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# taz.de -- Der taz-Rückblick auf das Sportjahr 2023: 3 Atömchen und 6 Teile
> Das Sportjahr 2023 war so einiges: Inka Grings sagt etwas, Michael Smith
> erlebt einen Höhepunkt und Luis Rubiales macht sich lächerlich.
Bild: Dunk des Dirigenten: Dennis Schröder drückt als Weltmeister den Ball du…
## Sportmoment des Jahres
Manchmal geschehen eben Dinge, die verdammt unwahrscheinlich sind. Nicht
dass Deutschland Weltmeister im Cricket geworden wäre oder im Curling,
nein, so weit ist es beim besten Willen noch nicht. Aber
Basketball-Weltmeister in man heuer geworden. Was war das nun? Eine
veritable Sensation? Ein unglaublicher Durchmarsch? Eine glückliche Fügung?
All das würde den Erfolg der Mannschaft von Coach Gordon Herbert nur
oberflächlich beschreiben, wenngleich die Verblüffung über Platz eins bei
vielen Basketballfans immer noch spürbar ist.
Im Mannschaftssport gibt es diese seltenen Momente, in denen ein Rädchen
ins andere greift, das Team über sich hinaus wächst. [1][Die Fußballelf aus
Leicester] hat vor Jahren einmal die Welle des Flow-Erlebnisses geritten,
beim Championat in Asien schien es auch wie von selbst zu gehen. Wo eben
noch Krampf und Kampf war, schien das Spiel nun durchwirkt zu sein von
Esprit und Leichtigkeit. Angeführt von Spielmacher Dennis Schröder, der
sich bei der WM viel zu beweisen hatte, assistiert von anderen
NBA-erfahrenen Profis wie den Wagner-Brüdern oder Daniel Theis emanzipierte
sich das DBB-Team von den eigenen Zweifeln, ein Sieganwärter zu sein. Nun
beginnt das Schwierigste: oben bleiben. Markus Völker
## Sportverlierer des Jahres
In den letzten Jahren fiel die Auswahl für diese Kategorie immer leicht:
Verlierer waren die, die sich weigerten, gegen Sportler aus bestimmten
Ländern anzutreten. Oder Regime, die oppositionelle Sportler zum Tode
verurteilten oder hinrichten ließen. Weil dieses Jahr voller negativer
Nachrichten war, stellt sich nun die Frage, ob es notwendig ist, noch
einmal ausgewählte, strikt sportliche Niederlagen hämisch zu kommentieren.
Nein, der BVB muss wirklich nicht noch mal an die verpasste Meisterschaft
erinnert werden.
Womit wir zu etwas kommen, das 2023 im anderen Sinne verloren wurde. Das
hat mit einer Vereinshymne zu tun. In ihr besangen die „3 Atömchen“ die
Aachener Alemannia mit Zeilen wie: „Wir brauchen keinen Seeler, keinen
Brülls, denn wir kaufen unsere Spieler bei Marl Hüls“. Weit entfernt von
der üblichen Vereinsherrlichkeit heißt es im 1967 entstandenen Lied: „Und
beim Abpfiff sagt das Fränzchen dann zum Jupp: [2][Das ist und bleibt
derselbe Klömpchensklub]“. Am 31. März starb der im Song als
„Selbsttorspezialist“ bezeichnete „de Futt“, der bis dahin letzte noch
lebende darin genannte Aachener Spieler. 225 Spiele hatte Werner
Nievelstein für Aachen absolviert. Nievelstein wurde 82 Jahre alt. Elke
Wittich
## Sportgewinner des Jahres
Diesen Moment wird ihm niemand mehr nehmen. Das Jahr war blutjung, als es
schon den ersten sportlichen Höhepunkt erlebte: Das Finale der Darts-WM,
das am 3. Januar 2023 stattfand, zwischen dem favorisierten Ex-Champion
Michael van Gerwen aus den Niederlanden und dem bulligen Jungen von der
Merseyside mit [3][dem Allerweltsnamen Michael Smith]. Smith, Kampfname
„Bully Boy“, hatte eine blendende Saison hinter sich und stampfte schon
während des Turniers in schierer Unerbittlichkeit die Pfeile in die
gewinnbringenden Felder.
Ein 180er Triple nach dem anderen. Van Gerwen war angefixt, nahm die
Herausforderung im Finale an und legte vor: eine 180, auf die Smith
konterte, noch eine 180, auf die Smith konterte, und noch zwei „perfekte“
Würfe, bis er die entscheidende Doppel-12 nur knapp verfehlte. Aber es war
noch nicht zu Ende: Smith konterte die zwei perfekten und: traf die
Doppel-12. „Das beste Leg aller Zeiten“, es war geboren in diesem
unglaublichen Finale. Danach konnte das Jahr für Smith nur eine
Enttäuschung sein. Man kennt dieses Phänomen vom Tennis: zu viel
plötzlicher Fame, zu viel Publicity, zu viel Kopfkino, der Weltmeister
konnte am Brett nie wieder diese Ruhe und Form vom Finale erreichen. René
Hamann
## Das Sportzitat des Jahres
„Ich bin Deutsche, lebe in Deutschland und trage die ‚deutsche Mentalität�…
in mir.“ So begründet Inka Grings, warum sie sich das Amt der DFB-Trainerin
zutraut. Ob Bundestrainer oder -trainerin, es gibt nie die zeitlos richtige
Besetzung. Der strenge Seppl Herberger passte in die 50er, der liberale
Helmut Schön zur sozialliberalen Epoche, und Silvia Neid agierte in ihrer
Amtszeit von 2005 bis 2016 ähnlich unaufgeregt, aber erfolgreich wie Angela
Merkel oder Jogi Löw. Gescheitert sind sie nicht, weil sie nichts konnten,
sondern weil ihre Ära zu Ende war.
