# taz.de -- CDU und AfD in Sachsen: Wo verläuft die Brandmauer? | |
> In Sachsen fällt es der CDU schwer, sich von der AfD abzugrenzen. Auch | |
> von Merz kamen unterschiedliche Signale. Wie geht die CDU damit um? | |
Bild: CDU-Landrat Stephan Meyer (im blauweiß gestreiften Hemd) hat ans Lagerfe… | |
Manchmal sorgt sich Yvonne Magwas, wenn Sachsens Ministerpräsident sich | |
äußert. Manchmal ärgert sie sich auch richtig. „Ich wünschte mir, Michael | |
Kretschmer würde die Bundespolitik weniger häufig kommentieren“, sagt sie. | |
„Wir haben genug Probleme vor der eigenen, sächsischen Haustür.“ Darum ab… | |
geht es nicht nur. | |
Magwas, 41, Christdemokratin wie Kretschmer, kommt aus Auerbach im Vogtland | |
im Westen Sachsens, seit 2013 sitzt sie im Bundestag. Zweimal hat sie | |
letztens ihren Wahlkreis direkt gewonnen, seit knapp zwei Jahren ist sie | |
Vizepräsidentin des Bundestags. In der CDU gilt die Soziologin als liberal, | |
damit gehört sie in der „Sachsen-Union“, wie sich die Partei hier stolz | |
nennt, zu einer Minderheit. Magwas’ Standpunkt: „Wir brauchen eine klare | |
Abgrenzung von allem, was rechtspopulistisch ist.“ | |
Diesen Anspruch erfüllt Kretschmer nicht. Zwar schließt er eine Koalition | |
mit der AfD klar aus. Aber er sagt eben auch all diese Sachen, die wie eine | |
Light-Variante der radikalen Rechten klingen. Kretschmer hat für eine | |
Einschränkung des Grundrechts auf Asyl plädiert. Er hat sich für eine | |
Reparatur der Gaspipeline Nord Stream 1 ausgesprochen. Und dafür, den Krieg | |
in der Ukraine durch Verhandlungen einzufrieren, auch wenn das auf Kosten | |
des angegriffenen Landes geht. | |
In der sächsischen Bevölkerung kommt das gut an. Kretschmer, der auch | |
stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender ist, gilt als einer, der sagt, was | |
er denkt. Und der sich von denen in Berlin nichts verbieten lässt. Eine | |
Stimme des Ostens. | |
## Filmdöschen mit Backpulver | |
Stellt man sich die sächsische CDU als eine Achse vor, steht Magwas an dem | |
einen Ende, irgendwann kommt Kretschmer. Und von dort geht es noch weiter | |
nach rechts. Zum Beispiel bis zur Kreistagsfraktion in Bautzen. | |
Wie behauptet sich die CDU vor Ort? Wie stellt sie sich auf? Und wie ist | |
ihre [1][Strategie im Umgang mit der AfD]? Mit diesen Fragen ist die taz zu | |
Yvonne Magwas ins Vogtland gefahren. Zu Stephan Meyer, der seit einem Jahr | |
Landrat in Görlitz an der polnischen Grenze ist. Und zu Karsten Vogt, dem | |
Oberbürgermeister von Bautzen. | |
Ein Dienstag Mitte Juli, Yvonne Magwas besucht in ihrem Wahlkreis eine Kita | |
der AWO. Bald hockt sie draußen auf dem Boden und versucht, ein zur Rakete | |
umgestyltes Filmdöschen mit Backpulver und Essigessenz zum Fliegen zu | |
bringen. Das Gemisch entweicht, ein leises „Pffft“ ist zu hören, mehr | |
nicht. „Fehlstarts können passieren“, sagt sie und lacht. | |
Als sie später mit der Kitaleiterin und einer Geschäftsführerin der | |
örtlichen AWO beim Kaffee im Garten sitzt, geht es um die Kitaarbeit, die | |
stark gestiegene Eigenbeteiligung in Pflegeheimen, die geschlossene Klinik | |
im Nachbarort, schließlich um die „soziale Hängematte“. Wer Sozialhilfe | |
beziehe, müsse auch etwas tun, meint die Frau von der AWO, das könne sich | |
der Staat so nicht weiter leisten. Sie könne das beurteilen, sie sei | |
schließlich schon 30 Jahre dabei. | |
