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# taz.de -- Umgang der Union mit der AfD: CDU definiert Zusammenarbeit neu
> Unionspolitiker*innen rechtfertigen, dass die Thüringer CDU
> erstmals mithilfe der AfD die Regierung überstimmte. Kritik kommt kaum.
Bild: Der CDU-Fraktionsvorsitzende Mario Voigt vor der Abstimmung im Thüringer…
Berlin taz | Die CDU in Thüringen jubelt: Am Donnerstag brachte die
Oppositionspartei einen Antrag auf Senkung der Grunderwerbssteuer durch den
Landtag – [1][mit den Stimmen von FDP und AfD]. Noch vor Kurzem hatte der
Bundesvorsitzende Friedrich Merz jede Zusammenarbeit mit der
Rechtsaußenpartei kategorisch abgelehnt. [2][Das scheint nun Makulatur zu
sein] – und der allergrößte Teil der Union zieht mit.
Öffentlich dominiert unter den Äußerungen prominenter
Parteivertreter*innen das Narrativ: Einen Antrag durchzubringen, der
ohne AfD-Stimmen chancenlos wäre, sei überhaupt keine Zusammenarbeit. Diese
Meinung vertritt auch der CDU-Parteichef: [3][„Wir machen das, was wir in
den Landtagen wie auch im Deutschen Bundestag diskutieren, nicht von
anderen Fraktionen abhängig“], hatte Merz schon am Donnerstagmorgen dem
Sender RTL gesagt. Die thüringische CDU habe ihr Vorgehen mit ihm
abgesprochen.
Das sind deutlich andere Töne, als Merz sie noch im Dezember 2021 bei
seinem Amtsantritt angeschlagen hatte. Damals hatte er eine „Brandmauer“
gegen die AfD angekündigt und erklärt: „Die Landesverbände, vor allem im
Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns
die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten
Tag ein Parteiausschlussverfahren an.“
Doch viele Unionsleute scheinen „Zusammenarbeit“ inzwischen sehr eng
auszulegen. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder gab Merz
Recht, und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte der Rheinischen
Post: „Wie andere Fraktionen sich dazu verhalten, darf für uns nicht
Maßstab sein.“ So sieht es auch Unionsfraktionsvize Jens Spahn: „Wir könn…
als CDU richtige Positionen nicht aufgeben, nur weil auch die Falschen sie
richtig finden“, schrieb dieser auf „X“, vormals Twitter.
## Union in Verteidigungshaltung
Die CDU-Vizevorsitzende und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein Karin
Prien [4][sagte im Deutschlandfunk]: Es gebe keine Zusammenarbeit, aber die
CDU müsse „konstruktive Sacharbeit in Thüringen machen können, ohne dass
gleich dieser Vorwurf erhoben wird“.
Als der FDP-Politiker Thomas Kemmerich in Thüringen mit den Stimmen von CDU
und AfD 2020 kurzzeitig zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, sah Prien
das offenbar noch anders. [5][Damals twitterte sie:] „Um Schaden von
unserem Land und unserer Partei @CDU abzuhalten, müssen diejenigen, die
dieses Desaster in Thüringen heute angerichtet haben, jetzt Verantwortung
übernehmen und den Weg freimachen für einen Neuanfang.“
Nur wenige Unionspolitiker*innen haben sich bislang kritisch zum
Vorgehen ihrer Thüringer Parteikolleg*innen geäußert. Zu ihnen zählt
Priens Vorgesetzer, Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel
Günther.
„Die zunehmende Radikalisierung der AfD erfordert eine noch konsequentere
Haltung gerade einer konservativen Partei. Ein Vorgehen wie aktuell in
Thüringen widerspricht dieser Haltung“, erklärte dieser am
Freitagvormittag. „Ein wie auch immer geartetes Zusammenwirken mit der AfD
ist ausgeschlossen. Das gilt auch für eigene Initiativen, die absehbar nur
mit Hilfe dieser Partei Aussicht auf Erfolg haben.“
Doch auch die rot-rot-grüne Thüringer Minderheitenregierung habe einen
„schweren Fehler“ gemacht, so Günther. Sie habe es versäumt, „eine Mehr…
der demokratischen Mitte mit der CDU zu organisieren“. Die demokratischen
Kräfte in Deutschland hätten eine „gemeinsame Verantwortung, der AfD
entgegenzutreten“ und sollten dieser gerecht werden und mit dem
„Fingerzeigen“ untereinander aufhören.
## Kritik an naiver Haltung
Das sind klare Worte – aber unter führenden Unionspolitiker*innen
ist Günther damit ziemlich allein. Kritik am Verhalten der Thüringer CDU
kommt, wenn überhaupt, aus der zweiten und dritten Reihe. Etwa vom
ehemaligen saarländischen Ministerpräsidenten und heutigen
CDU-Landtagsabgeordneten Tobias Hans. „Es ist und es bleibt falsch, mit der
AfD politische Mehrheiten durchzusetzen. Es braucht doch viel mehr den
Kompromiss unter den Demokraten, auch um zweifelsohne richtige Ziele zu
erreichen“, [6][schrieb Hans] auf dem Kurznachrichtendienst „X“, ehemals
Twitter.
