# taz.de -- Streit über ETA-Doku: Vorwurf der Weißwaschung | |
> Ein Dokumentarfilm über ein bekanntes Mitglied der baskischen ETA beim | |
> Filmfestival in San Sebastian hat in Spanien einen erbitterten Streit | |
> ausgelöst. | |
Bild: Der frühere ETA-Anführer Josu Urrutikoetxea vor 20 Jahren | |
Skandale um Filme auf Festivals sind nichts Neues. Doch dieses Jahr | |
erwischt es das [1][Internationale Filmfestival von San Sebastián], noch | |
bevor die Türen öffnen. Am 22. Februar soll die dem spanischen Kino | |
gewidmete Sektion des Festivals „Made in Spain“ mit [2][„No me llamo | |
Ternera“ – „Ich heiße nicht Ternera“] – beginnen. Der bei Netflix | |
erschienene Dokumentarfilm beschäftigt sich mit Josu Urrutikoetxea | |
(Kampfname Josu Ternera), dem bekannten Mitglied der vor mehr als einem | |
Jahrzehnt aufgelösten, bewaffneten baskischen Separatistenorganisation ETA. | |
Das führt zu Protesten. „Weißwaschung des Terrorismus“ sei der Streifen, | |
beschweren sich 514 Unterzeichner eines Manifests. Philosoph Fernando | |
Savater, Schriftsteller wie Félix de Azúa oder Fernando Aramburu, | |
Journalisten, Uniprofessoren und Angehörige von ETA-Opfern fordern die | |
Absetzung des Dokumentarfilms. Die Festivalleitung will davon nichts | |
wissen. ETA und Gewalt sei von jeher ein Thema auf dem Festival gewesen. | |
Der Großteil des Filmes ist ein Interview mit dem 72-jährigen Josu | |
Urrutikoetxea, Kampfname Josu Ternera, der in Frankreich lebt und unter | |
Auflagen auf ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen | |
Vereinigung wartet. Geführt wurde das Gespräch von dem in Spanien bekannten | |
TV-Journalisten Jordi Évole. | |
## Eine Vorverurteilung | |
Mit Politikern wie dem ehemaligen Ministerpräsidenten José María Aznar oder | |
Felipe González bis hin zu Papst Bergoglio brachte Évole immer wieder | |
bekannte Persönlichkeiten zur Prime Time zu langen Interviews vor die | |
Kamera. | |
„Wir verstehen, dass ein Film, der ein Interview mit einem historischen | |
ETA-Mitglied enthält, Diskussionen auslösen kann. Aber es wundert uns, dass | |
darüber geurteilt und gar ein Aufführungsverbot gefordert wird, obwohl | |
keiner der Unterzeichner den Film gesehen hat“, erklären Évole und Co-Autor | |
Màrius Sánchez. „Wir hatten immer die Opfer der Gewalt von ETA im | |
Hinterkopf“, fügen sie hinzu. Am Anfang wie am Ende kämen Angehörige der | |
Opfer zu Wort. | |
Urrutikoetxea alias Ternera ist in Spanien allen ein Begriff. Er verkündete | |
persönlich am 3. Mai 2018 per Videobotschaft, dass ETA „ihre Strukturen | |
komplett auflöst“. Damals war er bereits 17 Jahre auf der Flucht. Ein Jahr | |
später wurde er in den französischen Alpen festgenommen. Urrutikoetxea ging | |
1971 – mit 21 Jahren – in den Untergrund. 1990 wurde er für mehrere | |
Überfälle zu zehn Jahren Haft verurteilt. Von 1998 bis 2002 saß er als | |
Abgeordneter im baskischen Parlament. | |
Gleichzeitig soll er in ETA Führungsaufgaben übernommen haben. Er soll | |
unter anderem einen Anschlag auf eine Kaserne der Guardia Civil angeordnet | |
haben, bei dem 11 Menschen ums Leben kamen, 88 wurden verletzt. Dafür | |
drohen ihm 2.354 Jahre Haft. Doch Frankreich wird „Ternera“ erst dann | |
ausliefern, wenn das Verfahren in Frankreich zu Ende ist. | |
## Die Justiz ist eingeschaltet | |
Über den Inhalt des Interviews ist wenig bekannt. Nur so viel haben die | |
Autoren bisher veröffentlicht: Urrutikoetxea habe zugegeben, dass er 1976 | |
an einem tödlichen Anschlag auf einen Bürgermeister im Baskenland beteiligt | |
war. Diese Tat allerdings kann gerichtlich nicht mehr verfolgt werden. Denn | |
1977, zwei Jahre nach Ende der Franco-Diktatur, wurde eine Amnestie für | |
alle politischen Straftaten – ob von links oder von rechts – erlassen. | |
Mittlerweile musste sich die Justiz mit dem unbekannten Werk Évoles | |
beschäftigen. Eine Gruppe von ETA-Opfern verlangte gemeinsam mit | |
Polizeigewerkschaften, dass ein Staatsanwalt den Film sichtet und | |
entscheidet, ob er wegen „Verherrlichung des Terrorismus“ verboten werden | |
muss. Es gebe keine „Vorzensur“, lehnte die Staatsanwaltschaft ab und | |
erinnerte daran, dass die Verfassung das Recht auf freie Meinungsäußerung | |
schützt. | |
18 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Filmfestival-San-Sebastian/!5800229 | |
[2] https://www.elperiodico.com/es/ocio-y-cultura/20230912/festival-san-sebasti… | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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