Sie erlebe das häufiger, sagt Magwas später im Auto. Dieses tief sitzende | |
Gefühl, dass es ungerecht zugehe. Es sei ein Gefühl, das die AfD ausnutze. | |
„Das muss man ernst nehmen und politisch bearbeiten.“ Magwas’ Strategie: | |
zuhören, Zusammenhänge erklären, kümmern. Wenn jemand sich mit einem | |
Anliegen an das Wahlkreisbüro wendet, helfen Magwas und ihre | |
Mitarbeiterinnen – egal, ob es wie an diesem Dienstag um einen | |
Pflegekostenbescheid geht, störende Signalgeräusche einer Baustelle der | |
Bahn oder eine Folgefinanzierung für die „Vogtlandpioniere“, die alte | |
Bauwerke wiederbeleben. „Es ist oft sehr kleinteilige Kümmererarbeit, die | |
wir machen“, sagt Magwas. „Wir nehmen uns dafür viel Zeit.“ | |
Seit 1990 kommt der Ministerpräsident in Sachsen ununterbrochen aus der | |
CDU, der erste war Kurt Biedenkopf. Er beruhigte die Bevölkerung mit dem | |
Satz: „Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus.“ Allen rassistischen | |
Angriffen, Neonazibanden und einem Erstarken der NPD zum Trotz, die 2004 | |
mit fast 10 Prozent in den Landtag einzog. | |
Das Verleugnen ging lange weiter. Seitdem gab es in Sachsen rechte | |
Terrorgruppen, Brandanschläge und Hetzjagden, rechtsextreme Aufmärsche, | |
Drohungen. Der Sachsen-Monitor zeigt regelmäßig, wie verbreitet autoritäre | |
und menschenfeindliche Einstellungen sind. Manche in der CDU sagen, auf dem | |
Land sei die Sprache der AfD längst Normalität, Aussagen blieben oft ohne | |
Widerspruch. Bei der letzten Bundestagswahl bekam die AfD mehr Stimmen als | |
die CDU, laut Umfragen steht sie inzwischen bei 30 Prozent, bei der | |
Landtagswahl im kommenden Jahr könnte sie stärkste Kraft werden. Die CDU | |
will mit Michael Kretschmer wieder gewinnen. | |
Yvonne Magwas ist überzeugt, dass sich die CDU hart von der AfD abgrenzen | |
muss. Als Parteichef Friedrich Merz im Juli im ZDF-„Sommerinterview“ | |
den Eindruck erweckte[2][, dass eine Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene | |
mit seinem Segen möglich sei], postete Magwas umgehend: „Ob Ortschaftsrat | |
oder Bundestag, rechtsradikal bleibt rechtsradikal. Für Christdemokraten | |
sind Rechtsradikale IMMER Feind!“ | |
Noch heute ist sie empört, dass die Lokalzeitung sie fragte, ob sie nicht | |
mit dem Organisator der Montagsdemonstration in Plauen, wo zeitweise | |
Tausende auf die Straßen gingen, ein Streitgespräch führen würde. „Der hat | |
uns alle aufs Schlimmste beleidigt und ständig verhetzende Posts gemacht“, | |
sagt Magwas. „Da wäre gar kein Gespräch möglich und auch nicht sinnvoll | |
gewesen.“ Getroffen habe sie sich aber mit einer Gruppe, die ihr einen | |
offenen Brief zum Ukrainekrieg und zum Umgang mit Russland geschrieben | |
habe, ohne Beleidigung. | |
Inhaltlich passte ihr der Brief nicht, weil noch nicht einmal benannt | |
wurde, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg durch | |
Russland handelte. „Aber da muss man als Bundestagsabgeordnete zum Gespräch | |
bereit sein, die Kraft der guten Argumente nutzen.“ Am Ende aber habe sich | |
der Organisator des Briefs bei ihr bedankt. | |
Magwas gilt als Merkel-Anhängerin, im sächsischen Landesverband hat sie | |
damit keinen leichten Stand. Erschwert wird das durch ihren Mann, den | |
ehemaligen Ostbeauftragten der Bundesregierung, Marco Wanderwitz. Vor der | |
letzten Bundestagswahl hat er mit der Äußerung, ein Teil der | |
