| # taz.de -- Ist grüner Extraktivismus eine Lösung?: Ökosystem aus dem Gleich… | |
| > Chiles Diktator Pinochet nahm den Indigenen ihr Land. Sie sollten Platz | |
| > machen für den Rohstoffabbau. Der dient jetzt der Energiewende im Norden. | |
| Bild: Größte Kupfermine der Welt – Chuquicamata in der chilenischen Wüste … | |
| Santiago de Chile taz | Riesige Schaufeln haben sich über 1.000 Meter in | |
| mehr als 100 Jahren in die Tiefe gegraben und einen gigantischen Schlund | |
| mitten in der Wüste Atacama hinterlassen. Die Grube gehört zum Tagebau | |
| Chuquicamata, einer der größten Kupferminen der Welt. Sie befand sich lange | |
| im Besitz eines US-amerikanischen Bergbaukonzerns. 1971 verstaatlichte der | |
| sozialistische Präsident Salvador Allende den Kupferbergbau – es ist eine | |
| der wenigen Errungenschaften, die Diktator Augusto Pinochet | |
| aufrechterhielt. Bis heute befindet sich Chuquicamata im Besitz des | |
| staatlichen Bergbaukonzerns Codelco. | |
| Das Wort Chuquicamata hat seinen Ursprung in der Sprache der Indigenen | |
| Aymara, die heute in Chile, Peru und Bolivien leben. Sie wurden Opfer einer | |
| Kampagne der chilenización („Chilenisierung“) im 20. Jahrhundert, die | |
| während der Diktatur Pinochets ihren Höhepunkt erreichte. In den Schulen | |
| und beim Militärdienst sollte ihre kulturelle Identität ausgelöscht werden, | |
| um sie gewaltsam in die chilenische Nation einzugliedern. | |
| Dort, wo die Indigenen über Jahrtausende friedlich lebten, werden heute | |
| Rohstoffe abgebaut, um sie in die Welt zu exportieren. Der Bergbau ist der | |
| wichtigste Wirtschaftszweig Chiles, und er konzentriert sich in den | |
| Regionen im Norden des Landes: Tarapacá, Antofagasta, Atacama und Coquimbo. | |
| Chile ist der größte Kupferproduzent der Welt und Kupfer ist das wichtigste | |
| Exportgut des Landes. | |
| Die Nachfrage boomt. Laut deutschen Rohstoffagentur wird sich der globale | |
| Kupferbedarf bis 2035 verdoppeln. Das ist auch eine Folge der Energiewende: | |
| Die Elektrifizierung des Verkehrs, der Ausbau erneuerbarer Energien und des | |
| Ladenetzes für E-Autos sowie deren Batterien geht einher mit einem | |
| steigenden Kupferbedarf. Denn Kupfer leitet Strom und Wärme und ist deshalb | |
| ein zentraler Bestandteil von Kabeln. | |
| ## Schlüsselrohstoff Lithium | |
| Etwa die Hälfte des chilenischen Kupfers wird nach China exportiert. Chile | |
| exportiert lediglich den Rohstoff, in China wird das Metall | |
| weiterverarbeitet. Der chinesische Autokonzern BYD ist zum größten | |
| Elektroautohersteller der Welt aufgestiegen. Auch Deutschland importiert | |
| Kupfer aus Chile. Hauptabnehmer des Kupfers ist der Fahrzeugbau, gefolgt | |
| von der Bau- und der Elektronikindustrie. Der deutsche Kupferverband | |
| bezeichnet Kupfer als „Metall der Energiewende“. | |
| Chile verfügt über einen weiteren [1][Schlüsselrohstoff für die | |
| Energiewende: Lithium]. Die weltweit größten bekannten Lithiumreserven | |
| schlummern im Untergrund der Salar de Atacama, einer Salzwüste im Norden | |
| des Landes. Lithium befindet sich aufgelöst in Salzwasser unter der | |
| Wüstenerde und wird in riesige Becken gepumpt. Die Flüssigkeit verdunstet | |
| unter der glühenden Sonne und Lithium bleibt zurück. | |
| Chiles Präsident [2][Gabriel Boric] will in Allendes Fußstapfen treten und | |
| ein staatliches Lithiumunternehmen schaffen, damit der Lithiumboom mehr | |
| Einnahmen für den Staat schafft. Bisher haben zwei private Konzerne die | |
| Abbaulizenzen in der Atacama: der US-Konzern Albermarle und das chilenische | |
