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# taz.de -- CDU und AfD in Sachsen: Wo verläuft die Brandmauer?
> In Sachsen fällt es der CDU schwer, sich von der AfD abzugrenzen. Auch
> von Merz kamen unterschiedliche Signale. Wie geht die CDU damit um?
Bild: CDU-Landrat Stephan Meyer (im blauweiß gestreiften Hemd) hat ans Lagerfe…
Manchmal sorgt sich Yvonne Magwas, wenn Sachsens Ministerpräsident sich
äußert. Manchmal ärgert sie sich auch richtig. „Ich wünschte mir, Michael
Kretschmer würde die Bundespolitik weniger häufig kommentieren“, sagt sie.
„Wir haben genug Probleme vor der eigenen, sächsischen Haustür.“ Darum ab…
geht es nicht nur.
Magwas, 41, Christdemokratin wie Kretschmer, kommt aus Auerbach im Vogtland
im Westen Sachsens, seit 2013 sitzt sie im Bundestag. Zweimal hat sie
letztens ihren Wahlkreis direkt gewonnen, seit knapp zwei Jahren ist sie
Vizepräsidentin des Bundestags. In der CDU gilt die Soziologin als liberal,
damit gehört sie in der „Sachsen-Union“, wie sich die Partei hier stolz
nennt, zu einer Minderheit. Magwas’ Standpunkt: „Wir brauchen eine klare
Abgrenzung von allem, was rechtspopulistisch ist.“
Diesen Anspruch erfüllt Kretschmer nicht. Zwar schließt er eine Koalition
mit der AfD klar aus. Aber er sagt eben auch all diese Sachen, die wie eine
Light-Variante der radikalen Rechten klingen. Kretschmer hat für eine
Einschränkung des Grundrechts auf Asyl plädiert. Er hat sich für eine
Reparatur der Gaspipeline Nord Stream 1 ausgesprochen. Und dafür, den Krieg
in der Ukraine durch Verhandlungen einzufrieren, auch wenn das auf Kosten
des angegriffenen Landes geht.
In der sächsischen Bevölkerung kommt das gut an. Kretschmer, der auch
stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender ist, gilt als einer, der sagt, was
er denkt. Und der sich von denen in Berlin nichts verbieten lässt. Eine
Stimme des Ostens.
## Filmdöschen mit Backpulver
Stellt man sich die sächsische CDU als eine Achse vor, steht Magwas an dem
einen Ende, irgendwann kommt Kretschmer. Und von dort geht es noch weiter
nach rechts. Zum Beispiel bis zur Kreistagsfraktion in Bautzen.
Wie behauptet sich die CDU vor Ort? Wie stellt sie sich auf? Und wie ist
ihre [1][Strategie im Umgang mit der AfD]? Mit diesen Fragen ist die taz zu
Yvonne Magwas ins Vogtland gefahren. Zu Stephan Meyer, der seit einem Jahr
Landrat in Görlitz an der polnischen Grenze ist. Und zu Karsten Vogt, dem
Oberbürgermeister von Bautzen.
Ein Dienstag Mitte Juli, Yvonne Magwas besucht in ihrem Wahlkreis eine Kita
der AWO. Bald hockt sie draußen auf dem Boden und versucht, ein zur Rakete
umgestyltes Filmdöschen mit Backpulver und Essigessenz zum Fliegen zu
bringen. Das Gemisch entweicht, ein leises „Pffft“ ist zu hören, mehr
nicht. „Fehlstarts können passieren“, sagt sie und lacht.
Als sie später mit der Kitaleiterin und einer Geschäftsführerin der
örtlichen AWO beim Kaffee im Garten sitzt, geht es um die Kitaarbeit, die
stark gestiegene Eigenbeteiligung in Pflegeheimen, die geschlossene Klinik
im Nachbarort, schließlich um die „soziale Hängematte“. Wer Sozialhilfe
beziehe, müsse auch etwas tun, meint die Frau von der AWO, das könne sich
der Staat so nicht weiter leisten. Sie könne das beurteilen, sie sei
schließlich schon 30 Jahre dabei.
