# taz.de -- Spielfilm zu Terror der baskischen ETA: Alles, was wir zeigen, ist … | |
> Die spanische Regisseurin Icíar Bollaín beschäftigt sich in ihrem neuen | |
> Spielfilm mit Folgen des ETA-Terrors. Ein Gespräch über Traumata und | |
> Aussöhnung. | |
Bild: Unter Polizeischutz: Die politisch engagierte Witwe Maixabel (Blanca Port… | |
Die spanische Regisseurin Iciár Bollaín behandelt in ihren Filmen immer | |
wieder politisch relevante Themen, die sie auf zwischenmenschliche | |
Konflikte herunterbricht, wie etwa im oscarnominierten Drama [1][„Und dann | |
der Regen“] der Konflikt um die Privatisierung der Trinkwasserversorgung in | |
Bolivien. | |
Ihr neuer Spielfilm „Maixabel“ erzählt nun die wahre Geschichte von | |
Maixabel Lasa, deren Mann Juan Marí Jáuregui von einem Kommando der | |
baskischen Terrorgruppe ETA ermordet wurde und die sich seit Jahren für den | |
Dialog zwischen Opfern und Tätern einsetzt, sich auch persönlich mit den | |
Mördern ihres Mannes trifft. Ein Gespräch mit der 54-jährigen Filmemacherin | |
über Traumata, Schweigen und den langen Weg zur Aussöhnung. | |
taz: Frau Bollaín, was hat Sie am ETA-Konflikt interessiert und konkret an | |
der Geschichte von Maixabel Lasa? | |
Iciár Bollaín: Die ETA war 50 Jahre lang aktiv, mehr als 800 Menschen | |
wurden landesweit bei Attentaten ermordet. Ein wichtiges Thema, aber ich | |
wusste lange nicht, wie ich mich damit auseinandersetzen soll. Es war auch | |
mit Angst verbunden, über ETA zu sprechen, während die Bande noch aktiv war | |
und Menschen tötete. Vor etlichen Jahren las ich dann von Opfern, die sich | |
mit Tätern getroffen haben. Die Vorstellung, dass sie sich an einen Tisch | |
setzen, um miteinander zu reden, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich fand | |
es eine sehr menschliche und starke Geste. Als dann Jahre später die | |
Drehbuchautorin Isa Campo mir von der Witwe des ermordeten baskischen | |
Politikers Juan Marí Jáuregui und ihrem Einsatz für Opfer erzählte, wusste | |
ich: Das ist der richtige Ansatz. Auch weil zu dem Zeitpunkt die ETA die | |
Waffen niedergelegt und sich aufgelöst hatte. Es hatte nur ein paar Treffen | |
gegeben und wenige ETA-Mitglieder bekannten sich letztlich öffentlich | |
schuldig, aber es war ein unglaublich wichtiger Moment, der viel in | |
Bewegung brachte. Mit dem zeitlichen Abstand war es jetzt möglich und auch | |
notwendig, um darüber sprechen, was passiert war und wie man sich nun und | |
in Zukunft daran erinnert. | |
Wie wurden diese Treffen zwischen Opfern und Tätern in der spanischen | |
Öffentlichkeit wahrgenommen? | |
Sie fanden zunächst unter größter Geheimhaltung statt, um zu verhindern, | |
dass daraus ein Medienzirkus wird. Erst zwei Jahre danach war davon in | |
Zeitungsinterviews die Rede, die aber keine große Welle schlugen. In der | |
Öffentlichkeit gab es und gibt es zum Teil noch immer einen großen | |
Widerwillen, den Tätern zuzuhören, mögen sie sich noch so reumütig geben. | |
Und auch aufseiten der ETA und ihrer Sympathisanten will man von diesen | |
Männern nichts wissen, weil sie als Verräter wahrgenommen werden. Das | |
allgemeine Interesse an diesen Treffen war also sehr gering. Und als dann | |
der konservative Partido Popular an die Regierung kam, wurde das Programm | |
schnell und leise beendet. Nach nur elf Zusammenkünften, die für alle | |
Beteiligten selbst sehr wichtig und hilfreich waren, aber nicht in die | |
politische Agenda passten. | |
Wie haben Sie das Vertrauen der Beteiligten gewonnen? Maixabels, aber auch | |
das der Täter? | |
