# taz.de -- E-Scooter-Plage: Verlässlich im Weg | |
> Seit Einführung neuer Regeln gegen wildgeparkte E-Scooter hat sich kaum | |
> etwas verbessert. Der Fachverband Fußverkehr fordert ein Aus für die | |
> Anbieter. | |
Bild: Auch falsch geparkt – aber immerhin nicht behindernd | |
BERLIN taz | Mach mal Pause! So lautet kurzgefasst die Forderung des | |
Vereins FUSS e.V. an die Anbieter von E-Scooter-Sharing, genauer genommen: | |
an den Senat, der diesen Anbietern Genehmigungen erteilt. Der Sprecher des | |
Fachverbands Fußverkehr, [1][Roland Stimpel], erklärte am Freitag, die vier | |
derzeit in Berlin operierenden Anbieter missachteten massiv die Auflagen, | |
die für sie seit einem Jahr gelten. Sein Fazit: „Wir brauchen eine Zäsur.“ | |
Die Senatsverkehrsverwaltung müsse die Bedingungen für E-Scooter | |
grundlegend verändern – „dann können wir uns auch mit diesen Fahrzeugen | |
arrangieren“. | |
Stimpel legte bei einem Pressetermin vor dem Roten Rathaus eine | |
Untersuchung vor, für die Freiwillige in der letzten Augustwoche in drei | |
exemplarischen Gebieten bei allen E-Scootern bewerteten, ob deren | |
Parksituation den Vorgaben entspricht. Ausgewertet wurde die Gegend rund um | |
die Straße Unter den Linden in Mitte, an der Schöneberger Hauptstraße und | |
in Alt-Tempelhof. Insgesamt fällt das Ergebnis ernüchternd aus: Die Zahl | |
der erfassten, aber auch der Anteil der „störenden“ Fahrzeuge habe fast | |
genau der des vergangenen Jahres entsprochen, heißt es in dem Papier. | |
Dabei hat sich seitdem einiges geändert, [2][zumindest auf rechtlicher | |
Seite]. Seit September 2022 definiert ein neuer Paragraf im Berliner | |
Straßengesetz das Roller-Geschäft als Sondernutzung des öffentlichen | |
Straßenlands, die von den Anbietern beantragt werden muss. An die Erteilung | |
der Genehmigung – die zum Auftakt keinem der Anbieter versagt wurde – | |
knüpft die Verkehrsverwaltung eine Vielzahl an Regeln. | |
So müssen die Firmen jetzt sicherstellen, dass ihre KundInnen die Scooter | |
in gebührendem Abstand etwa von U-Bahn-Ausgängen oder Bushaltestellen | |
parken. Werden die Fahrzeuge an einem Gehweg abgestellt, muss dieser in | |
mindestens 2,30 Meter Breite frei bleiben. Wo ausgewiesene Parkflächen für | |
Sharing-Fahrzeuge vorhanden sind, gilt sogar ein großzügiger Sperrradius – | |
nur gibt es außerhalb des Bezirks Mitte aber bislang kaum solcher Flächen. | |
Im Umkreis der Linden, wo die Nutzung durch TouristInnen überwiegt, haben | |
die FUSS-AktivistInnen dabei tatsächlich einen Rückgang von E-Scootern | |
festgestellt, die behindernd herumstehen oder -liegen. Das dürfte auch der | |
Tatsache geschuldet sein, dass sich die in Mitte zuständige Stadträtin | |
Almut Neumann (Grüne) sehr für die Ausweisung besagter Abstellplätzen | |
einsetzt – in Zusammenarbeit mit der „Jelbi“-Sparte der BVG, aber auch auf | |
eigene Faust im Bereich von Kreuzungen. Die technische Umsetzung seitens | |
der Anbieter, die eine Rückgabe des Fahrzeugs jenseits dieser Flächen | |
verhindert, scheint hier einigermaßen zu funktionieren. | |
## Störungen alle 50 Meter | |
Deutlich schlechter war dafür laut Stimpel die Situation in den | |
zentrumsferneren Gebieten. Auf Berlin hochgerechnet, so der FUSS-Sprecher, | |
stand alle 72 Meter ein E-Scooter im Weg herum. Wie Stimpel betonte, sei | |
[3][die Situation für Blinde] noch einmal ungleich misslicher. Sie hätten | |
„sogar alle 50 Meter“ mit Roller-Hindernissen zu kämpfen. | |
