# taz.de -- Wahlkampf mit Argrarminister Özdemir: Bayrische Bauern übertönen… | |
> Landwirtschaftsminister Özdemir und die grüne bayrische Spitzenkandidatin | |
> Schulze treffen im Chiemgau wütende Landwirte und rechte Pöbler. | |
Bild: Als Grüner in Bayern, das ist kein Heimspiel: Landwirtschaftsminister Ö… | |
HART taz | Das Schrillen von Hunderten Trillerpfeifen, drei Stunden lang, | |
Rufe von „Grüne Sau, hau ab“ bis „Wir sind das Volk“. Inmitten der | |
idyllischen Hügel des Chiemgaus. Der Dienstagabend war ein Härtetest für | |
die Grünen im bayrischen Wahlkampf – und für die Demokratie auf dem Land. | |
Mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir war die Bundesregierung ins | |
Bierzelt gekommen, nach Hart, einem 500-Seelen-Dorf zwischen München und | |
Salzburg. An diesem Abend feierten die Freiwillige Feuerwehr und der | |
Burschenverein in diesem Jahr ihre Jubiläen. Traditionell gibt es in | |
solchen Festwochen auch politische Abende. Bevor in der kommenden Woche | |
[1][CSU-Ministerpräsident Markus Söder] im Harter Bierzelt spricht, hat der | |
grüne Kreisverband Traunstein die bayrische Spitzengrüne Katharina Schulze | |
und Özdemir eingeladen. | |
Anfang Oktober [2][wählen die Bayer:innen einen neuen Landtag]. Die 1946 | |
bis 1954 und durchgängig seit 1957 regierende CSU kommt aktuellen Umfragen | |
zufolge auf ungefähr 40 Prozent, die Grünen auf 14 bis 15 Prozent der | |
Stimmen. Bei der Wahl möchten sie so stark werden, dass Söder, der sein Amt | |
vermutlich verteidigen kann, als Koalitionspartner nicht an ihnen | |
vorbeikommt. Söder spricht den Grünen gern das „Bayern-Gen“ ab, im Bierze… | |
soll der Gegenbeweis angetreten werden, so offenbar das Kalkül. | |
Schulze ist die Richtige für so einen Auftritt, mögen die Grünen gedacht | |
haben. Dass die 37-Jährige Ausstrahlung hat und gut reden kann, geben | |
selbst politische Konkurrent:innen zu. Und der Chiemgau bietet durchaus | |
ein Potenzial für die Grünen. Mit Sepp Daxenberger wurde hier 1996 der | |
erste grüne Bürgermeister Bayerns gewählt, in Waging am See. Auch in Bergen | |
regiert mittlerweile ein Grüner, in Grassau ein schwuler SPDler. Bei | |
diesen Machern vor Ort tritt die Parteizugehörigkeit in den Hintergrund. | |
## Raunen über Pharmakonzerne und DDR-Verhältnisse | |
Beim Besuch der grünen Promis aus München und Berlin jedoch entlud sich die | |
Wut auf die Ampel und die grüne Partei in einer Wucht, die alle | |
Verantwortlichen überraschte. Für ländliche Verhältnisse war der Andrang | |
enorm. 2.500 Menschen fanden im Festzelt Platz, weitere 300 hielten davor | |
aus. „Wir wollen keinen Obrigkeitsstaat, auch keinen bunten“, war dort auf | |
einem Plakat zu lesen. „US-Terror“, „Liaba Maßkriag wia Weltkriag“ auf | |
anderen. Von DDR-Verhältnissen und der Unterwanderung der Grünen durch | |
Pharmakonzerne und US-amerikanische Philanthropen war die Rede. Ein | |
Vertreter des rechtsextremen Compact-Magazins bewegte sich mit | |
Sympathisant:innen über das Gelände. | |
Auf der anderen Seite des Zeltes stellten Bauern schon vor der | |
Veranstaltung etwa 20 Traktoren in eine Reihe, daran Banner mit der | |
Aufschrift „Bauerntod jetzt und hier, schuld sind Grüne und Özdemir“. Den | |
Protest der Landwirt:innen hat Tobias Heiß mitorganisiert, er drückte | |
den zum Zelt Strömenden pinke Trillerpfeifen in die Hand. Im Gespräch mit | |
der taz kritisiert er die Ampel für ihre „Politik über die Köpfe hinweg“. | |
Das treffe auf das Gebäudeenergiegesetz zu wie auch auf die Stilllegung | |
landwirtschaftlicher Flächen, aus ökologischen Gründen wie auch für die | |
Regulierung des Nahrungsmittelmarktes. | |
Auch Bio-Bauern kamen mit kritischen Fragen an die Landwirtschaftspolitik | |
der Grünen nach Hart. Doch die Positionen der Politiker:innen hören | |
