# taz.de -- Experte über den Angriff auf Polizisten: „Es braucht Druck auf b… | |
> Balkan-Experte Džihić warnt nach dem Anschlag vor einer Eskalation | |
> zwischen Serbien und Kosovo. Vom Westen fordert er einen neuen Kurs. | |
Bild: Nach dem Angriff stehen Polizisten am Montag auf einer Straße in der Nä… | |
taz: Am Sonntag haben [1][Schwerbewaffnete gezielt Polizisten im Norden des | |
Kosovo angegriffen], ein Polizist und drei der offenbar proserbischen | |
Angreifer wurden getötet. Etwa 30 bewaffnete Männer verschanzten sich | |
später in einem Kloster. Was wissen wir mittlerweile? | |
Vedran Džihić: Es ist noch immer nicht klar, wer dahintersteht. Was man | |
eindeutig sagen kann: dass es eine professionell agierende, | |
paramilitärische Gruppe war. Die Bewaffnung mit Panzerfäusten, die | |
Vorgangsweise, alles war sehr professionell. Manche spekulieren, dass die | |
Attentäter von der Söldnergruppe Wagner ausgebildet worden sein könnten. | |
Dafür gibt es aber noch keine Belege. | |
Kosovos Regierungschef Albin Kurti und Serbiens Präsident Vučić wiesen sich | |
gegenseitig die Schuld zu. Ist es denkbar, dass der Zwischenfall ohne | |
politische Rückendeckung geschah, dass da eine Gruppe ein Eigenleben | |
entwickelt hat? | |
Wir wissen, dass in der Vergangenheit jede serbische Aktion im Nordkosovo | |
von Belgrad diktiert wurde. Vučić wirkte in seiner Pressekonferenz aber | |
nicht so, als habe er die Kontrolle. Normalerweise kommuniziert er auf eine | |
andere Art und Weise, aggressiver und gezielter. Vučić profitiert auch | |
nicht von diesem Zwischenfall. Es gibt es zwei Lesarten: Dass entweder eine | |
Gruppe aus dem serbischen und/oder russischen Geheimdienst autonom | |
gehandelt hat, um Vučić zu schwächen. Oder aber dass die Führung in Belgrad | |
sehr wohl involviert war. Dass sie vielleicht eine kontinuierliche | |
Bewaffnung aufbauen wollte, der Plan aber nicht aufgegangen ist und es zu | |
einer früheren Eskalation kam. So oder so ist der Vorfall aber ohne | |
serbische oder russische Geheimdienste nicht vorstellbar. | |
Welche Rolle spielt Russland? | |
Serbien und die Republik Srpska sind Einfallstore für russische Interessen | |
auf dem Balkan. Man sieht seit einiger Zeit, dass Russland mithilfe von | |
Geheimdiensten oder mit billigen Lokalpolitikern, die bereit sind, sich | |
instrumentalisieren zu lassen – etwa Milorad Dodik (Präsident der Republik | |
Srpska, Anm. d. Red.) oder der serbische Außenminister Ivica Dačić – | |
versucht, Unruhe zu stiften. Russland will mit seiner hybriden | |
Kriegsführung dem Westen Schaden zufügen. Und das geht nirgends leichter | |
als hier. Für Moskau wäre es von Vorteil, Ressourcen des Westens zu binden | |
und eine neue Flanke in Europa aufzumachen. Ich glaube nicht, dass Vučić | |
daran beteiligt ist, aber eine Ebene unter ihm könnten ihm die Dinge | |
entgleiten. | |
Warum hat Vučić daran kein Interesse? | |
Vučić kann es sich nicht leisten, in einen Konflikt mit dem Kosovo oder dem | |
Westen zu geraten. In dem Moment, in dem er der serbischen Armee einen | |
Marschbefehl geben würde, wäre Serbien international geächtet und von | |
Geldern des Westens abgeschnitten. Das wäre rational betrachtet ein | |
Selbstmord. | |
Welche Rolle spielt der Schauplatz der Ereignisse, das serbisch-orthodoxe | |
Kloster Banjska? Dort hatten sich am Sonntag 30 der Angreifer verschanzt, | |
bevor das Innenministerium in Pristina am Abend mitteilte, das Gelände sei | |
nach „Kämpfen“ wieder unter Kontrolle. | |
Es hat im Vergleich zu anderen Klöstern der Region keine herausragende | |
