| # taz.de -- Bericht vom Filmfestival San Sebastián: Vom Wunsch, Nonne zu werde… | |
| > San Sebastián hat den Ruf, das wichtigste Festival für spanischsprachiges | |
| > Kino zu sein. Das hat sich dieses Jahr sehr eindrucksvoll bestätigt. | |
| Bild: Lebensentwürfe, die nicht ins Weltbild passen: „Los Domingos“ von Al… | |
| Die 17-jährige Ainara (Blanca Soroa) ist der ganze Stolz ihrer Familie. | |
| Ihre schulischen Leistungen sind hervorragend, ihr stehen beruflich alle | |
| Türen offen, wenn sie sich einmal entschieden hat, was sie studieren will. | |
| Soweit zumindest die Erwartung, doch Ainara fühlt sich zu anderem berufen. | |
| Schon seit einer Weile hat sie einen tiefen Glauben entwickelt, spielt mit | |
| dem Gedanken, Nonne zu werden. Ihre Familie ist zwar katholisch, geht aber | |
| eher aus Gewohnheit in die Kirche. | |
| Bei den sonntäglichen Zusammenkünften treten die unterschiedlichen | |
| Ansichten immer offener zutage. Während der verwitwete Vater mit Geldsorgen | |
| beschäftigt ist, versucht die atheistische Tante Maite (Patricia López | |
| Arnaiz), seit dem Tod von Ainaras Mutter die engste Bezugsperson des | |
| Mädchens, den Wandel zu verstehen, wird aber zunehmend intolerant gegenüber | |
| einer Entscheidung, die sie nicht akzeptieren will. | |
| Ein subtil austariertes Familiendrama über die Unfähigkeit, andere | |
| Lebensentwürfe zu respektieren, wenn sie nicht ins eigene Weltbild passen. | |
| Beim Filmfest im baskischen San Sebastián wurde „Los Domingos“ von Alauda | |
| Ruiz de Azúa am Samstagabend mit der Goldenen Muschel als bester Film | |
| ausgezeichnet. Damit ging der Hauptpreis des Festivals zum dritten Mal in | |
| Folge an einen spanischen Film und der fünfte in sechs Jahren an eine | |
| Regisseurin. „Los Domingos“ ist der erst zweite Langfilm der 47-jährigen | |
| Baskin, eine Unbekannte ist sie allerdings keineswegs. | |
| ## Ein würdiger Preisträger | |
| Mit ihrem Erstling „Cinco lobitos“ über eine junge Frau, die von ihrer | |
| Rolle als Mutter überfordert ist, wurde sie vor drei Jahren in die | |
| Panorama-Sektion der Berlinale eingeladen, ihr Vierteiler „Querer – Hinter | |
| verschlossenen Türen“ über eine Ehefrau, die sich nach vielen Jahren von | |
| ihrem Mann trennt und ihn der sexuellen Gewalt beschuldigt, ist derzeit in | |
| der Arte-Mediathek zu sehen. | |
| Auch in ihrem neuen Film beeindruckt, wie sie sich mit einem schwierigen | |
| Thema in einem familiären Kontext auseinandersetzt, ohne zu urteilen oder | |
| Haltungen und Ansichten gegeneinander auszuspielen. Ein reifes, | |
| vielschichtiges Werk und würdiger Preisträger. | |
| Dass San Sebastián das wichtigste Festival für spanischsprachiges Kino ist, | |
| hat sich in diesem Jahr mehr denn je bestätigt. Im internationalen | |
| Wettbewerb stammten einige der besten Beiträge von der Iberischen Halbinsel | |
| und aus Südamerika. Der Dokumentarfilm „Historias del Buen Valle“ begleitet | |
| über zwei Jahre die Bewohner*innen von Vallbona, einer migrantisch | |
| geprägten Vorstadt Barcelonas, und lässt sich viel Zeit, sich mit Neugier | |
| und empathischem Blick dem Leben an der Peripherie zu widmen. | |
| In klug komponierten Vignetten zeichnet er so das Bild eines modernen, | |
| multikulturellen Spaniens, das unaufgeregt ein prekäres Miteinander zeigt, | |
| ohne zu romantisieren. Die Jury unter Vorsitz von J. A. Bayona [1][(„Die | |
| Schneegesellschaft“)] verlieh dem Filmemacher José Luis Guerin dafür den | |
| Spezialpreis. | |
| ## Überraschender Publikumsliebling | |
| Überraschend als Publikumsliebling entpuppte sich mit „Maspalomas“ von Jose | |
| Mari Goenaga und Aitor Arregi ein Film, der mit explizitem Männersex in den | |
| Dünen Gran Canarias beginnt und von einem 76-jährigen Rentner handelt, der | |
| nach einem Schlaganfall gezwungen ist, in ein Seniorenheim zu ziehen, wo er | |
| seine Homosexualität zunächst verheimlicht. Behutsam und berührend erzählt | |
| der Film vom Altwerden und versagten Bedürfnissen, José Ramón Soroiz wurde | |
| sehr verdient für die beste Hauptrolle ausgezeichnet, die wie auch auf der | |
| Berlinale seit einigen Jahren genderübergreifend verstanden wird. | |
| Der Preis für die beste Nebenrolle ging an Camila Plaate im argentinischen | |