Sie erlebe das häufiger, sagt Magwas später im Auto. Dieses tief sitzende
Gefühl, dass es ungerecht zugehe. Es sei ein Gefühl, das die AfD ausnutze.
„Das muss man ernst nehmen und politisch bearbeiten.“ Magwas’ Strategie:
zuhören, Zusammenhänge erklären, kümmern. Wenn jemand sich mit einem
Anliegen an das Wahlkreisbüro wendet, helfen Magwas und ihre
Mitarbeiterinnen – egal, ob es wie an diesem Dienstag um einen
Pflegekostenbescheid geht, störende Signalgeräusche einer Baustelle der
Bahn oder eine Folgefinanzierung für die „Vogtlandpioniere“, die alte
Bauwerke wiederbeleben. „Es ist oft sehr kleinteilige Kümmererarbeit, die
wir machen“, sagt Magwas. „Wir nehmen uns dafür viel Zeit.“
Seit 1990 kommt der Ministerpräsident in Sachsen ununterbrochen aus der
CDU, der erste war Kurt Biedenkopf. Er beruhigte die Bevölkerung mit dem
Satz: „Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus.“ Allen rassistischen
Angriffen, Neonazibanden und einem Erstarken der NPD zum Trotz, die 2004
mit fast 10 Prozent in den Landtag einzog.
Das Verleugnen ging lange weiter. Seitdem gab es in Sachsen rechte
Terrorgruppen, Brandanschläge und Hetzjagden, rechtsextreme Aufmärsche,
Drohungen. Der Sachsen-Monitor zeigt regelmäßig, wie verbreitet autoritäre
und menschenfeindliche Einstellungen sind. Manche in der CDU sagen, auf dem
Land sei die Sprache der AfD längst Normalität, Aussagen blieben oft ohne
Widerspruch. Bei der letzten Bundestagswahl bekam die AfD mehr Stimmen als
die CDU, laut Umfragen steht sie inzwischen bei 30 Prozent, bei der
Landtagswahl im kommenden Jahr könnte sie stärkste Kraft werden. Die CDU
will mit Michael Kretschmer wieder gewinnen.
Yvonne Magwas ist überzeugt, dass sich die CDU hart von der AfD abgrenzen
muss. Als Parteichef Friedrich Merz im Juli im ZDF-„Sommerinterview“
den Eindruck erweckte[2][, dass eine Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene
mit seinem Segen möglich sei], postete Magwas umgehend: „Ob Ortschaftsrat
oder Bundestag, rechtsradikal bleibt rechtsradikal. Für Christdemokraten
sind Rechtsradikale IMMER Feind!“
Noch heute ist sie empört, dass die Lokalzeitung sie fragte, ob sie nicht
mit dem Organisator der Montagsdemonstration in Plauen, wo zeitweise
Tausende auf die Straßen gingen, ein Streitgespräch führen würde. „Der hat
uns alle aufs Schlimmste beleidigt und ständig verhetzende Posts gemacht“,
sagt Magwas. „Da wäre gar kein Gespräch möglich und auch nicht sinnvoll
gewesen.“ Getroffen habe sie sich aber mit einer Gruppe, die ihr einen
offenen Brief zum Ukrainekrieg und zum Umgang mit Russland geschrieben
habe, ohne Beleidigung.
Inhaltlich passte ihr der Brief nicht, weil noch nicht einmal benannt
wurde, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg durch
Russland handelte. „Aber da muss man als Bundestagsabgeordnete zum Gespräch
bereit sein, die Kraft der guten Argumente nutzen.“ Am Ende aber habe sich
der Organisator des Briefs bei ihr bedankt.
Magwas gilt als Merkel-Anhängerin, im sächsischen Landesverband hat sie
damit keinen leichten Stand. Erschwert wird das durch ihren Mann, den
ehemaligen Ostbeauftragten der Bundesregierung, Marco Wanderwitz. Vor der
letzten Bundestagswahl hat er mit der Äußerung, ein Teil der
diktatursozialisierten Ostdeutschen sei für die Demokratie verloren, für
Furore gesorgt. Viele fühlten sich persönlich beleidigt. Wanderwitz war bei
der Bundestagswahl Spitzenkandidat der CDU in Sachsen, Kretschmer machte
ihn nach der Wahl öffentlich für das schlechte Abschneiden verantwortlich
und sorgte dafür, dass er den Vorsitz der sächsischen Landesgruppe verlor.
