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# taz.de -- Grüne über Landtagswahl in Bayern: „Das war eine Eskalation“
> Die Grünen werden im bayerischen Wahlkampf angefeindet. Wie gehen die
> Spitzenkandidat:innen Katharina Schulze und Ludwig Hartmann damit
> um?
Bild: Bayerns grünes Spitzenduo Ludwig Hartmann und Katharina Schulze Ende Sep…
wochentaz: Wir sitzen hier in München bei strahlendem Sonnenschein im
Biergarten, dem schönen Hofbräukeller. Die Leute essen Hendl, Schweinshaxn
und Spareribs, aus konventioneller Tierhaltung. Sollten Sie in der
bayerischen Staatsregierung sitzen, wie werden Sie diesem sündigen Treiben
Einhalt gebieten?
Katharina Schulze: Leben und leben lassen, heißt es so schön in Bayern. Und
genau mit dieser Weisheit halten wir Grüne es auch.
Ludwig Hartmann: Jeder kann auf dem Teller haben, was er möchte, aber die
Landwirte sollen davon gut leben können.
Markus Söder und Hubert Aiwanger erzählen uns aber jeden Tag, dass Sie die
Bayern zwangsveganisieren wollen.
Schulze: Cem Özdemir hat mal gesagt: Wenn Sie wollen, dann stellen sie sich
jede Stunde den Wecker, um Fleisch zu essen. Das hat mir gut gefallen.
Unserer Meinung nach sollte jeder und jede das essen, was er oder sie will.
Aber diese Behauptungen verfangen. Fleisch, Gendern, Auto – warum ist es so
leicht, Ihnen das Image der Verbots- und Umerziehungspartei zu verpassen?
Hartmann: Ich bin mir gar nicht so sicher, inwieweit das wirklich verfängt.
Klar, in den Bierzelten kommt Söder damit an. Aber ich würde mir als
Ministerpräsident schon mal Gedanken machen, wenn ich mein Publikum nur zum
Klatschen und Johlen bringe, indem ich einen Mitbewerber niedermache, aber
nicht mit eigenen Ideen.
Bei der letzten Wahl hatten Sie 17,6 Prozent, in Umfragen liegen Sie jetzt
bei 15. [1][Die Freien Wähler dagegen legen seit der Aiwanger-Affäre um das
antisemitische Flugblatt zu.] Wenn’s dumm läuft, landen Sie auf Platz 4
hinter der AfD.
Hartmann: Nach den derzeitigen Umfragen fahren wir Grüne immer noch das
zweitbeste Ergebnis unserer Geschichte ein, während Söder mit dem
zweitschlechtesten rechnen muss.
Es ist ja ein Kulturkampf, den Söder und auch Aiwanger hier beschwören. Was
setzen Sie dem entgegen?
Schulze: Wir gehen raus, reden mit allen Menschen. Natürlich müssen wir
auch in Kommunikationsfragen klarer, vielleicht auch durchdringender
werden. Und wir müssen wieder die positive Erzählung nach vorne stellen,
zeigen, was man gewinnt, wenn man beispielsweise Klimaschutz macht:
billigen Strom, lebenswerte Städte.
Beim Thema Zuwanderung, das die Bayern Umfragen zufolge am meisten
beschäftigt, sind Sie auch sehr defensiv. Warum überlassen Sie das Feld den
anderen?
Schulze: Das tun wir nicht. Im Landtag haben wir schon viele Anträge für
eine gelingende Integration eingebracht, in unserem Regierungsprogramm
haben wir uns klar positioniert. Viele Kommunen sind am Rande der
Belastungsgrenze und manche sogar da-rüber hinaus. Wir sind im regelmäßigen
Austausch mit unseren Kommunalpolitikern. Aber Söder kann sich hier nicht
aus der Verantwortung stehlen. Der Bund hat Bayern beispielsweise 79
Millionen Euro für die Unterbringung ukrainischer Geflüchteter gegeben.
Gerade mal 36 Millionen davon hat Söder an die Kommunen weitergegeben.
Vizekanzler Robert Habeck meint, die Grünen müssten „die Wirklichkeit
annehmen und die konkreten Pro-bleme lösen – [2][auch wenn es bedeutet,
moralisch schwierige Entscheidungen zu treffen“.] Haben die Grünen Probleme
mit der Wirklichkeit?
Hartmann: Wir haben in den letzten zwei Jahren mehr als deutlich gemacht,
wie sehr wir in der Realität agieren. Waffenlieferungen an die Ukraine,
eine fossile Energiepreisbremse, die wir uns so sicher nicht vorgestellt
hätten, Flüssiggas auch aus Ländern beziehen, die keine Demokratien sind:
An all diese Themen gehen wir mit großem Pragmatismus ran. Dazu gehört für
mich aber beim Thema Migration auch, dass jemand natürlich bleiben kann,
wenn sie oder er hier ist und schon Arbeit hat – unabhängig vom
Schutzstatus. Das ist ja jetzt über den Spurwechsel auch möglich.
Muss Zuwanderung begrenzt werden?
Hartmann: Wir müssen unterscheiden: Wer vor Krieg und Vertreibung flieht,
genießt bei uns Schutz. Da kann es auch keine Höchstgrenze geben. Anders
ist es bei denen, die keinen Schutzstatus kriegen. Und bei der
Arbeitsmigration kann man natürlich darüber reden, wie viele Menschen zu
uns kommen sollen.
Konkret: [3][Viele Kommunen stöhnen, dass sie mit der Zahl der Geflüchteten
überlastet sind.] Wie würden Sie denen helfen?