| Unternehmen SQM, dessen Hauptaktionär Pinochets Schwiegersohn ist. Die | |
| Lizenzen gelten noch für mindestens zehn Jahre, vorher könnte ein | |
| staatliches Unternehmen – wenn der Gesetzentwurf überhaupt vom Parlament | |
| angenommen wird – kein Lithium in der Wüste fördern. | |
| Auch das chinesische Unternehmen BYD hat Abbaulizenzen in Chile erworben | |
| und will außerdem eine Batteriefabrik bauen, die 2025 in Betrieb gehen | |
| soll. Bisher exportiert Chile Lithium als Rohstoff, produziert aber keine | |
| Batterien. | |
| ## Energiewende im Norden, Extraktivismus im Süden | |
| Unabhängig davon, ob der chilenische Staat oder ausländische Konzerne | |
| Lithium im Salar de Atacama fördern, wirkt sich der Abbau auf die Umwelt | |
| und die indigenen Gemeinden vor Ort aus. Zwar scheint die Wüste auf den | |
| ersten Blick wie ein Ort ohne Leben zu sein, aber sie beherbergt ein | |
| komplexes Ökosystem und ist das Zuhause der Indigenen Atacameños oder Likan | |
| Antai in ihrer eigenen Sprache. Ihre Vorfahren lebten bereits vor mehr als | |
| 10.000 Jahren in den Oasen der Wüste Atacama und passten sich an die | |
| schwierigen Lebensbedingungen an. | |
| Der Lithiumabbau verschlingt die ohnehin knappen Wasserressourcen in der | |
| Wüste, das gefährdet die Lebensgrundlage der indigenen Gemeinden und bringt | |
| das Ökosystem aus dem Gleichgewicht. Der Präsident des Rats der Atacameños, | |
| Vladimir Reyes, kritisiert Boric dafür, dass er die indigenen Gemeinden | |
| nicht an der nationalen Lithiumstrategie der Regierung beteiligt und das | |
| Problem der Wasserknappheit nicht berücksichtigt. | |
| Die Klimakrise hat in den Industrieländern im Globalen Norden, die am | |
| meisten Treibhausgase verursachen, die Notwendigkeit einer Energiewende ins | |
| Zentrum der politischen Debatte gerückt. Im Globalen Süden kritisieren | |
| soziale Bewegungen und Indigene den grünen Extraktivismus in ihren Ländern: | |
| die Ausbeutung und Aneignung von Natur und Rohstoffen zum Zweck einer | |
| neoliberalen Energiewende, die Marktinstrumente und technologische | |
| Innovationen als Lösungen betrachtet. | |
| Auch wenn der Energiesektor auf erneuerbare Energien umstellt und Autos mit | |
| Verbrennungsmotoren durch E-Autos ersetzt werden – was zweifellos notwendig | |
| ist –, ändert das nichts an der hohen Nachfrage nach Energie, die die | |
| kapitalistische Produktions- und Konsumweise verursacht. Und dafür tragen | |
| die Länder des Globalen Nordens eine besondere Verantwortung – denn sie | |
| sind es, die am meisten davon profitieren. | |
| ## Die Nachfrage nach Rohstoffen steigt rasant | |
| Die sozialen und ökologischen Kosten ihrer Lebensweise hingegen tragen die | |
| Länder im Globalen Süden, zu denen Chile gehört. Denn solange der globale | |
| Energiebedarf nicht sinkt, steigt die Nachfrage nach Rohstoffen weiter. Und | |
| Rohstoffabbau wirkt sich immer negativ auf die Umwelt aus. | |
| Nur ein paar Beispiele: Kupferhütten verursachen Schwefeldioxid- und | |
| Arsenemissionen. Für jede Tonne Kupfer entstehen 2,2 Tonnen giftiger | |
| Abfälle. Diese werden in Chile in 757 Lagern aufbewahrt, mehrere davon in | |
| unmittelbarer Nähe von Dörfern, die unter den damit verbundenen | |
| Umweltrisiken leiden. Viele Menschen trinken mit Schwermetallen belastetes | |
| Wasser. Die Bergbauregion Antofagasta im Norden Chiles hat die höchste | |
| Lungenkrebssterberate im ganzen Land. | |
| Während der Norden Chiles reich an metallischen Rohstoffen ist, verfügt der | |
