# taz.de -- Vor der Landtagswahl in Bayern: Ein paar Stunden eine bessere Welt | |
> Der Widerstand gegen Rassismus ist eher lau – sogar vor der Landtagswahl | |
> in Bayern. Doch zur jüngsten Demo gegen Rechts in München kamen 35.000 | |
> Menschen | |
Bild: Demo gegen Rechts am Münchner Odeonsplatz am 4. Oktober | |
Wo kommen all diese Menschen her? Ein Meer aus Demonstrierenden, Bannern, | |
Regenbogenfahnen, Plakaten gegen rechts – und das am [1][Odeonsplatz, der | |
den Nazis im „Dritten Reich“ einst als zentraler Ort für | |
Propagandaveranstaltungen diente]. | |
Heute ist er zum Bersten voll mit Menschen, die sich gegen rechts | |
positionieren. Auf dem Dach der Bayerischen Staatsoper um die Ecke weht | |
eine meterhohe Fahne mit der Aufschrift „Humanität, Vielfalt, Respekt“. Als | |
der Günther Sigl von der Band Spider Murphy Gang ruft, er wünsche sich ein | |
Bayern „ohne braunen Dreck“, tönt und lärmt die Menge. | |
Zuerst sind es ein paar Tausend, dann Zehntausend, irgendwann 35.000 | |
Menschen, die sich hier versammelt haben. Sonst wirkt es oft so, als wäre | |
die Protestkultur in München im dauerhaften Winterschlaf. | |
[2][Nachdem der bayerische Ministerpräsident Markus Söder beschlossen | |
hatte, Hubert Aiwanger trotz der Antisemitismusvorwürfe im Amt zu lassen], | |
bleibt der große Widerspruch auf den Straßen aus. Zu Recht fragen sich | |
viele Menschen, warum sich in Bayern nicht mehr Widerstand regt. Im | |
Gegenteil legen die Freien Wähler Hubert Aiwangers in Umfragen auch noch | |
kräftig zu. Auch die AfD hat in Wahlumfragen [3][zur Landtagswahl] | |
Zustimmungswerte von fast 14 Prozent. Vor einem Jahr lagen die Grünen noch | |
12 Prozentpunkte vor der AfD. | |
Zu einer Mahnwache zur Causa Aiwanger am Maxmonument vor dem Bayerischen | |
Landtag kamen nur etwa 150 Menschen. | |
## Spürbare Veränderung | |
Gleichzeitig wächst das Unbehagen unter vielen Schwarzen, jüdischen, | |
queeren, muslimischen, migrantischen oder anderen von rechtsextremer | |
Politik bedrohten Menschen. | |
Nun verändert sich spürbar etwas: auf der Straße, in den sozialen Medien, | |
in der politischen Debatte. In den letzten Tagen bin ich immer wieder Teil | |
von Unterhaltungen, in denen Menschen über das Auswandern nachdenken. Viele | |
in meinem Umfeld in München haben jahrelang gegen Antisemitismus und | |
Rassismus gekämpft, für eine andere Erinnerungskultur, die rechte Gewalt | |
nicht nur in der Vergangenheit verortet; gegen eine politische Debatte, die | |
den Ursprung gesellschaftlicher Probleme nicht immer wieder bei | |
Migrant*innen sucht. Viele sind jetzt müde davon, haben Angst oder | |
spüren ein erdrückendes Gefühl der Ohnmacht. | |
Doch am 4. Oktober ist für ein paar Stunden alles anders. München | |
überrascht: 4.000 Menschen hatten die Veranstalter der Kundgebung | |
„Zammreißen – Bayern gegen Rechts“ angemeldet, doch die Demo wird jeden | |
Rahmen sprengen: Unablässig strömen mehr Menschen auf den Odeonsplatz. Eine | |
Viertelstunde nach Beginn sind alle Zugänge schon verstopft, die | |
Ordner*innen wirken recht hilflos dabei, die Menschenströme zu | |
organisieren: junge und ganz junge Menschen, Kinder, aber noch mehr | |
mittelalte und ältere Menschen. | |
Trotz der Massen ist die Stimmung friedlich, fast andächtig. Es wird nicht | |
gerempelt oder geschubst. | |
## OB, XR und FCB | |
Faszinierend ist, was für eine Bandbreite an Menschen unterschiedlicher | |
Organisationen und politischer Orientierung sich hier für einen Nachmittag | |
auf etwas einigen können: Der SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter ist hier, | |
aber auch Mitglieder der Grünen, der Linken, von Fridays for Future, | |
Extinction Rebellion, aber auch Uli Hoeneß vom FC Bayern. | |
Es tut über allen Maßen gut, für ein paar Stunden auf allen Seiten von | |
Menschen umgeben zu sein, die den spürbaren Rechtsruck auch unerträglich | |
finden. Die Solidarität zu spüren, die einem als Betroffener von Rassismus | |
und anderen Arten der Menschenfeindlichkeit zu oft abgeht. Ich treffe auf | |
die Leiterin des NS-Dokuzentrums, Mirjam Zadoff. Wir sind beide | |
erleichtert.Einen Abend lang fühle ich mich von meiner Stadt umarmt. Ich | |
bin versöhnt mit Bayern. Bei einem Moment wird es aber wahrscheinlich | |
leider auch bleiben: Einen großen Wandel der Wählergunst wird es bis zur | |
Landtagswahl am Sonntag nicht geben. Trotzdem zeigt es, dass Betroffene in | |
ihrem Kampf gegen rechts nicht alleine sind – auch nicht in Bayern. | |
5 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Nabila Abdel Aziz | |
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