Es war erstaunlich einfach, weil Maixabel sehr offen und kooperativ ist, | |
sie möchte ja die Versöhnung fördern. Sie weiß, dass die Aufarbeitung nicht | |
nur den Beteiligten hilft, sondern auch den gesellschaftlichen Diskurs | |
öffnet. Auch die beiden Täter waren schnell bereit, ebenfalls mitzuwirken. | |
Vor allem Ibon, der Fahrer des Fluchtwagens, war sehr hilfreich. Und wir | |
trafen uns mit den Mediatoren, die damals die Gespräche begleiteten, mit | |
Maixabels Tochter Maria und anderen Angehörigen und sammelten so ganz | |
unterschiedliche Blickwinkel und Meinungen, um ein möglichst rundes Bild zu | |
bekommen. | |
Ein Film über reale Ereignisse und Menschen, von denen viele noch leben, | |
soll diesen möglichst gerecht werden und gleichzeitig als Drama | |
funktionieren. Wie gelingt diese Gratwanderung? | |
Nur mit großem Respekt. Maixabel, Maria und die beiden Männer bekamen das | |
Drehbuch zu lesen und sie gaben uns ihr Einverständnis. Wir mussten manches | |
verdichten, aber wir haben nichts dazuerfunden. Alles, was wir im Film | |
zeigen, ist passiert. Viele Dialoge sind genau so, wie sie uns unabhängig | |
voneinander erzählt wurden. | |
Sie zeigen auch den Wandel Ibons. Wie nähert man sich so einer Figur? | |
Für uns stand zunächst immer Maixabel im Mittelpunkt. Sie und ihre | |
unglaubliche Fähigkeit, sich mit diesen Tätern, den Mördern ihres | |
Ehemannes, an einen Tisch zu setzen. Als sie uns von den beiden erzählte, | |
wurde uns klar, dass diese Männer auf einem bemerkenswerten und sehr | |
komplizierten Weg sind. Von der Militanz und radikalen Ideologie, sie | |
hielten sich ja wirklich für Helden und Freiheitskämpfer, hin zur | |
Akzeptanz, sich schuldig gemacht zu haben, ihre Ideale durch Gewalt und | |
Morden erreichen zu wollen. Dieser Prozess der Selbstkritik ist alles | |
andere als einfach, sie machten sich damit unter ihresgleichen zu | |
Aussätzigen. Und wie schaut so jemand jeden Morgen in den Spiegel? Über all | |
das wurde kaum geredet, niemand wollte es hören. Auch deshalb war uns | |
wichtig, deren Seite zu erzählen, ohne ihre Taten zu verharmlosen oder zu | |
entschuldigen. | |
Wie waren die Reaktionen seit der [2][Premiere beim Filmfest in San | |
Sebastián] letzten September? | |
Uns war bewusst, dass wir ein großes Risiko eingingen und dafür angegriffen | |
werden. Im Grunde hätten alle dagegen sein können, die Separatisten, die | |
Opferverbände, die breite Öffentlichkeit. Und dann passierte genau das | |
Gegenteil. Für viele Menschen im Baskenland war der Film wie eine | |
Katharsis, er hat selbst einen Dialog angestoßen. Auch auf politischer | |
Ebene wurde der Film erstaunlich positiv aufgenommen, selbst die radikale | |
Linke im Baskenland hatte kaum etwas zu kritisieren. Vor der Premiere | |
hatten wir den Film führenden Politikern des gesamten Spektrums gezeigt, | |
nach dem Screening kamen sie miteinander ins Gespräch, das war ein | |
magischer Moment. | |
Vor einigen Jahren erschien der [3][Roman „Patria“ von Fernando Aramburu], | |
der von den Folgen eines Attentats auf zwei einst befreundete Familien | |
handelt. Das Buch wurde in Spanien zum Bestseller und später sehr | |
erfolgreich als Serie verfilmt. Nun treffen Sie mit „Maixabel“ | |
offensichtlich einen Nerv. Inwiefern hat sich das gesellschaftliche Klima | |
verändert, das nun erzählt werden kann, worüber jahrzehntelang geschwiegen | |
wurde? | |
Gerade der Erfolg von „Patria“ machte mich zunächst sehr skeptisch, was | |
unseren Film anging. Wir haben in Spanien die Tendenz, Dinge schnell für | |
abgeschlossen zu erklären. Ein Roman und eine Serie über die ETA: Thema | |