FUSS arbeitet mit dem Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein (ABSV) | |
zusammen, der auch Abstellsituationen als störend oder gefährlich | |
beurteilt, die in den Regularien der Senatsverwaltung nicht enthalten sind. | |
So kann auch ein an einer Hauswand geparkter Roller Probleme verursachen, | |
wenn Menschen sich mit einem Langstock an dieser orientieren wollen. | |
Rechnerisch ergeben sich damit laut FUSS rund 40.000 Störungen am Tag in | |
Berlin, seit September 2022 also „mehr als zehn Millionen Verstöße“ gegen | |
die geltenden Bestimmungen. Hinzu komme die fehlende Bereitschaft der | |
Anbieter, die Verstöße zu beheben: Testanrufe bei den Hotlines, die für | |
Meldungen falsch geparkter Roller eingerichtet werden mussten, zeitigten | |
wenig überzeugende Ergebnisse. | |
So kamen beim Anbieter Bolt die FUSS-Freiwilligen nicht durch, beim | |
Konkurrent Tier meldete sich nur ein Computer, bei Lime habe unter einer | |
Frankfurter Nummer immerhin ein Mitarbeiter abgehoben, „der sich redlich | |
bemühte, Deutsch zu sprechen“. Der Anbieter Voi schließlich habe auf seinen | |
Scootern gar keine Hotline-Nummer angegeben. | |
Auch dass NutzerInnen bei Rückgabe mit der App ein Foto von ihrem | |
abgestellten Mietfahrzeug schießen müssen, bringe wenig bis nichts: Man | |
habe beobachtet, wie Personen dieses Foto nach dem Abstellen des Rollers | |
mitten auf dem Gehweg geschossen hätten, heißt es bei den | |
Fußverkehrs-AktivistInnen. Der Autor dieses Artikels kann das insofern | |
bestätigen, als er bei verschiedenen Anbietern den Rückgabevorgang – nach | |
korrektem Abstellen – problemlos mit einem völlig verwackelten Bild | |
abschließen konnte. | |
## Neumann will „aussieben“ | |
Mittes Stadträtin Neumann, die am Freitag ebenfalls anwesend war, wollte | |
sich der radikalen Forderung nach einem Aus für alle aktuellen Anbieter | |
nicht anschließen, sagte aber auch, es sei sinnvoll, „auszusieben“. Im | |
Übrigen arbeite sie mit Jelbi am Ausbau der Abstellflächen: Bis Jahresende | |
sollen weitere 90 zu den bestehenden 140 hinzukommen. | |
Sehr gute Erfahrungen habe der Bezirk mit der durch Jelbi-Stationen | |
ermöglichten 1 Quadratkilometer großen „No-Parking-Zone“ rund ums | |
Brandenburger Tor gemacht. Sie soll nun bis zum Roten Rathaus und zum | |
Potsdamer Platz ausgeweitet werden. Neumann kritisierte am Rande die | |
Ungleichbehandlung von Fahrzeugen durch die Straßenverkehrsordnung: „Wer | |
mit dem Fahrrad auf dem Gehweg fährt, zahlt 25 Euro Bußgeld, mit dem | |
E-Scooter sind es dagegen nur 15 Euro.“ | |
Auch vermeintlich korrekt abgestellte E-Scooter und Leihräder können | |
übrigens zu Fuß Gehende behindern – weil die technischen Abstellsperren mit | |
GPS funktionieren und dieses oft nicht genau genug ist. Eine mögliche | |
Abhilfe stellte am Freitag auf Stimpels Einladung das norwegische Start-up | |
„Sparkpark“ vor. Dabei handelt es sich um ein mit Bluetooth betriebenes | |
Ortungssystem: Sensoren an einem Mast, der neben der Abstellzone | |
aufgestellt wird, sollen auf den Zentimeter genau erkennen können, ob der | |
Roller komplett auf der vorgeschriebenen Fläche steht – und erst dann die | |
Rückgabe erlauben. | |
22 Sep 2023 | |
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[1] /Lobbyarbeit-fuer-den-Fussverkehr/!5923625 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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