einige seit Generationen. Und es werden mehr.
„Eine Generation heiratet gerade querbeet“ sagt Olaf Meyer von der
Antifaschistischen Aktion Lüneburg-Uelzen. Die Gruppe beobachtet die
völkische Szene seit den 1980ern. In den letzten Jahren bemerke sie eine
Zunahme an Adressen, sagt Meyer. Das liege an den Hochzeiten, aber auch
daran, dass Rechte von auswärts her zögen. Zum Beispiel in einen Ort mit
knapp über 150 Menschen, ganz in der Nähe der Raabes. Vor ein paar Jahren
ist [5][ein Anwalt], der 2016 für die AfD im Uelzener Kreistag saß und
Völkische vertritt, mit seiner Familie in den Ort gezogen.
„Das hat das Dorf zerrissen“, sagt Martin Raabe, „in drei Gruppen“. Da
seien solche, die mit den Rechten nichts zu tun haben wollen, solche, die
kein Problem mit ihnen haben und welche, die aktiv ‚nein‘ sagen. Manchmal
ist der Riss nur so breit wie die Dorfstraße. Die Scheune auf der einen
Straßenseite gehört seit neuestem dem völkischen Anwalt. Direkt gegenüber
liegt ein Hof, an dessen Scheune das „Kreuz ohne Haken“ von der Straße
deutlich zu sehen ist. „In so einem Ort ist das ein Statement“, sagt Raabe.
So klein ist Bienenbüttel nicht, fast 7.000 Menschen zählt die Gemeinde.
Vor fast zwei Jahren stand der Ort im Fokus einer Dokumentation von Spiegel
TV. Darin geht es um den Umgang der Gemeinde mit der völkischen Familie
Fachmann, die seit Generationen im Ort verankert ist. Deren verstorbenes
Oberhaupt Wolfgang Fachmann hatte 1987 zusammen mit anderen Völkischen eine
Anzeige in der Lokalzeitung zum Tod von Rudolf Heß geschaltet. Sein Sohn
war Mitglied der [6][verbotenen rechtsextremen Artgemeinschaft] – und
leitet bis heute die Leichtathletikabteilung im TSV Bienenbüttel.
„Die sind nett und freundlich“ sagt Annemarie Schulz, 76, auf der
Bahnhofsstraße in Bienenbüttel, über die Fachmanns. „Jeder hat so seine
Meinung“ sagt ein Mann, der namentlich nicht genannt werden will. Es störe
ihn nicht, wenn jemand eine andere Meinung habe als er. So gleichmütig
sehen das nicht alle im Ort, aber allen ist der Name Fachmann ein Begriff.
Welche Rolle die Familie im Ort spielt, zeigt auch ihr Haus, das prominent
im Herzen der Stadt steht, direkt am Bahnhof, nur drei Gehminuten vom
Rathaus entfernt. Bis in die 2000er betrieb hier der alte Fachmann eine
Apotheke. Heute ist es eine Bäckerei. Von außen ist das Haus gleich zu
erkennen: Ins Gebälk sind nicht nur die Namen von Wolfgang Fachmann und
seiner Frau Helga eingelassen, sondern auch eine Wolfsangel, ein beliebtes
Symbol bei völkischen Rechten. Das Zeichen ist nicht per se verboten, aber
die Verwendung im Kontext von rechtsextremistischen Organisationen kann in
Deutschland strafbar sein.
„Ob die Zeichen dort mit heutigem Stand sichtbar sind oder nicht, wird von
uns nicht kontrolliert und entzieht sich daher unserer Kenntnis“, sagt eine
Sprecherin der Gemeinde Bienenbüttel auf Nachfrage der taz. Kurz nach
Veröffentlichung des Beitrags von Spiegel TV vor zwei Jahren verurteilte
die Gemeinde in einem Statement „Extremismus aufs Schärfste und in jeder
Form, egal ob links, rechts oder gar religiös motiviert“.
Ein Bündnis kritisiert schon länger, dass die Gemeinde sich nicht klar zu
den Völkischen positioniere und fordert, als sichtbares Zeichen ein „Kreuz
ohne Haken“ am Rathaus anzubringen. Im September hat das Bündnis dem
Bürgermeister Merlin Franke (CDU) eine Petition mit mehr als 700
Unterschriften übergeben. Der hielt sich bedeckt und verwies an den
Gemeinderat. Dort hatten SPD und Grüne schon 2023 einen ähnlichen Antrag
eingebracht. Der sei danach aber nicht wieder thematisiert worden,
berichtet die lokale Allgemeine Zeitung. Auf taz-Nachfrage sagt eine
Gemeindesprecherin, das Thema solle 2025 im Rat besprochen werden. Die
Behandlung sei dadurch verzögert, dass dem Rat die Unterschriftenlisten der
Petition noch nicht vorlägen.
Für Martin Raabe ist das eine „etwas blasse Verzögerungstaktik“. Dabei
ginge es auch anders. Die Gemeinde Lüchow-Dannenberg im benachbarten
Wendland etwa hat ein Kreuz am Rathaus angebracht.
Nicht alle freuen sich über „Kreuze ohne Haken“. Von Anfang an wurden
welche geklaut. Einmal gestalteten Unbekannte eins zu einem Hakenkreuz um.
In diesem Sommer aber habe es eine richtige Diebstahlwelle gegeben, sagt
Martin Raabe. Kreuze wurden beschmiert, verunstaltet, zwei mal steckten
Messer vor ihnen im Boden. „Das ist nicht nur Sachbeschädigung von zwei
Brettern, das ist politisch“, sagt Raabe.
Der Polizeidirektion Lüneburg/Uelzen sind die Fälle bekannt. Es seien
Anzeigen über geklaute Kreuze „in geringer zweistelliger Zahl“ eingegangen,
schwerpunktmäßig aus den Landkreisen Uelzen und Lüchow-Dannenberg, sagt ein
Sprecher der taz. Sie würden vom Staatsschutz bearbeitet. Zu möglichen
Tätern könne man sich nicht äußern, weil die Ermittlungen noch laufen.
„Wir werden die nicht wegkriegen“ sagt Monville-Raabe über die Völkischen
in der Region. „Und das ist ja auch nicht das Ziel“, sagt ihr Mann. Sondern
es gehe darum, die große schweigende Mehrheit aufzuwecken. „Die sollen sich
positionieren.“
Auf die Diebstahlwelle aus dem Sommer hat das Netzwerk „beherzt“ mit der
Aktion „immer eins mehr“ reagiert. Jede Person, die einen Fall bei der
Polizei anzeigt, bekommt kostenlos zwei neue Kreuze. „Das ärgert die“, sagt
Martin Raabe und gluckst.
27 Dec 2024
## LINKS
[1] /Prozesse-gegen-Reservisten-Gruppe/!6040000
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[3] /Neonazis-feiern-Sonnenwende/!6014916
[4] https://beherzt.info
[5] /Rechtsextremes-Treffen-in-Hannover/!5903840
[6] /Rechtsextreme-Artgemeinschaft-verboten/!5962927
## AUTOREN
Amira Klute
## TAGS
„völkische Gesinnung“
Lüneburger Heide
Schwerpunkt Neonazis
Social-Auswahl
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Kolumne Der rechte Rand
Heimatschutz
Völkisch
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