Und ihre je nur kurz amtierenden Nachfolger passten nicht in das, was sich
da als neue Zeit ankündigt und von der niemand weiß, wie sie denn letztlich
aussehen wird. Es ist alles so unentschieden wie ein Fußballspiel beim
Anpfiff – politisch, sportlich, gesellschaftlich. Allerdings wie ein Spiel,
in das unsereins als Außenseiter geht, mit Muffen. Inka Grings hingegen ist
die Favoritin. Dass sie gerade erst als Nationaltrainerin in der Schweiz
gescheitert ist, liegt ihres Erachtens ja vielleicht daran, dass sie
deutsch ist, lebt und fühlt. Wenn Grings den Job bekommen und vielleicht
sogar noch Erfolg haben sollte … – ach nö, bitte nicht. Martin Krauss
## Der Sportfunktionär des Jahres
Die obersten Aufseher des Sports sind seit jeher männlichen Geschlechts. Um
in diesem Männerbund aufzufallen, bedarf es ausgefallener
Selbstherrlichkeit. An Mannsbildern wie Gianni Infantino oder Thomas Bach
gab es zuletzt kein Vorbeikommen. Doch Luis Rubiales, der bis zum Sommer
spanischer Fußballpräsident war, hat es 2023 geschafft, indem er sich auf
einer der größten Bühnen zur [4][Karikatur des testosterongesteuerten
Sportallmächtigen] machte.
Fasste er sich schon auf der Ehrentribüne nach dem WM-Triumph der
spanischen Fußballerinnen vulgär ans Gemächt, so umklammerte er später den
Kopf der Spielerin Jennifer Hermoso und drückte ihr einen Kuss auf den
Mund. Dass die Betroffene das genau so gewollt hatte oder zumindest nichts
dagegen hatte, war für Rubiales klar, gegenteilige Erklärungen eine Lüge.
All die Kritik an ihm, die ihm schließlich sein Amt kostete, war Ausdruck
eines „falschen Feminismus“, wie er sagte. Solch geballte toxischer
Männlichkeit lässt all diejenigen, die knapp die Grenzen überschreiten,
fast wie fromme Lämmer erscheinen. Diese Wiederbelebung reaktionärer Zeiten
überschattet vieles – auch den fußballerischen Zauber, für den die
Spanierinnen gesorgt haben. Johannes Kopp
## Der Sportfilm des Jahres
Sturm Zoltan treibt eiskalten Regen waagerecht über die Straßen. Das macht
den kleinen Anstieg über eine Brücke auf dem Weg zur Arbeit zur
Herausforderung. Da stellt es sich ein, [5][dieses Jan-Ullrich-Gefühl]. So
muss sich der damals junge Sportheld der Nation gefühlt haben, als ihm der
kleine Italiener Marco Pantani bei lausigem Wetter 1998 am Galibier in den
Alpen davongefahren ist. Jan Ullrich, der mit seinem Tour-Sieg 1997 die
Herzen der Sportnation im Gipfelsturm nach Andorra erobert hatte, ist
wieder da.
In der Amazon-Doku-Serie „Der Gejagte“ radelt er noch einmal über die Päs…
an den Schickalsbergen seiner Karriere. Endlich sagt er, wie er sein Blut
manipuliert hat, versucht zu erklären, wie er zum Säufer und
Drogensüchtigen geworden ist und wie man ihn allein gelassen hat mit seinen
Problemen. Am liebsten möchte man ihn in den Arm nehmen, so ehrlich kommt
er rüber. Ob er's ist, weiß nur er selbst. In der Serie jedenfalls kann man
sich ihm nicht entziehen. Wie er über seine Mama redet! Schluchz! Er ist
eine Authentizitätsmonster, das man einfach mögen muss. Man kann nicht
genug kriegen von ihm. Jetzt noch einen Podcast mit ihm hören. Und noch
einen. Und noch einen. Andreas Rüttenauer
30 Dec 2023
## LINKS
[1] https://www.eurosport.de/fussball/premier-league/2014-2015/leicester-city-d…
[2] https://www.kloempchensklub.de/hallo.html
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Smith_(Dartspieler)
[4] https://www.youtube.com/watch?v=oOoAacDHW_E
[5] https://www.amazon.de/Jan-Ullrich-Gejagte-Staffel-1/dp/B0CGMT1YYK
## AUTOREN
Martin Krauss
Johannes Kopp
Andreas Rüttenauer
Markus Völker
René Hamann
Elke Wittich
## TAGS
Jahresrückblick
Basketball
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Fußball
Radsport
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Basketball
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