# taz.de -- Reinigung von verseuchten Böden: Die Metal-Fans der Pflanzenwelt | |
> Metallverseuchte Erde? Das rockt die Hallersche Schaumkresse mit links. | |
> Sie reinigt nicht nur Böden, sondern kann auch wichtige Rohstoffe | |
> liefern. | |
Bild: Die Hallersche Schaumkresse ist charakteristisch an ehemaligen Bergwerkss… | |
Die Hallersche Schaumkresse könnte in Zukunft möglicherweise den Bergbau | |
revolutionieren. Zusammen mit dem Gebirgs-Hellerkraut zählt sie zu einem | |
kleinen Kreis von Pflanzen, die Metall sammeln. Wie jede andere Pflanze | |
nehmen sie Nährstoffe aus dem Boden auf und ziehen dabei Mineralien aus dem | |
Boden. Doch anders als gewöhnliche Pflanzen reichern sie eine | |
außergewöhnlich hohe Menge davon in ihren Stengeln und Blättern an. | |
Die Hallersche Schaumkresse akkumuliert zum Beispiel verglichen mit anderen | |
Pflanzen die tausendfache Menge Zink und Cadmium. Solche Pflanzen nennt man | |
Hyperakkumulatoren. Ihr Potenzial: Mit ihnen könnte man zukünftig Böden | |
reinigen und sogar Metalle und Seltene Erden abbauen. | |
„Grundsätzlich ist es möglich, metallverseuchte Böden mit diesen Pflanzen | |
zu sanieren“, sagt die Pflanzenphysiologin Ute Krämer. In der Fachsprache | |
heißt das Phytoremediation. „Es wäre eine sinnvolle Technologie, weil es | |
viele belastete Flächen gibt und dadurch mancherorts ein Gesundheitsrisiko | |
für Menschen.“ | |
Laut Krämer gibt es in Deutschland zwei verschiedene Arten von | |
Hyperakkumulatoren, weltweit über 700. Die Superpflanzen können | |
[1][teilweise mehr Metall pro Kilogramm konzentrieren] als einige | |
kommerziell abgebaute Erze. | |
## Anbau in ehemaligen Industrie- oder Bergbaugebiete | |
Wie groß die Fläche der metallverseuchten Böden in Deutschland ist, dazu | |
gibt es keine umfassenden Daten. Für den Anbau anbieten würden sich | |
vorrangig ehemalige Industrie- oder Bergbaugebiete wie das Erzgebirge oder | |
landwirtschaftliche Flächen, deren Cadmiumgehalt die Belastungsgrenzen | |
überschreitet. Cadmium ist [2][in Phosphordünger enthalten]. Dort, wo die | |
Dünger angewendet werden, befindet sich zusätzliches Cadmium im Boden. Auf | |
diesen Flächen könnten – anders als andere Pflanzen – Hallersche | |
Schaumkresse und Co. gedeihen. | |
Tatsächlich in Frage kommen Standorte, „die nicht hoch belastet sind, also | |
etwa das Zwei- bis Dreifache des Grenzwertes an Schwermetallen enthalten“, | |
sagt Krämer. Das ist noch nicht wahnsinnig giftig. Werden dort | |
beispielsweise Kartoffeln angebaut, enthalten diese zwar mehr Metalle als | |
der Grenzwert vorschreibt, leiden aber selbst nicht unter der Belastung. | |
Für diejenigen, die sie essen, sind sie aber trotzdem ein | |
Gesundheitsrisiko. Und die Landwirt:innen werden ihre Kartoffeln | |
möglicherweise nicht los. | |
Stark kontaminierte Standorte, die zum Beispiel mehr als ein Prozent Blei | |
enthalten, könnten laut Krämer nicht saniert werden. „Dort müsste man Blei | |
im Prozentbereich aus der Bodenmasse entfernen. Das kann kein Organismus“, | |
sagt sie. Um diese sogenannten Altlastenstandorte zu entgiften, bräuchte es | |
andere, etwa chemische Methoden. | |
## Für die Technologie müsste Gentechnik verwendet werden | |
Die Technologie stößt – zumindest in Europa – auf ein weiteres Hindernis: | |
Um effizient zu sanieren, [3][müsste Gentechnik verwendet] werden. | |
Beispielsweise müsste man in Pflanzen mit viel Biomasse die Gene von | |
Pflanzen einbringen, die zu einer Schwermetallakkumulation führen. Dann | |
bestünde jedoch die Gefahr, dass sich die metallschluckende Pflanze | |
unbemerkt mit landwirtschaftlichen Nutzpflanzen kreuzt. | |
In China geht man mit dem Thema lockerer um: „Die Chinesen haben große | |
Probleme mit schwermetallbelasteten Standorten“, sagt Krämer. „Dort gibt | |
es genug Druck, Geld und den Willen, Phytoremediation durchzusetzen.“ | |
Denkt man die Idee weiter, könnte man Hyperakkumulatoren nicht nur zum | |
Sanieren von Böden, sondern auch zum gezielten Abbau von Metallen nutzen. | |
Die Nachfrage der Elektroindustrie nach Seltenen Erden ist jedenfalls | |
gigantisch. Sie hat sich in den 15 Jahren bis 2021 auf 125.000 Tonnen | |
verdoppelt und wird voraussichtlich weiter steigen. China ist aktuell | |
[4][für über 80 Prozent] der Produktion verantwortlich. Gleichzeitig ist | |
bekannt, dass die Reserven endlich sind. | |
## Wie Bergbau ohne Bohrungen | |
Der Name Seltene Erden ist etwas irreführend: Sie kommen gar nicht selten | |
