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# taz.de -- Lohnungerechtigkeit in Deutschland: Acht Jahre zu viel
> Die Journalistin Birte Meier klagte gegen das ZDF wegen
> Lohndiskriminierung. Nun gibt es eine Einigung. Ein Fall, der viel über
> Equal Pay verrät.
Bild: Birte Meier hat das ZDF 2022 verlassen und arbeitet mittlerweile für RTL
Im Juni standen die ehemalige [1][ZDF-Journalistin Birte Meier] und ihre
Rechtsanwältin Sarah Lincoln auf der Bühne der re:publica in Berlin und
zeigten mit einem Bild von einem Strand unter Palmen, worum es ihnen ging:
Um manchmal bis zu 100.000 Euro und mehr, jedenfalls um „einen Batzen
Geld“, wie Birte Meier es nannte. Und darum, ob Wunschträume wie eine
Traumreise zum Strand wahr werden können oder nicht.
Sie sprach grundsätzlich von Lohnraub. Aber auch konkret von ihrem eigenen
Fall, den sie in ihrem Buch „Equal Pay Now!“ beschrieb.
Als Mitarbeiterin beim ZDF wurde sie jahrelang schlechter bezahlt als
männliche Kollegen mit gleicher Qualifikation. Meier klagte und ein acht
Jahre andauernder Rechtsstreit inklusive Einschüchterungsversuchen folgte.
Nun haben sich Meier und das ZDF gerichtlich geeinigt. Das Arbeitsgericht
Berlin bestätigte das gegenüber der taz. Was genau die Einigung umfasst,
darüber schweigen beide Parteien.
Angefangen hatte alles bei einer Weihnachtsfeier im Jahr 2014. Meier hatte
dort erfahren, dass ein jüngerer Kollege, der nach ihr in die Redaktion
gekommen war, [2][dennoch mehr verdiente.] Warum? Es gab dafür keinen
ersichtlichen Grund. Meier ärgerte sich darüber, weil ZDF-Verantwortliche
zuvor versuchten, ihr den Verdacht der ungleichen Bezahlung auszureden. Sie
recherchierte in eigener Sache und entdeckte, dass sie grundsätzlich
schlechter als Männer bezahlt wurde.
## Mühsam erkämpft
Im ZDF folgt die Vergütung für sogenannte feste Freie wie Meier eigenen
Prinzipien. Anders als bei ARD-Sendern zahlt das ZDF monatliche Festbeträge
auf Lohnsteuerkarte entsprechend einer tariflichen Eingruppierung.
Birte Meier musste sich Auskunft mühsam gegen Widerstand über Jahre
gerichtlich erkämpfen. Ihre Klagen seien im ZDF misstrauisch aufgenommen
worden – so als verlange sie etwas, was ihr nicht zustehe. Sie hatte den
Eindruck, dass man im Sender Negatives über sie sammelte. Statt ihre
Vorwürfe zu prüfen, droht das ZDF ihr bald nach Beginn der
Auseinandersetzung, der Sender werde ihr Verhalten „arbeits- und
gegebenenfalls strafrechtlich“ bewerten. Sie sei kriminalisiert worden,
weil sie sich angeblich Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse beschafft habe.
Erst nach energischem Protest ihres Anwalts habe das ZDF diese Ansage, die
Meier als Einschüchterung empfand, zurückgenommen.
[3][Im Jahr 2016 stand sie vor dem Arbeitsgericht Berlin], und das ZDF
forderte sie auf, den Sender zu verlassen. Der Richter habe dem zugestimmt.
Sie aber blieb, obwohl sie das Verfahren zunächst verlor. Nach dem
Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes erstritt sie Auskunft und
erfuhr: Männer verdienten im Jahr 2017 im Schnitt rund 800 Euro im Monat
mehr als sie. Obendrein habe es für Männer Leistungszulagen gegeben – nicht
aber für sie.