Bedeutung. Die Auswahl des Ortes war dennoch bewusst: Wenn die Albaner | |
serbische Heiligtümer angreifen und stürmen, kann das die serbische | |
Öffentlichkeit stärker mobilisieren und deutlich mehr Schaden anrichten. | |
Auch der Kontext ist wichtig: Die serbisch-orthodoxe Kirche hat sich in den | |
letzten Jahren immer sehr klar aufseiten des serbischen Präsidenten Vučić | |
positioniert. Sie hat seine Propaganda mitgetragen, als die Spannungen | |
zuletzt zunahmen. | |
Wie wird der Zwischenfall im Kosovo gesehen? | |
Die Grundstimmung ist, dass Serbien weiter provoziert. Man nennt ihn in | |
einem Atemzug mit Angriffen auf KFOR-Truppen (Nato-Truppe im Kosovo, Anm. | |
d. Red.) im Mai und der Entführung dreier kosovarischer Polizisten im Juni. | |
Man sieht einen weiteren Schritt und einen Beweis, dass Russen und Serben | |
offenbar gemeinsam agieren. Kurti sieht es als Bestätigung für seinen Kurs | |
und verlangt mehr Druck vom Westen auf Serbien. Er stellt es so dar, als | |
sei Kosovo der wahre Partner und nicht Serbien. Der Position des Kosovo | |
kommt der Zwischenfall sicherlich entgegen. | |
Sie haben gestern Versäumnisse des Westens kritisiert. Was muss geschehen? | |
In einem ersten Schritt braucht es eine enge Zusammenarbeit von KFOR und | |
EULEX (Rechtsstaatlichkeitsmission der EU im Kosovo) mit der kosovarischen | |
Polizei. Man muss die Hintergründe des Angriffs aufklären. Notwendig wird | |
auch eine Erhöhung der KFOR-Truppenstärke sein. Wir haben nicht nur eine | |
politische, sondern eine Sicherheitskrise. Die Grenzen müssen verstärkt und | |
kriminelle Gruppen intensiver überwacht werden. | |
Und auf politischer Ebene? | |
Klar ist, dass die Vermittlungsdiplomatie der EU gescheitert ist. Am | |
Sonntag sind wir knapp an einer kriegerischen Entwicklung vorbeigeschrammt. | |
Hätten mehr Paramilitärs mitgewirkt, hätten sich beide Seiten | |
aufgeschaukelt. Und wäre am Ende serbische Polizei oder serbisches Militär | |
einmarschiert, hätte man einen offenen Konflikt mitten in Europa. Auf | |
serbischer Seite muss also das konstante Zünden abgebaut werden. Auf | |
kosovarischer Seite wird man sich pragmatischer geben müssen, der | |
serbischen Minderheit mehr Rechte einräumen und aktiver auf sie zugehen. | |
Die gewöhnlichen Serben im Norden Kosovos sind die Leidtragenden, das darf | |
man nicht vergessen. Der Westen müsste seine Appeasement-Politik gegenüber | |
Vučić stoppen. Mit Rückblick auf die letzten Monate braucht es einen neuen | |
Kurs, neuen Druck auf beide Seiten. Man muss auch die Verhandlungsführung | |
ändern: Der EU-Sonderbeauftragte Miroslav Lajčák und EU-Außenbeauftragter | |
Josep Borell haben Legitimität verloren. Die Region müsste zur Chefsache | |
von Scholz, Macron oder anderen hochrangigen Politikern gemacht werden. | |
Die Gefahr für einen Flächenbrand bleibt also groß? | |
Angesichts der stark [2][prorussisch agierenden Politik in Serbien] und der | |
Republik Srpksa, angesichts der russischen Geheimdiensttätigkeiten, | |
angesichts der Spannungen zwischen Kosovo und Serbien, die so hoch wie nie | |
zuvor in den letzten 20 Jahren sind, angesichts der auch sehr schlechten | |
Sicherheitssituation in Bosnien ist die Gefahr sehr groß, dass ein Funke | |
fliegt und man die Kontrolle verliert. Das wäre eine Riesenniederlage für | |
die Region und für den Westen. Die Einzigen, die gewinnen würden, wären die | |
Russen. | |
25 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Florian Bayer | |
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