erledigt. Dasselbe gilt für den Spanischen Bürgerkrieg. Viele wollen davon | |
nichts mehr hören, es sei lange vorbei und alles gesagt. Aber ich lag zum | |
Glück falsch. Wir hatten mit „Maixabel“ mehr als eine halbe Million | |
Kinobesucher im ganzen Land und das während der Pandemie. Die Menschen sind | |
oft neugieriger, als Politiker uns glauben machen. Auch wenn es schmerzhaft | |
und mit Scham besetzt ist. Denn es betrifft uns im Grunde alle. Wir haben | |
jahrzehntelang diese Morde mitangesehen, es hat uns abgestumpft. Erst mit | |
einem gewissen Abstand können wir uns heute fragen, wie wir so lange mit | |
dieser Situation gelebt haben. | |
Was muss jetzt getan werden? | |
Es ist vor allem sehr wichtig zu wissen, was passiert ist. Die junge | |
Generation hat bereits keine genaue Vorstellung davon, was die ETA war und | |
getan hat, selbst im Baskenland sind viele ignorant oder schlecht | |
informiert. Sie müssen es erklärt bekommen, ohne auch nur ein Stück weit | |
die Gewalt zu rechtfertigen. Wir müssen das verursachte Leid und die | |
Traumata bewusst machen. Man muss darüber reden, um damit leben zu können. | |
In den Städten und Dörfern leben Opfer oft Tür an Tür mit Menschen, die das | |
Treiben der ETA unterstützt oder zumindest darüber geschwiegen haben und | |
auch heute schweigen. Es ist noch ein weiter Weg. | |
24 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Spielfilm-ueber-Indigenas/!5104456 | |
[2] /Filmfestival-San-Sebastian/!5800229 | |
[3] /Fernando-Aramburu-ueber-seinen-Roman/!5477330 | |
## AUTOREN | |
Thomas Abeltshauser | |
## TAGS | |
Terrorismus | |
Spanien | |
Baskenland | |
ETA | |
Schwerpunkt Islamistischer Terror | |
Filmfestival | |
Strukturwandel | |
Marokko | |
Film | |
Komödie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Streit über ETA-Doku: Vorwurf der Weißwaschung | |
Ein Dokumentarfilm über ein bekanntes Mitglied der baskischen ETA beim | |
Filmfestival in San Sebastian hat in Spanien einen erbitterten Streit | |
ausgelöst. | |
Spielfilm „November“ über Bataclan: Wer betroffen ist, geht nach Hause | |
Der Film „November“ schildert den Terroranschlag auf das Pariser Bataclan | |
aus Sicht der Polizei. Regisseur Cédric Jimenez inszeniert betont nüchtern. | |
70. Filmfestspiele von San Sebastián: Die Nöte der Jugend heute | |
So beeindruckende Vielfalt war noch nie. Zur 70. Ausgabe der Filmfestspiele | |
von San Sebastián hatte das spanische Kino einen starken Auftritt. | |
Regisseurin über Kleinbauern in Spanien: „Es ist ein kollektiver Moment“ | |
Die Regisseurin Carla Simón gewann mit „Alcarràs“ den Goldenen Bären. Ein | |
Gespräch über Obstanbau und junge spanische Filmemacherinnen. | |
Konflikt zwischen Algerien und Spanien: Westsahara sorgt für Trennung | |
Algier kündigt Madrid ein Freundschaftsabkommen. Grund ist Spaniens Linie | |
zur besetzten Westsahara – wo das Land nun Marokko folgt. | |
Filmfestival San Sebastián: Zeichen zum Positiven | |
Beim Internationalen Filmfest San Sebastián gehen die Preise in großer | |
Mehrheit an Frauen. Den Ehrenpreis erhält Johnny Depp – ausgerechnet. | |
Regisseurin Icíar Bollaín im Gespräch: „Mit Humor erreicht man mehr“ | |
In Icíar Bollaíns Komödie „Rosas Hochzeit“ geht es um weibliche | |
Midlifekrisen, Benachteiligung und Selbstachtung. Sie sieht eine neue | |
Offenheit. | |
Terrorgruppe erklärt Kampf für beendet: Die ETA will jetzt reden | |
Nach Jahrzehnten der Gewalt wollen die baskischen Separatisten die | |
Strategie des Terrors aufgeben. Mehr als 800 Menschen sind bei ihren etwa | |
4000 Anschlägen getötet worden. |