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# taz.de -- Machismo in Spanien: Francos Erbe
> Der Fall Rubiales legt die Spaltung des Landes offen. Es geht um
> kulturelle Hegemonie. Doch auch innerhalb der Konservativen tun sich
> Risse auf.
Bild: Rote Karte für Machismo: Feministische Demonstration gegen Verbandschef …
Wenn etwas die Gesellschaft und Politik Spaniens abbildet, ist es Fußball,
oder besser gesagt der Frauenfußball. Seitdem Luis Rubiales, [1][der
inzwischen zurückgetretene Präsident] des nationalen Fußballverbandes, bei
der Übergabe der Medaille nach gewonnener Weltmeisterschaft die Spielerin
Jenni Hermoso gegen deren Willen küsste, kennt das Land auf der Iberischen
Halbinsel praktisch kein anderes Thema mehr. Zu verurteilender Übergriff
oder verständlicher Überschwang, lautet die Frage auch noch nach seinem
Rücktritt. Selbst nachdem Rubiales von einer „Hexenjagd“ gegen ihn,
ausgerufen von einem „falschen Feminismus“, sprach, gab es mächtige
Stimmen, die zu ihm hielten.
Der Kuss verdeutlicht [2][die tiefe Spaltung des Landes] in ein modernes
vorwärtsgewandtes Spanien und in das, das alten Zeiten nachtrauert. Hinter
Spaniens Frauen liegt ein steiniger Weg, den sie mit Bravour gemeistert
haben. Wohl kaum ein Land in Europa hat sich in den vergangenen knapp 50
Jahren – nicht zuletzt dank der Frauen – so verändert wie Spanien. Als 1975
[3][Diktator General Francisco Franco] starb und das Land Richtung Europa
und Demokratie aufbrach, waren Frauen – ähnlich wie in vielen arabischen
Ländern heute noch – so etwas wie ewige Unmündige.
Sie konnten ohne die Zustimmung ihres Ehemannes weder arbeiten noch einen
Reisepass beantragen, ein Bankkonto eröffnen, Eigentum verwalten oder
Verträge unterzeichnen. Scheidungen gab es nicht, Verhütungsmittel waren
verboten, von Abtreibung ganz zu schweigen. Ihre gesetzlich
festgeschriebene Rolle war im ultrakatholischen Sinne die der
hingebungsvollen Ehefrau und Mutter. Nur rund 20 Prozent der Studierenden
an den spanischen Hochschulen waren Frauen, heute sind es 56 Prozent.
Erst mit der Verabschiedung der demokratischen Verfassung von 1978 wurden
Frauen den Männern rechtlich gleichgestellt. Im Jahr 2004 verabschiedete
das spanische Parlament ein Gesetz gegen Gewalt gegen Frauen, 2007 das
Gleichstellungsgesetz und in der vergangenen Legislaturperiode das
sogenannte Gesetz „Nur Ja ist Ja“, mit dem alle sexuellen Handlungen, die
nicht ausdrücklich im beiderseitigen Einvernehmen geschehen, als strafbar
gelten. Der aufgezwungene Kuss von Rubiales könnte in diesem Sinne durchaus
als eine „erniedrigende Handlung“ gelten.
All diese Gesetze und Veränderungen sind das Ergebnis des Drucks einer
starken Frauenbewegung auf die spanische Politik. Die Rechte freilich hat
sich mit vielen dieser Veränderungen nie abgefunden. Sie gibt sich gern als
Verteidiger echter Männlichkeit. Vor allem die rechtsextreme Partei Vox
leugnet männliche Gewalt gegen Frauen, macht sich über das „Einvernehmen“
lustig und stützte Verbandschef Rubiales und dessen Verschwörungstheorie.
Seitdem die konservative Partido Popular (PP) mit Unterstützung der Vox in
über 100 Gemeinden und in 6 Regionen regiert, macht auch sie sich die
Politik gegen die feministischen Errungenschaften zu eigen. Die Abschaffung
von Programmen gegen sexuelle Gewalt und für Gleichstellung gehört überall
mit zur jeweiligen Koalitionsvereinbarung. Während sich der Bürgermeister
von London mit Hermoso solidarisch zeigte, sprach jener von Madrid von
einer „Überreaktion“ der Linken. Und die Regierungschefin der Region um die
Hauptstadt, Isabel Díaz Ayuso, stellt den „sanftmütigen Männern“ – den…
der Linken – ihre PP als „die Partei des Lebens, der Freude“ gegenüber.
Ähnlich wie für Vox ist für sie die Debatte über Machismus die Kastration
des echten Mannes.
Es ist ein Kampf um kulturelle Hegemonie, wie ein Blick in die sozialen
Netzwerke zeigt. Dutzende Posts behaupten, Rubiales sei unschuldig – und
versprachen Beweise. Hermoso sei das Opfer einer Frauenbewegung und einer
Linken, die sie zu den Aussagen gegen den Verbandschef drängten.
„Se acabó“, „Schluss damit“, ist der Aufstand der Frauen – und der M…
die nicht so sein wollen wie Rubiales oder die Machos von Vox und PP. Es
geht nicht um einen einzelnen Vorfall. Es geht um die kleinen, alltäglichen
machistischen Übergriffe. Um das, was als normal gilt, als üblich
hingenommen wird, aber dennoch schmerzt, erniedrigt und beleidigt.
Wie weit diese unangenehmen Erfahrungen reichen, zeigt sich jetzt in der
Debatte über den Kuss. Selbst im konservativen Lager taten sich Risse auf.
So manche Talkshow-Teilnehmerin aus dem eher rechten Lager fand deutliche
Worte der Solidarität mit Hermoso, so manche Politikerin ebenfalls. Das
Paket aus Vaterland, Tradition und Machismus, das die Rechte verkauft,
bricht auf.
## Vox und PP punkten bei Männern
Genau mit dieser Mischung versuchten PP und Vox die vergangenen Wahlen zu
gewinnen – und sie scheiterten. Ihre rückwärtsgewandte Politik macht der
Mehrheit Angst und ist deshalb auch nicht tragfähig für eine Regierung.
Zwar gewann Alberto Nunez Feijóo – Spitzenkandidat der PP – bei den
Parlamentswahlen Ende Juli, doch auch mit Vox zusammen erhielt er keine
absolute Mehrheit im Parlament.
Somit wird wohl der bisherige Ministerpräsident Pedro Sánchez
weiterregieren können, sollte er die Parteien auf der Linken und die aus
den Regionen wie Galicien, dem Baskenland und Katalonien hinter sich
vereinen. Da sich Feijóo und seine PP völlig auf Vox festgelegt hat und
sich weigert, eine Brandmauer gegen rechts außen zu errichten, ist er
selbst zum Ziel einer breiten Ablehnung der anderen Parteien geworden.
Niemand – außer ihm – will mit Vox aufs Foto.
Die Wahlanalysen verwundern nicht: Vox und die PP konnten bei Männern
punkten, die Sozialisten bei den Frauen. Der aufgezwungene Kuss und die
breite öffentliche Ablehnung sind längst das Symbol einer Zeit, in der das
moderne Spanien sich aufbäumt, um das Erreichte zu verteidigen und weiter
Fortschritte zu erringen.
13 Sep 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Reiner Wandler
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