# taz.de -- Krieg und Angst: Bunker bieten auch kaum Sicherheit | |
> Die Kriege in der Ukraine wie auch im Nahen Osten sind Gold für das | |
> Geschäft der Bunkerbauer. Und sie sorgen wenigstens für ein Gefühl von | |
> Sicherheit. | |
Bild: SChutzbunker im Kibbutz Nar Oz, nahe der Grenze zu Gaza, Israel, 13. Juni… | |
Im biblischen Buch der Richter enden die Erzählungen mit dem Vers: „Da | |
hatte das Land Ruhe vierzig Jahre.“ Ich habe diesen Vers immer als pure | |
Ironie gelesen, denn der deprimierende Gesamteindruck des Buches ist der | |
eines permanenten Kriegs. Jetzt scheint es, dass unsere vierzig Jahre | |
vorbei sind. Selbst in relativ ruhigen Gegenden der Erde, etwa Westeuropa, | |
verdunkelt sich der Himmel wie bei einem Gewitter im Hochsommer. | |
In solchen Zeiten haben die Medien großen Einfluss auf die allgemeine | |
Stimmung. Die Medien haben schon immer das Spannende, das Dramatische | |
gesucht, und das ist heute schlimmer denn je. Bots aller Art verbreiten | |
Panik und Chaos, die Menschen sind verwirrt und ratlos. In diesem Zustand | |
kann man entweder versuchen, trotz allem Tohuwabohu und Durcheinander noch | |
irgendwie rational zu handeln. Oder man kann sich zurückziehen und in | |
Deckung gehen. | |
Laut einem Bericht des [1][Economist] steigt die Nachfrage nach Bunkern und | |
Schutzräumen in Deutschland seit Jahren deutlich. Dieser Trend begann mit | |
der russischen Besetzung und Annexion der Krim im März 2014. In deutschen | |
Cafés, Bars und auf den Wochenendmärkten ist von einer Panik noch wenig zu | |
spüren. Die Deutschen wirken auf mich unglaublich ruhig und entspannt. Doch | |
offenbar trügt der Schein, und sie haben Angst. Angst vor [2][Wladimir | |
Putin], vor Donald Trump, vor Marine Le Pen. | |
Vielleicht sind Putin und [3][Trump] nur Auslöser, die eine latente | |
Existenzangst getriggert haben, eine Angst, die kein Objekt braucht, wie es | |
uns der weise dänische Philosoph [4][Søren Kierkegaard] einst lehrte. Auch | |
die Israelis bauen Schutzräume. Vor Oktober 2023 bauten nur diejenigen, die | |
in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen wohnten. Die meisten anderen | |
beschränkten sich auf gemeinschaftlich genutzte Bunker, die ausreichen | |
sollen für den Fall eines iranischen oder libanesischen Bombardements oder | |
eines Langstreckenraketenbeschusses aus Gaza. | |
## Flucht vor der Realität | |
Das Haus, in dem ich früher in Tel Aviv gewohnt habe, liegt zu weit vom | |
nächsten Schutzraum entfernt, und als Tel Aviv bombardiert wurde, sind alle | |
Bewohner ins Treppenhaus geflüchtet, weil es hieß, dass es dort am | |
sichersten sei. Damals habe ich meine Nachbarn etwas näher kennengelernt. | |
Seit dem [5][Oktober-Massaker] haben die Leute kein Vertrauen mehr in diese | |
gemeinschaftlichen Bunker und ins Treppenhaus schon gar nicht. Sie wollen | |
einen geschützten Raum zu Hause. | |
Nur ergibt das mit Blick auf den 7. Oktober überhaupt keinen Sinn. Denn in | |
den unweit des Gazastreifens gelegenen Ortschaften waren Bunker ausreichend | |
vorhanden, nur boten die vor dem Terrorangriff der Hamas keinen Schutz. In | |
dieser Hinsicht erinnert der 7. Oktober an die Horrorgeschichten von | |
Stephen King, deren Schlussfolgerung ist, dass kein Entkommen möglich ist. | |
Die Menschen halten an der Illusion fest, dass es einen Ausweg gibt, obwohl | |
sie tief im Innern wissen, dass es nur eine Illusion ist. | |
So ist der Bau der Schutzräume, der viel Geld kostet, kein rationaler | |
Schritt, sondern eine Art Flucht, eine Ablenkung von einer bitteren | |
Erkenntnis. Diese impliziert, dass die Welt von herzlosen Tyrannen regiert | |
wird, dass wir ihnen hilflos ausgeliefert sind und dass es eigentlich | |
keinen großen Unterschied zwischen uns und den Bauern in irgendeinem Dorf | |
in Bayern während des Dreißigjährigen Kriegs gibt. | |
Doch es gibt ihn. Der Unterschied ist, dass der Bauer im 17. Jahrhundert | |
keine politische Macht hatte. Anstatt sich also gegen die Raketen zu | |
wappnen, die ohnehin jeden Schutzraum zertrümmern, ist die Politik gefragt, | |
die Realität zu ändern und sicherer für die Menschen zu machen. | |
21 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.economist.com/business/2024/07/04/panic-rooms-and-private-bunke… | |
[2] /Zwei-Jahre-russischer-Angriffskrieg/!5989463 | |
[3] /Ikonisches-Attentats-Foto/!6024573 | |
[4] https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/der-begriff-angst/5741 | |
[5] /Angriff-auf-Israel/!5965719 | |
## AUTOREN | |
Hagai Dagan | |
## TAGS | |
Kolumne Fernsicht | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Donald Trump | |
Social-Auswahl | |
Kolumne Fernsicht | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt AfD | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Israel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sechs Strategien gegen Rechts: Von Israel lernen | |
Die israelische Linke hat viel Erfahrung mit dem Kampf gegen rechte | |
Parteien. Davon könnte sich die deutsche Linke das eine oder andere | |
abschauen. | |
Florian Schroeder über das Böse: „Der Begriff ‚böse‘ erklärt nichts“ | |
Putin, Hamas, Nazis: Sind wir wieder im Kampf Gut gegen Böse? Der Satiriker | |
Florian Schroeder sagt: Nein. Dieses Denken sei kontraproduktiv. | |
Aufgeben ist keine Option: Wer hat noch Angst vor der Zukunft? | |
„Wir erleben, wie die Faschisten an die Regierungsmacht kommen“, schreibt | |
Mely Kiyak. Was folgt daraus für unser Schreiben, für unser Engagement? | |
Russischer Angriffskrieg in der Ukraine: Ein geschützter Raum | |
Was tun gegen die russischen Angriffe? In Cherson stellen zwei junge Männer | |
aus Odessa mobile Bunker an Plätzen und Bushaltestellen auf. | |
USA zu Israels Siedlungspolitik: Die Siedler und ihre Freunde | |
Der US-Schritt, Israels Siedlungspolitik nicht mehr als illegal zu | |
betrachten, stößt weltweit auf Kritik. Dahinter stehen Trumps | |
Nahost-Hardliner. |