Stephan Meyer steht am Biertisch auf dem Hof eines Vereinsheims in
Schleife, einem kleinen Ort ganz im Norden des Landkreises Görlitz. Am Rand
brennt ein Lagerfeuer, aber an diesem Augustabend ist es zu warm, um sich
daran zu setzen. Meyer, 42, ein schmaler Typ mit hoher Stirn und
Dreitagebart, hat sich bei der Landratswahl 2022 im zweiten Wahlgang klar
gegen seinen Konkurrenten von der AfD durchgesetzt. Bei Bratwurst und Bier
will er hier mit den Leuten ins Gespräch kommen, gut 50 sind gekommen.
Die Idee mit dem Lagerfeuer geht auf den Wahlkampf zurück. „Wir brauchen
niedrigschwellige Angebote“, sagt Meyer. „Ans Lagerfeuer geht man gern. Da
trauen sich Leute hin, die sonst nicht kommen.“ Ein Mann will mit ihm über
den Abschuss von Wölfen sprechen, eine Frau darüber, dass eine
Photovoltaikanlage nicht genehmigt worden ist.
Plötzlich steht der AfD-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla ein paar Grüppchen
weiter, breitbeinig, mit einem Bier in der Hand. Chrupalla kommt aus
Görlitz, er hat 2017 bei der Bundestagswahl dem heutigen
Ministerpräsidenten das Direktmandat abgenommen. Einen Sitz im Kreistag hat
er auch, alle Kreisräte wurden eingeladen. Meyer spricht zu Ende, dann geht
er zu Chrupalla, macht ein paar Minuten Small Talk. Als Chrupalla ansetzt
mit „Alle haben Angst“ und eine Frau zustimmend nickt, zupft ein älterer
Mann Meyer am Ärmel. Dieser geht ins Zwiegespräch, zur Gruppe um Chrupalla
stoßen zwei neue Leute hinzu.
Meyer, promovierter Wirtschaftsingenieur, gilt unter den sächsischen
Christdemokrat*innen als einer der Smarten. Dreimal wurde er seit 2009
direkt in den Landtag gewählt, zuletzt war er parlamentarischer
Geschäftsführer der Fraktion. Den Koalitionsvertrag zwischen CDU, SPD und
Grünen im Land hat er mitverhandelt. Meyer weiß, wie das politische
Geschäft funktioniert. Was also ist seine Strategie für die CDU in dieser
Zeit?
## „Wie wollen Sie Vertrauen zurückgewinnen, Herr Meyer?“
Die Leute seien verunsichert, sagt Meyer ein paar Tage vor dem
Lagerfeuerabend in seinem Büro. Der Krieg, die Krisen, die hohen
Energiepreise, die Inflation. „Alles wird teurer, aber gleichzeitig steigen
die Einkommen nicht entsprechend.“ Hinzu komme die illegale Migration, die
hier an der deutsch-polnischen Grenze spürbar sei. „Wir müssen die Themen,
die die Menschen betreffen, tatsächlich abräumen. Nicht mit irgendwelchen
populistischen Sprüchen, sondern mit konkreten Lösungen.“
Die Oberlausitz, einst Teil eines riesigen Kohlereviers, ist
„Strukturwandel-Kernregion“, wie Meyer es nennt. Hinzu kommt der
demografische Wandel. Die Montagsdemonstrationen sind wieder größer
geworden, seit es vor einem Club in der Stadt eine Schlägerei gab, drei
Männer aus Syrien kamen deshalb in Untersuchungshaft.
Wie wollen Sie hier vor Ort Vertrauen zurückgewinnen, Herr Meyer? „Ich bin
jetzt Chef einer großen Verwaltung, ich mache keine Gesetze mehr, sondern
muss sie umsetzen. Im Bereich Asyl zum Beispiel bin ich als Landrat für die
Unterbringung zuständig, egal, ob ich das gut oder schlecht finde.“ Es
müsse gelingen, dass die Mehrheit der Bevölkerung Verständnis für die
Entscheidungen habe. „Nicht alle, das wird nie gelingen, aber die Mehrheit.