Die CDU-Politikerin und Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag,
Elisabeth Winkelmeier-Becker, [7][erklärte ebenfalls dort:] „Auch nach 1x
drüber schlafen nicht besser: bin enttäuscht und entsetzt über die
Abstimmung in #Thüringen! #noafd“.
Der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz bezeichnete die Aussage
vieler Parteikolleg*innen, die Abstimmung stelle keine Zusammenarbeit mit
der AfD dar, auf „X“ als „naiv“. Anders als von der Landtagsfraktion
verkündet sei die beschlossene Grunderwerbssteuer [8][„überhaupt keine gute
Nachricht“, so Polenz:] „Diesen Preis hätte die @cdu_thueringen NIE
bezahlen dürfen. Klarer Verstoß gegen den Beschluss des CDU-BPT
(Bundesparteitags, d.Red.), der JEDE politische Zusammenarbeit mit der AfD
ausschließt“.
„Die Thüringische AfD ist nicht irgendein Landesverband. Es ein klar
rechtsradikaler der von Höcke geführt wird“, [9][schrieb der
CDU-Lokalpolitiker Benjamin Daniel Thomas aus Essen.] „Das macht es noch
schlimmer. Eine #Brandmauer bedeutet auch, dass man keine Anträge stellt
die wissentlich nur mit der AfD eine Mehrheit bekommen.“
## Schweigende Union
Indirekter, aber erkennbar mit Bezug auf die Abstimmung in Thüringen
schrieb der [10][CSU-Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich]: „Für eine
christdemokratische Partei sind die politischen Hauptgegner nicht jene
Kräfte, mit denen wir zwar im Wettbewerb stehen – und doch auf
verschiedenen Ebenen auch koalieren, sondern Populisten und Rechtsextreme,
welche die Demokratie und den Staat selbst attackieren.“
Noch zaghafter äußert Marco Wanderwitz, CDU-Bundestagsabgeordneter und
ehemaliger Ostbeauftragter der Bundesregierung sein Missfallen. [11][Er
teilte auf „X“ lediglich die Posts von Ullrich und Winkelmeier-Becker]
sowie einen kritischen Kommentar aus der Magdeburger Volksstimme, Titel:
„In Thüringen fällt die Brandmauer gegen Rechts“. Diverse taz-Anfragen an
Unionspolitiker*innen blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet
oder wurden abgelehnt. Die Abgeordneten könnten es „nicht einrichten“ oder
seien „beschäftigt“.
Der Soziologe Matthias Quent sieht in der Thüringer Abstimmung einen
„weiteren Schritt in Richtung Normalisierung von Rechtsextremismus“, wie er
der taz sagte. Die Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD sei nur ein weiterer
Baustein einer Entwicklungslinie, zu der Quent beispielsweise auch den
Antisemitismus-Skandal in Bayern rund um Hubert Aiwanger und die teils
offene rechte Flanke von CDU-Parteichef Friedrich Merz rechnet.
## Sie wissen, was sie tun
Das Argument, man habe lediglich den eigenen Antrag eingebracht, dem die
AfD zufällig auch zugestimmt habe, will Quent nicht gelten lassen: „Es war
klar, dass die AfD zustimmt, sie hat extra einen eigenen Antrag von der
Tagesordnung genommen, damit der CDU-Antrag noch verhandelt werden konnte.“
Die CDU wisse genau, was sie tue, so Quent: „Sie wollte mit der Abstimmung
das Spektrum des Machbaren erweitern.“ Weil die Mehrheitsverhältnisse in
Thüringen und anderen ostdeutschen Bundesländern extrem kompliziert seien
und die Bundespartei eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei weiter
ausschließe, sei eine Annäherung an die AfD die einzige Machtoption, die
der Union noch bleibe.
15 Sep 2023
## LINKS
[1] /Zusammenarbeit-mit-der-AfD-in-Thueringen/!5960413
[2] /Schwarz-braune-Allianzen-in-Thueringen/!5957057
[3] https://www.rtl.de/videos/wir-machen-uns-nicht-von-anderen-fraktionen-abhae…
[4] https://www.deutschlandfunk.de/die-cdu-und-die-brandmauer-zur-afd-interview…
[5] https://twitter.com/PrienKarin/status/1225132732440883200
[6] https://twitter.com/tobiashans/status/1702376165564993786
[7] https://twitter.com/ElisabethWinke4/status/1702548668081955000
[8] https://twitter.com/polenz_r/status/1702374835496620089
[9] https://twitter.com/BenjaminDThomas/status/1702354661821362248
[10] https://twitter.com/VolkerUllrich/status/1702384545884934277
[11] https://twitter.com/wanderwitz
## AUTOREN
Dinah Riese
Jana Ballweber
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