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# taz.de -- Selbsthilfegruppe für Klimagefühle: Klimatränen, Klimawut
> In Gesprächsrunden in Hannover reden Aktivist*innen über ihre
> Emotionen: Wut, Ängste, Enttäuschung. Einer bringt einen Strohhalm
> Optimismus mit.
Bild: Hat man nicht guten Grund, da traurig zu werden? Ein vom Hochwasser über…
Hannover taz | Dirk Landsberg brauchte früher nie einen Antrieb, um
optimistisch zu sein. Er war es grundlos, sagt er. Doch während der
[1][Pandemie] änderte sich das. Landsberg ist Chemiker, als
Naturwissenschaftler interessierte ihn, wie viele falsche Fakten über
Corona im Umlauf waren. Er begann sich mit Studien zu beschäftigen, stieß
dabei auf Untersuchungen zur Nachhaltigkeitskrise und las bald eine
[2][klimawissenschaftliche Studie] nach der anderen. Seitdem ist der
Optimismus des 41-jährigen Vaters zweier Kinder wackelig geworden.
Er hätte nie gedacht, dass er mal so etwas wie eine Selbsthilfegruppe
brauchen würde, sagt Dirk Landsberg. Jetzt sieht er das anders. Als er beim
Klimastreik im vergangenen Jahr einen Flyer für eine Veranstaltung der
[3][Psychologists for Future] in die Hand gedrückt bekommt, beschließt er,
dorthin zu gehen.
Seit März 2023 veranstalten Psycholog*innen in einem Hannoveraner
Kulturzentrum [4][Gesprächsrunden, die sie Klimacafé nennen]. Es geht um
Sorgen, Ängste, Wut, Trauer oder Hoffnung, die Menschen in Verbindung mit
der Klimakrise haben. Sie sind überzeugt, dass diese Gefühle durchlebt
werden müssen, um ins Handeln zu kommen.
Die Runde findet in einem soziokulturellen Zentrum statt, in dem es sonst
Kinderdisko und Kabarett gibt. „Wir haben uns bewusst dazu entschieden, es
in diesem eher bürgerlichen Rahmen stattfinden zu lassen, damit sich nicht
nur Klimaaktivist*innen angesprochen fühlen“, sagt Monika Krimmer,
Gründerin der Psychologists for Future in Hannover.
## Zu Beginn schweigen sie
Dirk Landsberg hat an diesem Tag Anfang 2024 noch mit seiner Familie
Abendbrot gegessen und ist nun extra mit dem Auto aus dem Hannoveraner
Umland hergekommen. Er ist zum zweiten Mal hier, zielstrebig läuft er zu
dem richtigen Raum im Kulturzentrum und setzt sich zwischen die anderen in
den Stuhlkreis.
In dem kahlen Seminarraum versammeln sich nach und nach acht 40- bis
80-Jährige. Schweigend warten sie darauf, dass die beiden
Psycholog*innen Katja Püttker und Heribert Gröhl die Sitzung eröffnen.
In der Vorstellungsrunde erzählen die Teilnehmenden von ihrem Aktivismus
bei den Omas for Future, Engagement bei den Grünen, von Besetzungen oder
ihrem Versuch eines nachhaltigeren Alltags. Ein über 70-Jähriger sagt mit
zerknirschtem Gesicht, dass er heute mit dem Auto zum Bahnhof fahren
musste: „[5][Bei uns herrscht noch Hochwasser], und ich bin deshalb schon
vor ein paar Tagen mit dem Fahrrad umgekippt.“
Sie berichten wie Dirk Landsberg von ihren Sorgen um die Zukunft, ihrer Wut
über politische Entscheidungen und der Enttäuschung über erwachsene Kinder,
die sich nicht um das Klima scheren. Erst als der nächste Punkt schon
begonnen hat, trudeln noch drei jüngere Menschen Anfang 20 ein. Landsberg
sitzt mit Hoodie und Cap in diesem Mehrgenerationenkreis sehr verschiedener
Menschen. „Das gibt mir das Gefühl, eben nicht nur in einer bestimmten
Bubble zu sein“, sagt er.
## Aktivist*innen zeigen sich verletzlich
Eine Aktivistin [6][vom Bündnis „Leinemasch bleibt“] berichtet von der
Räumung eines besetzen Waldstücks. Bäume wurden für einen Ausbau der
Hannoveraner Umgehungsstraße gefällt. „Alles, was wir die letzten beiden
Jahren aufgebaut haben, wurde einfach innerhalb von zwei Tagen zerstört.
Und natürlich die Bäume, diese alten Bäume, an denen wir so lange vorbei
gelaufen sind – einfach umgefallen.“
Ihre Stimme bricht, sie hat Tränen in den Augen und räuspert sich. Die
anderen schweigen und schauen zu Boden; eine Frau hat ihr Gesicht in den
Händen versteckt. Man hört das Ticken der Uhr.