Und das droht gerade verloren zu gehen.“
Weil die Verwaltung zwei neue Sammelunterkünfte für Geflüchtete einrichten
wollte, forderte die AfD eine Sondersitzung des Kreistags und beantragte,
neue Unterkünfte im Landkreis grundsätzlich auszuschließen. „Das steht
jeder Fraktion frei“, sagt Meyer. Die Bühne der AfD und ihrem Antrag zu
überlassen, das aber wollte er nicht. Zur Sondersitzung lud er einen
Vertreter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu einem Input ein,
die Verwaltung schrieb einen eigenen Antrag. Sie versprach, die beiden
Unterkünfte nur zwei Jahre lang zu nutzen. Der Landkreis setze auf
dezentrale Unterbringung und wolle große Unterkünfte in kleinen Orte
vermeiden, sagt Meyer. „Das ist einfach konfliktärmer.“
Auf der Sondersitzung appellierte Meyer laut Lokalmedien an Bund und Land,
geeignete Immobilien für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen, damit diese
nicht in Turnhallen landeten. Er forderte, dass der Bund die Kosten der
Unterbringung übernimmt und bessere Voraussetzungen für Abschiebungen
schafft. Auch AfD-Mann Chrupalla war da und hielt eine Rede. „Ich musste
ihn mehrmals unterbrechen, weil es alles andere als sachlich war“, sagt
Meyer. „Wir wollen keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen“, rief Chrupalla �…
und bekam dafür lautstarken Applaus aus dem Publikum. Aber der Antrag von
Meyers Verwaltung wurde angenommen. „Die AfD ist hier stark und laut, aber
sie hat nicht die Mehrheit“, sagt Meyer. Das müsse man immer wieder
klarmachen.
Worauf sich Meyer im Gespräch nicht einlässt: Prinzipien für den Umgang mit
der AfD zu formulieren. Wenn der Eindruck entstehe, etwas werde abgelehnt,
nur weil es von der AfD komme, sei das problematisch. Das Gefühl, das nach
dem Gespräch mit ihm aber bleibt: Meyer hat durchaus solche Prinzipien. Das
bestätigt auch die grüne Fraktionschefin im Landtag, Franziska Schubert,
die Meyer aus Görlitz und Dresden gut kennt.
Meyer mag den Begriff Brandmauer nicht. Doch von
Kommunalpolitiker*innen wie ihm hängt es ab, ob das, was damit
bezeichnet wird, funktioniert: eine klare Grenze zu ziehen zwischen
demokratischen Konservativen und antidemokratischen Rechtsradikalen. Und
der AfD den Zugang zur Macht zu versperren.
Nicht allen in der sächsischen CDU scheint diese Verantwortung bewusst zu
sein. Es gebe etliche Parteifreunde, die eine Zusammenarbeit mit der AfD
herbeisehnten oder „mindestens eine Tolerierung“, sagte Marco Wanderwitz,
Magwas’ Ehemann, jüngst dem Spiegel. Immer wieder werden Fälle der
Zusammenarbeit mit der AfD bekannt.
## Verlegung von Stolpersteinen verhindert
In Limbach-Oberfrohna etwa verhinderten CDU und AfD gemeinsam die
Verlegung von Stolpersteinen für zwei Opfer der Nazis, weil diese
Kommunisten waren. In Plauen untersagte der Stadtrat auf Antrag der AfD dem
örtlichen Theater das Gendern, CDU, FDP und Freie Wähler stimmten zu. Und
bundesweit für Aufmerksamkeit sorgte der Kreistag von Bautzen.
Im Dezember hatte CDU-Landrat [3][Udo Witschas] eine Videoansprache,
gespickt mit flüchtlingsfeindlichen Ressentiments, gehalten. Dann wurde
bekannt, dass Witschas und fast die ganze CDU-Kreistagsfraktion mit ihren
Stimmen einem AfD-Antrag zur Mehrheit verholfen hatten, der Flüchtlingen
unter bestimmten Bedingungen Integrationsleistungen absprach. Ein Verstoß
gegen die Beschlusslage der Bundespartei.