| Drama „Belén“ über den Kampf für das Recht auf Abtreibung und weibliche | |
| Selbstbestimmung. Dolores Fonzis Film gehörte zu den thematisch | |
| relevantesten des Festivals, Plaate mahnte in ihrer hochemotionalen Rede, | |
| dass die Situation für Frauen in ihrer Heimat dramatisch sei. | |
| [2][Alberto Rodríguez,] einer der wichtigsten Regisseure des Lands, war in | |
| diesem Jahr gleich zweifach vertreten: im Wettbewerb mit dem solide | |
| inszenierten, aber nicht weiter bemerkenswerten Taucherdrama „Los tigres“, | |
| das mit dem Kamerapreis für Pau Esteve ausgezeichnet wurde, sowie außer | |
| Konkurrenz mit dem sehr viel interessanteren Vierteiler „Anatomía de un | |
| instante“ nach dem Bestseller „Anatomie eines Augenblicks“ von Javier | |
| Cercas, der minutiös den gescheiterten Staatsstreich vom 23. Februar 1981 | |
| rekonstruiert, als Teile der Guardia Civil und des Militärs versuchten, | |
| mit einem Sturm des Parlaments die noch junge Demokratie zu stürzen. | |
| Im Mittelpunkt stehen dabei die Politiker unterschiedlichster Lager, die | |
| sich damals den Putschisten widersetzen. Rodríguez inszeniert das als | |
| Politthriller, der die Ereignisse von vor 44 Jahren sehr gegenwärtig | |
| erscheinen lässt. | |
| ## Stars kamen auch | |
| Zwei Preise, für Regie und Drehbuch, gingen an den Belgier Joachim Lafosse | |
| und sein Familiendrama „Six jours ce printemps-là“ über eine | |
| alleinerziehende Mutter, die mit ihren Kindern heimlich einige Urlaubstage | |
| im Ferienhaus ihrer Ex-Schwiegereltern an der Côte d’Azur verbringt. | |
| Lafosse verbindet Kindheitserinnerungen zu einer Reflexion über | |
| Klassenunterschiede, Privilegien und Familiengeheimnisse, die er mit | |
| ungewohnter Ruhe und Leichtigkeit inszeniert. | |
| Stars kamen in diesem Jahr durchaus. Angelina Jolie etwa stellte das in der | |
| Pariser Fashion Week angesiedelte Drama „Couture“ vor, Juliette Binoche | |
| brachte ihr Regiedebüt „In-I In Motion“ mit, den Ehrenpreis nahm | |
| Freitagabend Jennifer Lawrence entgegen. Und auch der Wettbewerb war mit | |
| einigen namhaften Regisseur*innen besetzt, auch wenn ihre Werke dann oft | |
| eher enttäuschten. Claire Denis versuchte sich mit „The Fence“ an einer | |
| kruden Parabel über weiße Privilegien in Westafrika mit einem chargierenden | |
| Matt Dillon, der man die Theatervorlage in jedem Dialogsatz anmerkt. | |
| Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland präsentierte ihr ambitioniertes | |
| Biopic „Franz“ über [3][Franz Kafka,] das mit surrealen Mitteln die Brücke | |
| zur Gegenwart schlägt. Nach seinen Oscar-Erfolgen mit „Im Westen nichts | |
| Neues“ und „Konklave“ inszenierte der Berliner Edward Berger in Macau das | |
| grelle Casinospektakel „Ballad of a Small Player“ mit Colin Farrell als | |
| verschuldetem Glücksspieler und Tilda Swinton als skurriler | |
| Geldeintreiberin, das sich als recht sinnentleerte Stilübung entpuppt. | |
| ## Ärgerliche Geschichtsstunde | |
| Ärgerlich war James Vanderbilts „Nuremberg“ kolportagehafte | |
| Geschichtsstunde über die Nürnberger Prozesse mit Russell Crowe als | |
| fettleibigem Hermann Göring, der kaum verständliches Deutsch radebrecht und | |
| sich mit Rami Malik als US-Psychologen Douglas Kelley ein dubioses | |
| Kräftemessen liefert. Zumindest fragwürdig ist Vanderbilts Entscheidung, an | |
| einer Stelle reale KZ-Bilder von ausgemergelten Gefangenen und | |
| Leichenbergen zu zeigen. | |
| Abseits der Leinwand dominierten die Gazaproteste mit Sprechchören auf der | |
| Straße, Zwischenrufen bei Vorführungen, Palästinaflaggen an den | |
| Altstadtbalkonen und nicht zuletzt mit „Genozid Stop“-Wassermelonen am | |
| Revers, die im Lauf der Woche zum allgegenwärtigen Accessoire auf dem roten | |
| Teppich und den Premierenbühnen wurden. Während der Preisverleihung kam | |
| kaum eine Dankesrede ohne Solidaritätsbekundung aus. | |
| Der Schauspieler Óscar Lasarte, der die Gala moderierte, trat in einem | |
| Sketch mit Stahlhelm auf und gab vor, mit Netanjahu zu telefonieren, | |
| antiisraelische Witzchen inklusive. Im Saal störte sich daran niemand, im | |
| Gegenteil. Es sorgte für großes Gelächter. | |
| 28 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Abeltshauser | |
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