konnten sie kaum, den über zwei Stunden hinweg übertönte ein organisiertes | |
Pfeifkonzert die Redebeiträge fast völlig. Verängstigt oder genervt verließ | |
deshalb eine ganze Reihe Besucher:innen die Veranstaltung. Vom | |
Abbrechen war an den Tischen der Interessierten die Rede. | |
Doch die Landtagsabgeordnete Gisela Sengel und Katharina Schulze hielten | |
dem Pfeifen zum Trotz ihre Reden. „Bei all den Trillerpfeifen nehme ich | |
wahr, dass auch ihr nicht zufrieden seid mit der CSU-Politik in der | |
Landesregierung“, versuchte Schulze die Störer:innen auf ihre Seite zu | |
ziehen. Einen großen Teil ihrer Redezeit verwendete sie schließlich auf den | |
Wert demokratischer Debatte. „Auf unsere Demokratie“, rief Schulze zum | |
Schluss und hob ihren Maßkrug. Die Blaskapelle Traunwalchen antwortete mit | |
einem Tusch. | |
Dem Festleiter Andreas Mayer und dem CSU-Bürgermeister der Gemeinde | |
Chieming, Stefan Reichelt, gelang es schließlich, zumindest Cem Özdemir | |
besseres Gehör zu verschaffen. Bei aller Kritik an den Grünen müsse es | |
möglich sein, den Redner anzuhören, sagten die beiden zu der trillernden | |
Menge. Der Lärm ließ zumindest ein wenig nach. „Lasst ihn reden. Auf unsere | |
Demokratie sind wir stolz“ sagte Reichelt, wenn auch ein wenig spät am | |
Abend. | |
Özdemir streckte dann in seiner Rede auch die Hand Richtung Konservative | |
aus, betonte als Schwabe die eigene „Art, wie wir im Süden Politik machen“, | |
und führte eine Art Faktencheck in eigener Sache vor. Ohrenbetäubend laut | |
wurden seine Kritiker:innen erst wieder, als Özdemir das | |
Matthäus-Evangelium zitierte: „Nicht sieben mal sollt ihr vergeben, sondern | |
siebzig mal sieben mal.“ Mit dem Evangelium konnten sie im Chiemgau noch | |
nie viel anfangen. Vielleicht, weil das nach evangelisch klingt. Und da | |
sind die Bayern doch anders als die Schwaben. | |
2 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Markus-Soeder-im-Wahlkampf/!5947595 | |
[2] /CSU-Parteitag-in-Nuernberg/!5932573 | |
## AUTOREN | |
Stefan Hunglinger | |
## TAGS | |
Landtagswahl Bayern | |
Cem Özdemir | |
Rechtsextremismus | |
Bauern | |
Grüne Bayern | |
Landtagswahl Bayern | |
Hubert Aiwanger | |
Artgerechte Tierhaltung | |
Markus Söder | |
Migration | |
CSU | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Grüne über Landtagswahl in Bayern: „Das war eine Eskalation“ | |
Die Grünen werden im bayerischen Wahlkampf angefeindet. Wie gehen die | |
Spitzenkandidat:innen Katharina Schulze und Ludwig Hartmann damit um? | |
Nazi-Pamphlet: Diese Recherche war nötig | |
Im Zuge der Affäre um Hubert Aiwanger gibt es Kritik an der „Süddeutschen | |
Zeitung“. Darf man in dieser Form über einen Skandal berichten? | |
Antisemitismus-Vorwurf gegen Aiwanger: Nazi-Geschmier in der Schultasche | |
Der bayerische Vize-Ministerpräsident Aiwanger hatte als Schüler eine | |
antisemitische Hetzschrift in der Tasche. Verfasst haben will sie sein | |
Bruder. | |
Umstieg auf Biolandwirtschaft: Weniger Schweine, mehr Glück | |
Bauer Dirk Hopmann macht das, was Bundesagrarminister Özdemir und | |
Umweltverbände propagieren: weniger Tiere, aber die besser halten. | |
Funktioniert das? | |
Markus Söder im Wahlkampf: Der Würstchen-Populist | |
Markus Söder schürt Ängste und nimmt es mit Fakten nicht so genau. Stellt | |
sich in Bayern im Herbst ein kleiner Trump zur Wiederwahl? | |
Perspektiven für Geduldete in Bayern: Ohne Pass keine Chance | |
Der Chancenaufenthalt soll geduldeten Migranten eigentlich neue | |
Perspektiven geben. In Bayern ist die Sache jedoch nicht so einfach. | |
CSU-Klausurtagung in Andechs: Botschaft vom heiligen Berg | |
Die CSU hat im idyllischen Kloster Andechs getagt. Das Ergebnis: | |
Forderungen nach mehr Elterngeld, ein Ende von „Habecks-Heiz-Hammer“ und | |
übliches Ampel-Gebashe. |