# taz.de -- Schlechte Laune allerorten: Im Zweifel erst mal anschreien | |
> Wir alle kennen Menschen, denen es noch schlechter geht als uns. Deshalb | |
> müssen wir mehr über unser Befinden sprechen. | |
Bild: Die Krisen und Anstrengungen, die uns so wütend wie verletzlich machen, … | |
Es gibt derzeit keine einzige Person, der es gerade gut geht, glaube ich. | |
Und falls doch, ist sie zu höflich, es zuzugeben: Auf die Frage „Wie geht’s | |
dir?“ hat mir schon lange niemand mehr mit [1][„Danke, gut“] geantwortet. | |
Zumindest nicht überzeugend. Zum Glück gibt es genug brauchbare Floskeln, | |
die das „Ungut-Sein“ ausdrücken, aber dabei deutlich machen, dass man sich | |
nicht tiefer erklären will. Etwas stilvoller als „muss ja“ und vielleicht | |
sogar etwas weniger resigniert. | |
Wie soll es einem heutzutage schon gehen? [2][Trauer], Angst und Schmerz | |
sind normal. Gesundheitliche und finanzielle Sorgen obendrein. Wer | |
klarkommt in dieser Welt, ist entweder grandios im Ausblenden der Realität | |
oder hat den kompletten Privilegienkatalog durchgeliefert bekommen. | |
Oft will man nicht ins Detail gehen. Wir alle kennen Menschen, denen es | |
noch schlechter geht. Dann sind da noch diejenigen, von deren Leid wir aus | |
den Medien erfahren. Die eigene Traurigkeit, Alltagssorgen [3][und | |
Unsicherheiten] wirken belanglos im Strom schlechter Nachrichten. Wir | |
sollten trotzdem mehr über unser Befinden sprechen. | |
Ob Plenum, Podium oder U-Bahn: Die Pöbeleien erreichen eine ganz neue | |
Kraft. Online ist die Stimmung noch gereizter. Im Netz trifft Wut auf | |
Dünnhäutigkeit. Von den Insta-Kommentaren bis in den Familien-Chat: Von | |
passiv-aggressiven Hinweisen bis hin zu offenen Anfeindungen ist alles | |
dabei. | |
Besonders fällt mir das Misstrauen auf. Fast jeder Diskussion fehlt | |
Wohlwollen. Kein Vertrauensvorschuss für niemand. Wozu nachfragen, wie eine | |
Aussage gemeint ist? Im Zweifel erst mal anschreien. Motzen statt fragen. | |
Anklagen statt besprechen. | |
## Der Frust muss raus | |
Während meiner vielen Versuche, gemeinsam mit anderen die Welt etwas besser | |
zu machen, wurden mir unterschiedliche Methoden vorgestellt, die alle das | |
Ziel hatten, Machtstrukturen abzubauen und ein gutes Gesprächsumfeld zu | |
schaffen: Sei es durch quotierte Redner*innenlisten, Redezeitbegrenzung, | |
geschulte Moderation oder Konzepte wie gewaltfreie Kommunikation. | |
Der Versuch, gute Gespräche zu führen, war allen Gruppen, mit denen ich zu | |
tun hatte, wichtig. Doch von diesen Versuchen des respektvollen Umgangs, in | |
dem sich möglichst viele sicher fühlen, ihr Wissen beizutragen, Fragen zu | |
stellen, ihre Meinung zu äußern und für sich einzustehen, ist kaum noch was | |
zu merken. | |
In den letzten Wochen habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, so oft wie | |
möglich nachzufragen, wenn ich angepöbelt werde. Ich bekam viele | |
Erklärungen, auch Entschuldigungen. Genannte Gründe waren sehr ähnlich. | |
Leute bezeichneten sich selbst als überfordert, leicht reizbar und | |
irgendwie schnell getriggert. Der Frust muss raus, manchmal trifft es eben | |
die Falschen. | |
Ich will niemanden aufrufen, sich zu beruhigen: Die Krisen und | |
Anstrengungen, die uns so wütend wie verletzlich machen, lassen sich nicht | |
weg-atmen. Aber könnten wir vielleicht mehr darüber sprechen, dass es uns | |
einfach nicht gut geht? Dass wir emotional berührt und angeknackst sind? | |
Können wir eine Runde zusammen weinen und schreien, statt uns anzubrüllen | |
und unseren Schmerz als politisch benennen? Vielleicht bleibt dann etwas | |
mehr Kraft, sich den Themen und politischen Aufgaben zu widmen, die dazu | |
beitragen, dass es uns allen wieder besser geht. | |
25 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Simone Dede Ayivi | |
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