| Süden über eine wichtige erneuerbare Energiequelle: Wind. In den Regionen | |
| Biobío und Araucanía, wo die indigenen Mapuche leben, sind in den | |
| vergangenen Jahren mehrere Windparks gebaut worden. Häufig befinden sie | |
| sich nur wenige Meter von den Wohnhäusern entfernt und die häufig | |
| ausländischen Unternehmen beteiligen die lokale Bevölkerung kaum an den | |
| Projekten. Hinzu kommt: Etwa ein Drittel des chilenischen Energieverbrauchs | |
| geht auf den Bergbau zurück. | |
| Eigentlich verpflichtet die Konvention 169 der Internationalen | |
| Arbeitsorganisation (ILO), die Chile unterschrieben hat, den Staat dazu, | |
| die indigenen Gemeinden zu konsultieren, wenn sie von Unternehmen oder | |
| Projekten betroffen sind. Insgesamt gibt es zehn offiziell anerkannte | |
| indigene Völker in Chile. Sie leiden besonders unter dem | |
| [3][Extraktivismus]. Denn sie leben genau an den Orten, an denen es | |
| besonders viele Rohstoffe und für den Menschen nutzbare Natureigenschaften | |
| gibt: Wind, Wasser, Metalle. | |
| ## Der Kampf der Indigenen | |
| Nachdem Allende den Indigenen, insbesondere den [4][Mapuche], einen Teil | |
| ihres ursprünglichen Landes zurückgegeben hatte, enteignete Pinochet es | |
| wieder. Er verschenkte es oder verkaufte es zu sehr niedrigen Preisen an | |
| Forstunternehmen. Die Verleugnung der Existenz der Indigenen war | |
| Bestandteil der Politik der Diktatur. „Es gibt keine Mapuche mehr, weil wir | |
| alle Chilenen sind“, sagte Pinochet 1979 in Villarica. | |
| Bis heute kämpfen die Mapuche für die Rückgabe ihres Landes, auf dem sich | |
| heute Forstplantagen und Windparks befinden. Das Unternehmen Arauco, eines | |
| der größten Forstunternehmen Chiles, baut seinen eigenen Windpark. | |
| Am südlichsten Zipfel von Chile, in Patagonien, soll bald mit Windenergie | |
| [5][grüner Wasserstoff produziert werden – auch als Beitrag für die | |
| deutsche Energiewende.] Porsche und Siemens Energy haben eine Pilotanlage | |
| für die Produktion von E-Fuels gebaut. Auch der Energiekonzern RWE baut | |
| einen Windpark in Patagonien für die Produktion von grünem Wasserstoff und | |
| grünem Ammoniak. | |
| ## Chile will grünes Kupfer exportieren | |
| Auch in Patagonien leben Indigene: Die Kawésqar und die Selk’nam. Ihre | |
| Lebensgrundlage ist das Meer: Viele leben vom Fischfang und der | |
| Landwirtschaft. Für die Produktion von grünem Wasserstoff wird Wasser | |
| benötigt. Das ist auch in Patagonien knapp, deshalb wollen die meisten | |
| Unternehmen Meerwasserentsalzungsanlagen einsetzen. Diese produzieren aber | |
| tonnenweise konzentrierte Salzlake als Abfall. Und den werden sie | |
| vermutlich zurück ins Meer schütten, was wiederum dem maritimen Ökosystem | |
| und letztendlich den Indigenen schaden wird. | |
| Grüner Wasserstoff soll in Chile außerdem dabei helfen, dass der | |
| Bergbausektor „klimaneutral“ wird. Er soll unter anderem als Kraftstoff in | |
| Lkws im Bergbau eingesetzt werden. Mehrere Bergbauunternehmen arbeiten | |
| dafür bereits an Pilotprojekten. So soll Chile in Zukunft beispielsweise | |
| „grünes“ Kupfer exportieren. | |
| Chuquicamata könnte alsbald „grün“ sein. | |
| 12 Sep 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rohstoffe-fuer-die-Energiewende/!5772477 | |
| [2] /Regierungswechsel-in-Chile/!5836812 | |
| [3] /Neue-Lateinamerika-Agenda-der-EU/!5944739 | |
| [4] /Anerkennung-indigener-Rechte-in-Chile/!5957551 | |
| [5] /Wasserstoff-aus-Chile/!5931101 | |
| ## AUTOREN | |
| Sophia Boddenberg | |
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