Es habe regen Telefonverkehr zwischen Berlin, Dresden und dem Landkreis
gegeben, hört man dazu aus unterschiedlichen Ebenen der CDU. Merz hatte
einst jedem ein Parteiausschlussverfahren angekündigt, der die Hand hebe,
um mit der AfD zusammenzuarbeiten. Sein Generalsekretär, damals noch Mario
Czaja, distanzierte sich öffentlich von der Kreistagsfraktion, Sanktionen
aber gab es keine. Aus der Landes-CDU ist dazu zu hören, es sei doch
wichtiger, dass so etwas nicht mehr vorkomme. Man brauche Leute wie
Witschas, denn andere gebe es vor Ort nicht. Und ohnehin würden Machtworte
aus Berlin die Renitenz vor Ort eher steigern.
„Wenn die AfD etwas einbringt, dem ich voll zustimmen kann, dann stimme ich
dafür,“ betonte Matthias Grahl, der Fraktionschef der CDU im Kreistag,
unlängst in der Zeit. Und: „Ich kann unseren Bürgern auch schlecht
erklären, dass ich diese Partei mit allen Mitteln ausgrenzen müsste.“ Auch
von Landrat Witschas ist keine Einsicht zu vernehmen. Die taz hätte gern
auch mit ihm gesprochen, Witschas ließ absagen.
Zu einem Treffen bereit ist Karsten Vogt, der CDU-Oberbürgermeister der
Stadt Bautzen. Das Rathaus, ein altes Gebäude mit Turm, leuchtet gelb in
der Augustsonne. Vogt setzt sich in seinem Büro an den Kopf des großen
Besprechungstischs. Bevor er im vergangenen Jahr gewählt wurde, war er
Leiter eines Gymnasiums. Das hört man ihm an.
Aufregen würde die Leute „über Jahre hinweg“ vor allem die Bundespolitik,
sagt Vogt, das Heizungsgesetz und die hohen Energiepreise etwa, aber auch
„das Thema Flüchtlingskrise, welches auf das Jahr 2015 zurückgeht“. Also
auf damals, als die CDU die Kanzlerin stellte, die mit ihrer Entscheidung,
die Grenzen nicht zu schließen, einen großen Teil der Sachsen-CDU gegen
sich aufbrachte.
Es scheint so, als würde Vogt am liebsten diese ganzen Diskussionen aus
seiner Stadt raushalten. „Mein Ziel ist es, die Stadtgesellschaft
zusammenzuführen.“ Dafür sei persönliche Glaubwürdigkeit wichtig. Ein
Profil. Und Dialog. „Es ist notwendig, die Bürger abzuholen, mit ihnen
über die Dinge zu sprechen, die sie besorgen.“ Die Lausitz müsse nach der
politischen Wende den zweiten Strukturwandel meistern, das gehe nicht von
heute auf morgen.
Vogt hat die Bürgerforen wieder eingeführt, drei gab es schon, mit je 30
bis 50 Teilnehmer*innen, Eskalationen seien bislang ausgeblieben. Das
erste dieser Gespräche sei eines zum Spreehotel gewesen. In dem ehemaligen
Hotel sind Geflüchtete untergebracht, im vergangenen Jahr sollte das durch
einen Brandanschlag auf das Gebäude verhindert werden. Auf dem Forum seien
von den Bürger*innen Ängste und Befürchtungen formuliert worden, er habe
deshalb im Rathaus eine Sicherheitsrunde mit allen Beteiligten installiert.