Aufgrund ihrer ungleichen Einordnung in das tarifliche Stufensystem seien
Männer zudem vor ihr aufgestiegen und dürften im Schnitt 2018 sogar 1.200
Euro und 2019 über 1.500 Euro pro Monat mehr verdient haben, errechnete die
Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) im Juni 2021. Deren Vertreterin,
Nora Markard, sagte damals: „Die Auskunft erhärtet nicht nur den
Diskriminierungsverdacht, sondern zeigt auch, dass der Klägerin jährlich
bis zu 18.000 Euro entgehen – das sind ganz erhebliche Summen. Das erklärt,
warum der Sender sich bisher mit Händen und Füßen gegen die
Auskunftspflicht gewehrt hat.“
Nun haben sich Meier und das ZDF gerichtlich geeinigt. Meiers
Rechtsanwältin Sarah Lincoln von der (GFF) betont: „Gut, dass Birte Meier
dieses Kapitel endlich abschließen kann. Es bleibt jedoch ein Skandal, dass
sie so viele Jahre kämpfen musste, um endlich Geld zu sehen. Mit ihrer
Hartnäckigkeit konnte sie viel für Frauen in Deutschland erreichen. Ihr
Grundsatzurteil von 2020 hat mit dem von der bei einem Metallunternehmen
ebenfalls zu schlechten Bedingungen angestellten Susanne Dumas in diesem
Jahr erstrittenen Urteil Meilensteine gesetzt: Künftig werden Frauen es
wesentlich leichter haben, gleiche Bezahlung einzufordern.“
## Kein Verlass auf die Politik
Das Bundesarbeitsgericht hatte in den beiden Urteilen laut GFF
klargestellt: Auch arbeitnehmerähnliche Beschäftigte haben Anspruch auf
Lohnauskunft. Und Arbeitgeber dürfen von dem Prinzip „gleicher Lohn für
gleiche Arbeit“ nicht abweichen, nur weil ein Mann höhere
Gehaltsforderungen stellt als seine Kollegin. Diese Entscheidungen zeigten,
welche wichtige Rolle die juristische Intervention bei der Durchsetzung von
Menschenrechten spielte, so Sarah Lincoln. Denn auf die Politik hätten die
Frauen hierzulande bisher nicht zählen können: Dass Deutschland bei der
Gleichbezahlung von Frauen europaweit zu den Schlusslichtern gehört, habe
auch damit zu tun, dass der Gesetzgeber bindende EU-Vorgaben aus den 1970er
Jahren bis heute nicht vollständig umgesetzt habe. Dies habe zuletzt auch
das Bundesarbeitsgericht in seiner Grundsatzentscheidung im Verfahren von
Birte Meier gerügt, sagt die GFF-Anwältin.
Dass Politiker:innen eine fragwürdige Rechtsauffassung offenbaren, die
gegen Artikel 3 des Grundgesetzes („Männer und Frauen sind
gleichberechtigt“) verstößt, kritisiert Lincoln. Bei der Abstimmung zur
neuen, noch einmal verschärften EU-Richtlinie zur Lohntransparenz im April
dieses Jahres habe sich die Ampelregierung enthalten. Sarah Lincoln sagt:
„Dass sich eine deutsche Regierung im 21. Jahrhundert immer noch dagegen
sträubt, die notwendigen Schritte für die Gleichbehandlung von Männern und
Frauen anzugehen, ist eigentlich unfassbar. Doch trotz Enthaltung ist die
Bundesrepublik nun verpflichtet, die Vorgaben konsequent in nationales
Recht zu gießen. Und das darf nicht noch einmal Jahrzehnte dauern.“
Zur Höhe der finanziellen Entschädigung von Meier äußern sich beide
Parteien nicht. Im Juni vergangenen Jahres hatte das ZDF Meier 110.000 Euro
und vier bezahlte Monate Urlaub angeboten, wenn sie ihre Vorwürfe nicht
weiter öffentlich erhebt. Meier nannte das Angebot „verlockend“ und lehnte
ab. Stattdessen veröffentlichte sie das Buch „Equal Pay Now!“ und beklagte
darin „knallharten Lohnraub“, der Frauen um den Wert eines
Einfamilienhauses oder einen finanziell abgesicherten Ruhestand bringe.
Erstmals nannte Birte Meier in ihrem Buch Details zu ihrem eigenen
Verfahren.
Vor Gericht habe das ZDF noch vehement bestritten, dass Frauen
benachteiligt würden, betont sie. Doch nachdem sie Klage eingereicht hatte,
seien Frauen, die ihre Anwälte und Anwältinnen als im Vergleich zu einem
Mann grundlos schlechter bezahlt aufführten, entweder angestellt (und damit
nach Ansicht des ZDF nicht mehr vergleichbar) oder aber ihr Honorar sei
erhöht worden, berichtet Meier. Mittlerweile sei das ZDF offenbar bemüht,
die Altlasten möglichst ohne Aufsehen zu bereinigen.
Die Summe, auf die Meier und das ZDF sich nun einigten, ist vermutlich
niedriger als die 2022 gebotene Summe, weil die Schweigeklausel durch die
Buchveröffentlichung und damit verbundene Interviews obsolet wurde. Das ZDF
beantwortet keine Fragen zu dem Rechtsstreit, etwa wie viel das acht Jahre
dauernde Verfahren den Sender gekostet hat.
Meier kündigte im Juni 2022 beim ZDF und arbeitet seit Oktober für RTL.
Gegenüber der taz bilanziert Meier: „Acht Jahre Klagen auf gleichen Lohn
sind genau acht Jahre zu viel. Es bleibt ein Präzedenzurteil vor dem
Bundesarbeitsgericht für alle Frauen, eine Überweisung für mich und die
bittere Gewissheit, dass in Deutschland für Equal Pay noch viel zu tun
ist.“
29 Aug 2023
## LINKS
[1] /Journalistin-ueber-Equal-Pay/!5917281
[2] /Teilerfolg-fuer-ZDF-Redakteurin/!5697213
[3] /Birte-Meiers-Klage-zurueckgewiesen/!5567571
## AUTOREN
Thomas Schuler
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