diktatursozialisierten Ostdeutschen sei für die Demokratie verloren, für | |
Furore gesorgt. Viele fühlten sich persönlich beleidigt. Wanderwitz war bei | |
der Bundestagswahl Spitzenkandidat der CDU in Sachsen, Kretschmer machte | |
ihn nach der Wahl öffentlich für das schlechte Abschneiden verantwortlich | |
und sorgte dafür, dass er den Vorsitz der sächsischen Landesgruppe verlor. | |
Stephan Meyer steht am Biertisch auf dem Hof eines Vereinsheims in | |
Schleife, einem kleinen Ort ganz im Norden des Landkreises Görlitz. Am Rand | |
brennt ein Lagerfeuer, aber an diesem Augustabend ist es zu warm, um sich | |
daran zu setzen. Meyer, 42, ein schmaler Typ mit hoher Stirn und | |
Dreitagebart, hat sich bei der Landratswahl 2022 im zweiten Wahlgang klar | |
gegen seinen Konkurrenten von der AfD durchgesetzt. Bei Bratwurst und Bier | |
will er hier mit den Leuten ins Gespräch kommen, gut 50 sind gekommen. | |
Die Idee mit dem Lagerfeuer geht auf den Wahlkampf zurück. „Wir brauchen | |
niedrigschwellige Angebote“, sagt Meyer. „Ans Lagerfeuer geht man gern. Da | |
trauen sich Leute hin, die sonst nicht kommen.“ Ein Mann will mit ihm über | |
den Abschuss von Wölfen sprechen, eine Frau darüber, dass eine | |
Photovoltaikanlage nicht genehmigt worden ist. | |
Plötzlich steht der AfD-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla ein paar Grüppchen | |
weiter, breitbeinig, mit einem Bier in der Hand. Chrupalla kommt aus | |
Görlitz, er hat 2017 bei der Bundestagswahl dem heutigen | |
Ministerpräsidenten das Direktmandat abgenommen. Einen Sitz im Kreistag hat | |
er auch, alle Kreisräte wurden eingeladen. Meyer spricht zu Ende, dann geht | |
er zu Chrupalla, macht ein paar Minuten Small Talk. Als Chrupalla ansetzt | |
mit „Alle haben Angst“ und eine Frau zustimmend nickt, zupft ein älterer | |
Mann Meyer am Ärmel. Dieser geht ins Zwiegespräch, zur Gruppe um Chrupalla | |
stoßen zwei neue Leute hinzu. | |
Meyer, promovierter Wirtschaftsingenieur, gilt unter den sächsischen | |
Christdemokrat*innen als einer der Smarten. Dreimal wurde er seit 2009 | |
direkt in den Landtag gewählt, zuletzt war er parlamentarischer | |
Geschäftsführer der Fraktion. Den Koalitionsvertrag zwischen CDU, SPD und | |
Grünen im Land hat er mitverhandelt. Meyer weiß, wie das politische | |
Geschäft funktioniert. Was also ist seine Strategie für die CDU in dieser | |
Zeit? | |
## „Wie wollen Sie Vertrauen zurückgewinnen, Herr Meyer?“ | |
Die Leute seien verunsichert, sagt Meyer ein paar Tage vor dem | |
Lagerfeuerabend in seinem Büro. Der Krieg, die Krisen, die hohen | |
Energiepreise, die Inflation. „Alles wird teurer, aber gleichzeitig steigen | |
die Einkommen nicht entsprechend.“ Hinzu komme die illegale Migration, die | |
hier an der deutsch-polnischen Grenze spürbar sei. „Wir müssen die Themen, | |
die die Menschen betreffen, tatsächlich abräumen. Nicht mit irgendwelchen | |
populistischen Sprüchen, sondern mit konkreten Lösungen.“ | |
Die Oberlausitz, einst Teil eines riesigen Kohlereviers, ist | |
„Strukturwandel-Kernregion“, wie Meyer es nennt. Hinzu kommt der | |
demografische Wandel. Die Montagsdemonstrationen sind wieder größer | |
geworden, seit es vor einem Club in der Stadt eine Schlägerei gab, drei | |
Männer aus Syrien kamen deshalb in Untersuchungshaft. | |
Wie wollen Sie hier vor Ort Vertrauen zurückgewinnen, Herr Meyer? „Ich bin | |