vor, jedoch sind größere, zusammenhängende Vorkommen ungewöhnlich. Die | |
magnetischen Metalle sind wichtige Bestandteile in einer Vielzahl von | |
Anwendungen, darunter Smartphones und Solarzellen. | |
Forscher:innen arbeiten deshalb bereits an Methoden des sogenannten | |
Phytominings. Dafür suchen sie die besten Arten und Varianten der | |
metallspeichernden Pflanzen für einen bestimmten Ort. Dort werden sie | |
großflächig angebaut und geerntet. Anschließend wird der Rohstoff | |
extrahiert. | |
Im sächsischen Freiberg züchtet der Geoökologe Oliver Wiche die | |
bestmögliche Mischkultur aus Leguminosen und Rohrglanzgras, um Seltene | |
Erden wie Erbium zu gewinnen. [5][Auf seinem Testfeld funktioniert das so]: | |
Nach der Ernte bringen die Forscher:innen die Biomasse in die | |
Biogasanlage. Dort wird sie vergoren. Das Endprodukt ist ein getrockneter | |
Gärrest, der aussieht wie ein Kuhfladen. | |
Das Forschungsteam verbrennt den Kuhfladen und übrig bleibt eine mit | |
Elementen angereicherte Asche. Die Asche stecken sie in einen Glasbottich, | |
die sogenannte Bioleaching-Anlage. Dort löst ein Bakterienisolat die Asche | |
auf und am Ende bleiben nur noch die Elemente. „Das Produkt aus dem | |
Phytominingprozess ist vergleichbar mit einem durch konventionellen Bergbau | |
erhaltenen Produkt“, sagt Wiche. | |
## Phytomining rentiert sich bislang nicht | |
Warum also hat sich noch niemand auf den Weg nach Bochum gemacht und dort | |
in stillgelegten Bergwerken großflächig Hallersche Schaumkresse gesät? | |
Zum einen können Pflanzen nur so tief Metalle aufnehmen, wie ihre Wurzeln | |
reichen. [6][Wenn etwa Zink in großen] Mengen mehrere Meter tief im Boden | |
steckt, reichen die Wurzeln der Pflanzen nicht aus, um das Zink ans | |
Tageslicht zu befördern. | |
Zum anderen muss die Pflanze zuvor für die landwirtschaftliche Nutzung | |
optimiert werden. „Man kann die Pflanzen nicht einfach von ihren | |
natürlichen Standorten holen und dann auf den Acker setzen“, sagt Krämer. | |
Etwa müsse das Saatgut vermehrt werden und es wäre notwendig, eine Variante | |
zu haben, die möglichst viele Samen produziert. | |
Phytominig lohnt sich auch finanziell noch nicht. Markus Puschenreiter, der | |
an der Universität für Bodenkultur in Wien forscht, leitete bis 2021 einen | |
Versuchsacker in Österreich. Der Ertrag von 130 Kilogramm Nickel pro Hektar | |
pro Jahr war ergiebig, aber dennoch zu gering, um das Projekt | |
weiterzuführen. „Wirtschaftlich rechnet sich das nicht, weil die | |
Pflanzenpflege zu teuer ist“, sagt Puschenreiter. Solange die Verhüttung | |
nicht rentabel ist, haben die Versuche kaum eine Chance, auf dem Markt zu | |
bestehen. | |
## Umdenken durch Knappheit, Umwelt- und Menschenrechte | |
Doch die Zeit könnte der Branche in die Karten spielen. „Ich denke, dass | |
wir in 50 Jahren genug Knappheit haben werden, dass die Industrie auch auf | |
Phytomining setzen wird“, schätzt die Pflanzenphysiologin Krämer. | |
Für sie könnten aber auch Umwelt- und Menschenrechte zu einem Umdenken | |
führen. „Sobald Umweltaspekte eine größere Rolle spielen, sobald wir nicht | |
mehr wollen, dass für unsere Rohstoffe großflächig Natur zerstört wird, | |
sobald wir nicht mehr wollen, dass Kinder im Kongo für unsere Rohstoffe in | |
Tagebaulöcher steigen, kommt Phytomining ins Spiel.“ | |
Die Fachliteratur weist derzeit vor allem auf eines hin: Es besteht noch | |
Forschungsbedarf, sowohl hinsichtlich des wirtschaftlichen Potenzials als | |
auch der Technologie selbst. Deshalb werden die erfolgreichsten Ernten in | |
Zukunft vermutlich dort zu erwarten sein, wo sich die beste | |
Pflanzentechnologie am schnellsten entwickelt. | |
Die ganze Welt mit Metallen versorgen können, wird Phytomining wohl nicht. | |
Solange der weltweite Bedarf nicht extrem sinkt, wird es Alternativen und | |
[7][großflächiges Recycling] brauchen. Oder eine Kombination aus allem. | |
20 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acseenvironau.1c00018 | |
[2] /Weltweit-groesstes-Phospatvorkommen/!5947169 | |
[3] /Debatte-ueber-Gentechnik-bei-Pflanzen/!5948828 | |
[4] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0013935116302249 | |
[5] https://link.springer.com/article/10.1007/s11104-016-2797-1 | |
[6] /Tiefseebergbau-in-Norwegen/!5941782 | |
[7] /Gesetz-zu-Elektrogeraeten/!5944080 | |
## AUTOREN | |
Enno Schöningh | |
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