Schulze: Indem wir zum Beispiel ganz konkret für Bayern 500 Millionen extra
an die Kommunen auszahlen wollen, damit die eben auch schnell
Unterbringungsmöglichkeiten bereitstellen können. Wir müssen nachhaltig
finanzierte kommunale Integrationszentren schaffen, die Behördengänge
beschleunigen, Sprachkurse ab dem ersten Tag anbieten. Jeder, der bei uns
Arbeit findet, soll sie auch annehmen dürfen.
Was sagen Sie der Bürgermeisterin, die klagt, sie habe einfach keinen Platz
mehr?
Hartmann: Dass wir die Verfahren beschleunigen müssen. Wenn einer, der
keinen Schutzstatus bekommt und hier keiner Arbeit nachgeht, zügig
zurückgeführt wird, dann wird die Kommune ja auch entlastet. Und wer
arbeitet, der belastet sie ja nicht. Meine Vision wäre eigentlich, dass in
Zukunft jeder, der bei der Ausländerbehörde aufschlägt, im Anschluss gleich
eine Beratung bei der Handwerkskammer oder beim Jobcenter bekommt. Ich
würde den Menschen sogar noch während ihres Verfahrens den Zugang zum
Arbeitsmarkt öffnen.
[4][Die Grünen werden im Wahlkampf angefeindet wie keine andere Partei.] In
Chieming brauchten Sie massiven Polizeischutz, in Neu-Ulm hat ein Mann
einen Stein in Ihre Richtung geworfen. Woher kommt diese Aggressivität?
Hartmann: Das war eine Eskalation, die wir so nicht kannten. Wir erleben
jetzt schon sehr lang, dass eine massive populistische Spaltung zwischen
Stadt und Land herbeigeredet wird, von Söder, noch extremer von Aiwanger.
Die beiden haben einen Keil in die Gesellschaft hineingetrieben, was
natürlich auch die Stimmung aufgeheizt hat. Der Stein hat zwar uns
gegolten. Er hat aber nicht uns verletzt, sondern die demokratischen Werte.
Schulze: Es ist ein Schock, wenn plötzlich ein Stein in deine Richtung
fliegt. Man muss aber auch sagen: Fälle wie in Chieming und Neu-Ulm sind
Ausnahmen. Ludwig und ich machen ja seit Anfang August mehrere
Veranstaltungen pro Tag, und in den allermeisten Fällen haben wir tolle
Begegnungen mit Menschen. Die Hetze im Netz dagegen ist tatsächlich
unerträglich.
Die kriegen Sie, Frau Schulze, ja ganz besonders ab. Wie gehen Sie damit
um?
Schulze: Ich würde jetzt gerne sagen, ich kann das total gut ab, aber das
stimmt nicht. Auf der einen Seite bin ich es – so traurig das klingt –
tatsächlich schon gewohnt. Seit ich Politik mache, scheint es gewisse
Menschen zu triggern, dass ich als Feministin, als Antifaschistin klar
meine Meinung sage. Es gibt Tage, da geht es mir wirklich nahe, an anderen
Tagen kann ich es ganz gut an mir abprallen lassen. Alles, was
strafrechtlich relevant ist, zeige ich an. In die Aktion zu kommen hilft.
Die CSU hat sie ja [5][zum Hauptgegner erkoren.] Und dennoch werden Sie
nicht müde, um die Gunst der CSU zu buhlen. Sie, Herr Hartmann, sind
bekannt als Bayerns größter Fan von Schwarz-Grün.
Hartmann: Mich treibt diese Spaltung von Stadt und Land um, die immer mehr
gegeneinander ausgespielt werden. Dabei müssen wir einen Weg finden, die
Gesellschaft wieder zusammenzuführen. Einer schwarz-grünen Regierung könnte
das gelingen, sie könnte das Beste aus zwei Welten zusammenbringen.
Was ist denn das Beste aus der Welt der CSU?
Hartmann: Gutes bewahren zu wollen, das unterstützen wir. In einer sich
rasant verändernden Welt geht das aber nicht, ohne sich anzupassen. Beim
Thema Innere Sicherheit hat die CSU einen guten Stand, das muss man
anerkennen. Auch bei der Entwicklung des ländlichen Raums hat sie einiges
erreicht, zum Beispiel Hochschulen in die Fläche gebracht. Auch an dem
starken Wirtschaftsstandort Bayern hat die CSU ihren unbestrittenen Anteil.
Unsere Aufgabe wäre jetzt, dieses Fundament in eine Zukunft zu führen, wo
wir auf Erneuerbare Energien, auf Klimaschutz setzen, auf eine moderne
Integrationspolitik.
Schulze: Und auf eine gute Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur, sodass
wir das Potenzial der vielen Frauen in Bayern heben können, die top
ausgebildet sind, gerne mehr arbeiten würden, aber nicht können, weil es
nicht genug Kitaplätze gibt, zu wenige Lehrkräfte, und weil die Schule oft
ausfällt. Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss für alle leichter
möglich sein.
Für Söder kommen die Grünen ja nicht in Frage, weil sie seiner Meinung nach
kein Bayern-Gen haben.
Schulze: So ein Schmarrn! Bei der letzten Landtagswahl haben 17,6 Prozent
der Bayerinnen und Bayern Grün gewählt. Will er knapp 2,4 Millionen
Menschen das Bayern-Sein absprechen? Das ist doch einfach nur absolut
absurd. Und ehrlich gesagt: eines Ministerpräsidenten auch nicht würdig.
30 Sep 2023
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## AUTOREN
Dominik Baur
Sabine am Orde
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