„Ich habe gute Erfahrungen damit gesammelt. Wir haben die Befürchtungen
erst genommen, die sind glücklicherweise aber nicht eingetreten.“
Um in Dialog zu treten, geht Vogt weit, manche sagen: zu weit. Im
vergangenen Oktober ist der Oberbürgermeister auf der Montagsdemonstration
auf dem Kornmarkt aufgetreten, wo sich allwöchentlich eine Mischung aus
Verschwörungsgläubigen, Rechtsextremen und jenen trifft, die Vogt „ganz
normale Bürger“ nennt. Früher ging es vor allem um Corona, jetzt um den
Krieg. Reichskriegsflaggen und die Fahnen der rechtsextremen Freien Sachsen
sind weiter dabei. Er sei angefragt worden, um vorzustellen, was die Stadt
gegen die Energiekrise unternehme, sagt Vogt. „Und ich bin der Meinung,
dass die Leute in dieser Situation ein Auskunftsrecht haben.“
Dass er dabei auch zu Rechtsradikalen gehe und deren Veranstaltung
aufwerte, leugnet Vogt nicht. „Das ist nicht unproblematisch“, antwortet
er, zögert kurz und sagt dann: „Ich musste mich jedoch zwischen zwei Übeln
entscheiden. Nicht zu kommunizieren, ist auch ein Problem.“ Und montags
gehe auch „ein erheblicher Teil der Stadtgesellschaft auf die Straße“, der
nicht rechtsextrem sei.
## „Wie alle Parteien“
Jüngst hat Vogt in einem Interview die AfD-Stadträte in Bautzen vor dem
Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit in Schutz genommen. Die Zustimmung der
CDU-Kreistagsfraktion zum Antrag der AfD sieht er kritisch; dass die CDU
auch im Bautzener Stadtrat für einen Antrag der AfD die Hand hebe, schließt
er nahezu aus. Vogt antwortet oft formal. Als Oberbürgermeister habe er die
Verpflichtung, allen Fraktionen die gleichen Informationen zukommen zu
lassen. Und die AfD habe „wie alle Parteien“ das Recht auf Sitze in den
Ausschüssen. „Wie alle Parteien“, das ist eine Formulierung, die er häufig
benutzt. Man kann daraus eine Normalisierung der AfD lesen. Oder den
Versuch, die AfD nicht auch noch aufzuwerten. Wo Vogt genau steht? Schwer
zu sagen.
Anruf bei Jonas Löschau, der für die Bautzener Grünen im Stadt- und im
Kreistag sitzt. Löschau kritisiert Vogts Demoauftritt und seine Äußerungen
zu den AfD-Stadträten, sagt aber auch: „Mit der CDU in der Stadt Bautzen
kann man zusammenarbeiten.“
Die Bundestagsabgeordnete Yvonne Magwas, der Landrat Stephan Meyer und
Oberbürgermeister Karsten Vogt haben zum Umgang mit der AfD
unterschiedliche Positionen. Alle drei aber meinen, dass die CDU eine klare
Strategie dazu braucht.
Bei Ministerpräsident Kretschmer ist diese nicht immer zu erkennen. Von
seinen Äußerungen zu Krieg und Migration, ist aus seinem Umfeld zu hören,
sei er überzeugt. Doch immer wieder scheint es, als würde er sich dem Druck
der Straße beugen, um Wähler*innen von der AfD zurückzugewinnen. Hinzu
kommt seine Mission, mit fast allen zu reden. Schon seit er 2017 das
Bundestagsdirektmandat an Chrupalla verloren hat, setzt Kretschmer auf
Bürgernähe. Und das exzessiv. Dabei fehlen immer wieder klare Grenzen.
2021, während der Pandemie, sprach er selbst mit Coronaleugner*innen, die
ihn vor seinem Privathaus in der Lausitz beim Schneeschippen überraschten
und beschimpften.
Yvonne Magwas sagt: „Inzwischen redet er nicht mehr mit Extremen, das ist
auch gut so.“
Stephan Meyer sagt: „Ich bin in manchem anderer Meinung, aber die
Zustimmungswerte zeigen, dass Michael Kretschmer für viele Menschen in
Ostdeutschland spricht.“
Viele in der CDU, auch Kritiker*innen, sind deshalb der Ansicht, im
kommenden Jahr könne nur Kretschmer die AfD schlagen. Die Umfragewerte
scheinen dieser Einschätzung recht zu geben, die CDU liegt bislang vorn.
Doch zu welchem Preis? Die Entwicklung in anderen Ländern zeigt, dass eine
Annäherung mittelfristig vor allem einem nutzt: dem radikal rechten
Original. Ob die Union dies in ihrer Breite verstanden hat, muss man
bezweifeln. Wo sie die Grenze setzt, das ist in der sächsischen CDU nicht
geklärt.
26 Aug 2023
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