Von einem Teil der Gesprächsrunde sind Journalist*innen ausgeschlossen,
es soll ein geschützter Rahmen sein. Eine Psychotherapeutin erzählt, dass
in so einem Rahmen zum Beispiel Aktivist*innen aus Lützerath, die sonst
härter auftreten und teils auch in den Runden vermummt bleiben, ihre
verletzliche Seite zeigen.
„Das fühlte sich sehr stark nach Selbsthilfe an“, wird Dirk Landsberg
später über die heutige Runde sagen.
Das Paradoxe an Gefühlen in der Klimakrise ist, dass Ruhe manchmal
beunruhigen und Wut aufbauen kann. Landsberg zum Beispiel sagt, er werde
pessimistisch, wenn er von politischen Entscheidern vermittelt bekomme,
dass alles gut werde. Wenn er aber Klimaaktivist*innen von harten
Momenten wie Polizeigewalt sprechen höre, dann sei das schwer auszuhalten,
ihr Widerstand gebe ihm aber auch Kraft. Dirk Landsberg selbst sieht sich
noch nicht als Aktivist. Er ist den Grünen beigetreten und geht zu den
großen Klimastreikdemos.
Aber können solche Selbsthilfegruppen nach hinten losgehen? Verstärken
Betroffene in diesen Gruppen vielleicht sogar ihre Gefühle gegenseitig und
schaukeln sich hoch? Die Psychologin Monika Krimmer hat zwar schon erlebt,
dass die Klima-Gesprächsrunden emotional sehr schwer wurden, aber die
Psycholog*innen bringen das Gespräch zur Not mit Auflockerungsübungen
oder Zweieraustausch aus dieser Schwere.
Der Austausch bleibt in ihren Augen trotzdem wichtig. „Durch die Gruppen
werden die Leute in ihrem [7][Durchleben der Gefühle] gehalten.“ Emotionen
bewusst zu spüren, statt sie loswerden zu wollen, das raten Profis wie sie.
Und dabei zu merken, dass es anderen genauso geht. An diesem Tag sollen die
Menschen im Raum einen Satz vervollständigen, der beginnt mit: „[8][Meine
Hoffnung], was ich bewirken kann, ist …“
## Ein Strohhalm des Optimismus
Später erklingt ein Gong, danach wird es eine Minute lang still, viele
schließen ihre Augen. Als der Schweigemoment vorbei ist, können alle noch
mal, jetzt in Anwesenheit der Journalistin, frei über ihre Gefühle reden.
Eine Weile herrscht Stille.
Dirk Landsberg beginnt als Erster zu sprechen. Er dreht seinen Ring am
Ringfinger und sagt: „Bei mir sind zwei Gefühle vorherrschend: Ich bin
froh, dass wir hier zusammensitzen, unsere Gefühle teilen und schweigen
können. Aber ich bin auch wütend, dass es so etwas geben muss.“ Noch
schauen die Meisten in der Runde zu Boden. Es wird weitere drei
Redebeiträge dauern, dann sehen sie sich an und nicken sich zu.
Landsberg sagt hinterher, dass solche Gesprächsrunden zwar emotional
belastend seien, es ihm hinterher aber nie schlechter gehe als vorher. Er
ist motiviert, hierher zu kommen, seine Sorgen mitzuteilen. Aber in der
Runde merkte er auch, dass andere noch viel geknickter sind als er. In
solchen Momenten meldet sich dann doch wieder der alte Optimist in ihm.
„Vielleicht konnte ich ihnen ja einen Strohhalm meines Optimismus
mitgeben.“
Nach der Abschlussrunde spricht Dirk Landsberg seinen Sitznachbarn an. Er
möchte noch weiter über das Thema von vorhin reden: Was können sie nun ganz
konkret als Nächstes tun? Briefe an Abgeordnete schreiben, die Presse
kontaktieren? Es dauert noch lange, bis die letzte Person aus dem Raum
verschwunden ist.
Dieser Text ist Teil eines Rechercheprojekts zu Klimawandel und Gesundheit,
das von der [9][taz Panter Stiftung] unterstützt wird.
21 Feb 2024
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
[2] /Studie-zum-Klimaschutz/!5913111
[3] /Psychologists-for-Future/!5902231
[4] /Hilfe-fuer-Aktivistinnen/!5927655
[5] /Hochwasser-in-Niedersachsen/!5981359
[6] /Rodung-befuerchtet/!5979851
[7] /Psychologe-ueber-Klima-Angst/!5922795
[8] /Philosophie-ueber-Hoffnung/!5903044
[9] /!v=e4eb8635-98d1-4a5d-b035-a82efb835967/
## AUTOREN
Jelena Malkowski
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
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