| # taz.de -- Aufgeben ist keine Option: Wer hat noch Angst vor der Zukunft? | |
| > „Wir erleben, wie die Faschisten an die Regierungsmacht kommen“, schreibt | |
| > Mely Kiyak. Was folgt daraus für unser Schreiben, für unser Engagement? | |
| Bild: Das Gute an Angst ist, dass sie wie ein Motor funktioniert. Sie zwingt mi… | |
| Seit einiger Zeit stelle ich meinem Freund eine Frage, auf die er keine | |
| Antwort weiß: Was sollen wir nur tun? Ich stelle sie ihm in unregelmäßigen | |
| Abständen, meistens aber, wenn nach einem Deutschlandtrend im ganzen Land | |
| wieder debattiert wird, wie man die AfD klein halten kann, immer dann also, | |
| wenn die [1][Angst vor der Zukunft] bei mir so groß wird, dass ich nachts | |
| schlecht schlafe oder ich mir den Kopf darüber zerbreche, an welchen Orten | |
| der Welt ich noch leben könnte, wenn Deutschland in braunem Sumpf | |
| untergeht. | |
| Meine Familie [2][träumte einst von einem freien Leben, einem in Frieden | |
| und Sicherheit – und in Wohlstand.] Dass ich in Deutschland aufwachsen | |
| durfte und nicht dazu verdammt war, in meinem Geburtsland Transnistrien | |
| groß zu werden, in einem korrupten Mafiastaat, der seinen Geheimdienst bis | |
| heute KGB nennt, habe ich nie als selbstverständlich wahrgenommen. Doch die | |
| Wünsche meiner Familie, ihre Wünsche von damals, sind heute bedroht. | |
| Angst kenne ich seit Kindheitstagen, sie klebt an mir wie ein Schatten. | |
| Irgendwann hat die Angst in der Gestalt von Einbrechern ein Motiv gefunden | |
| und sich in meine Träume geschlichen. Wann immer ich mich heute unsicher | |
| fühle, bedrohen mich die Einbrecher nachts, versuchen in meine sichere | |
| Wohnung einzudringen. Was können wir tun, gegen all die AfD-Einbrecher, die | |
| ein Leben in Freiheit und die Demokratie bedrohen? Mein Freund antwortet | |
| meistens genauso vage, wie ich frage: Ich weiß es doch auch nicht. | |
| „Wir erleben, wie die Faschisten an die Regierungsmacht kommen. Maximal | |
| zwei Bundestagswahlen, dann haben sie die Kontrolle“, schreibt | |
| Schriftstellerin Mely Kiyak in ihrer [3][neusten Kolumne für das | |
| Gorkitheater in Berlin]. Sie leitet für sich daraus ab: „Ich habe dazu | |
| alles, wirklich alles, geschrieben. Mir fehlt schlicht die Lebenszeit, um | |
| wieder und wieder zu wiederholen, [4][was ich vor 15 Jahren sah]. Ich kann | |
| auch die Notwendigkeit nicht erkennen.“ | |
| ## Beispiel Nordhausen | |
| Kiyaks Kolumne wird in den sozialen Netzwerken gefeiert. Für mich klingt | |
| ihr Text so nach Aufgeben, nach Resignation, nach Eitelkeit. Jeder | |
| Schreibende kennt schließlich das Gefühl, alles schon hundert Mal | |
| geschrieben zu haben. Deshalb gleich damit aufhören? Wir Schreibende nehmen | |
| uns zu wichtig. Wer sind wir, aufzugeben? Was riskieren wir schon mit | |
| unseren Schreibtisch-Texten? | |
| Ich möchte an dieser Stelle an einen positiven Moment erinnern: Dass | |
| vergangenes Wochenende in Nordhausen in Thüringen [5][Kai Buchmann zum | |
| Oberbürgermeister gewählt wurde], also nicht wie zuvor von vielen | |
| befürchtet der AfD-Kandidat und Geschichtsrevisionist Jörg Prophet, sollte | |
| uns alle motivieren. Engagierte aus der Zivilgesellschaft hatten sich | |
| zusammengeschlossen, für Buchmann mobilisiert. Für diese Menschen stand | |
| real etwas auf dem Spiel. Viel mehr noch als für alle Kolumnist:innen | |
| aus Berlin, mich inklusive! Es macht einen Unterschied, ob man sich | |
| entschieden gegen Menschenfeinde und deren Partei des Hasses positioniert. | |
| Oder ob man ein düsteres Zukunftsszenario malt, nur um sich dann zu | |
| verabschieden. | |
| Erst letztens träumte ich von den Straßen meiner Kindheit, wie ich die Orte | |
| aufsuchte, an denen ich als Sechs- oder Siebenjährige meistens alleine Zeit | |
| verbrachte. In meinem Traum war ich erwachsen, was mich zurück in die | |
| Vergangenheit trieb, waren wahrscheinlich nostalgische Gefühle, die | |
| Sehnsucht nach etwas Vertrautem. Doch in meinem Traum erinnerte nichts an | |
| damals. Ich fand verlassene Häuser vor, verbrannte Erde und keine | |
| Menschenseele außer mir. | |
| Das Gute an der Angst ist, dass sie wie ein Motor funktioniert. Sie zwingt | |
| mich, in Bewegung zu bleiben. Ich kann nicht anders, als weitermachen gegen | |
| die Zerstörung, weiter denken, weiter streiten. Aufgeben sollte für | |
| niemanden, der seine Freiheit liebt, eine Option sein. | |
| 29 Sep 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Erica Zingher | |
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