jetzt Chef einer großen Verwaltung, ich mache keine Gesetze mehr, sondern | |
muss sie umsetzen. Im Bereich Asyl zum Beispiel bin ich als Landrat für die | |
Unterbringung zuständig, egal, ob ich das gut oder schlecht finde.“ Es | |
müsse gelingen, dass die Mehrheit der Bevölkerung Verständnis für die | |
Entscheidungen habe. „Nicht alle, das wird nie gelingen, aber die Mehrheit. | |
Und das droht gerade verloren zu gehen.“ | |
Weil die Verwaltung zwei neue Sammelunterkünfte für Geflüchtete einrichten | |
wollte, forderte die AfD eine Sondersitzung des Kreistags und beantragte, | |
neue Unterkünfte im Landkreis grundsätzlich auszuschließen. „Das steht | |
jeder Fraktion frei“, sagt Meyer. Die Bühne der AfD und ihrem Antrag zu | |
überlassen, das aber wollte er nicht. Zur Sondersitzung lud er einen | |
Vertreter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu einem Input ein, | |
die Verwaltung schrieb einen eigenen Antrag. Sie versprach, die beiden | |
Unterkünfte nur zwei Jahre lang zu nutzen. Der Landkreis setze auf | |
dezentrale Unterbringung und wolle große Unterkünfte in kleinen Orte | |
vermeiden, sagt Meyer. „Das ist einfach konfliktärmer.“ | |
Auf der Sondersitzung appellierte Meyer laut Lokalmedien an Bund und Land, | |
geeignete Immobilien für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen, damit diese | |
nicht in Turnhallen landeten. Er forderte, dass der Bund die Kosten der | |
Unterbringung übernimmt und bessere Voraussetzungen für Abschiebungen | |
schafft. Auch AfD-Mann Chrupalla war da und hielt eine Rede. „Ich musste | |
ihn mehrmals unterbrechen, weil es alles andere als sachlich war“, sagt | |
Meyer. „Wir wollen keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen“, rief Chrupalla �… | |
und bekam dafür lautstarken Applaus aus dem Publikum. Aber der Antrag von | |
Meyers Verwaltung wurde angenommen. „Die AfD ist hier stark und laut, aber | |
sie hat nicht die Mehrheit“, sagt Meyer. Das müsse man immer wieder | |
klarmachen. | |
Worauf sich Meyer im Gespräch nicht einlässt: Prinzipien für den Umgang mit | |
der AfD zu formulieren. Wenn der Eindruck entstehe, etwas werde abgelehnt, | |
nur weil es von der AfD komme, sei das problematisch. Das Gefühl, das nach | |
dem Gespräch mit ihm aber bleibt: Meyer hat durchaus solche Prinzipien. Das | |
bestätigt auch die grüne Fraktionschefin im Landtag, Franziska Schubert, | |
die Meyer aus Görlitz und Dresden gut kennt. | |
Meyer mag den Begriff Brandmauer nicht. Doch von | |
Kommunalpolitiker*innen wie ihm hängt es ab, ob das, was damit | |
bezeichnet wird, funktioniert: eine klare Grenze zu ziehen zwischen | |
demokratischen Konservativen und antidemokratischen Rechtsradikalen. Und | |
der AfD den Zugang zur Macht zu versperren. | |
Nicht allen in der sächsischen CDU scheint diese Verantwortung bewusst zu | |
sein. Es gebe etliche Parteifreunde, die eine Zusammenarbeit mit der AfD | |
herbeisehnten oder „mindestens eine Tolerierung“, sagte Marco Wanderwitz, | |
Magwas’ Ehemann, jüngst dem Spiegel. Immer wieder werden Fälle der | |
Zusammenarbeit mit der AfD bekannt. | |
## Verlegung von Stolpersteinen verhindert | |
In Limbach-Oberfrohna etwa verhinderten CDU und AfD gemeinsam die | |
Verlegung von Stolpersteinen für zwei Opfer der Nazis, weil diese | |
Kommunisten waren. In Plauen untersagte der Stadtrat auf Antrag der AfD dem | |
örtlichen Theater das Gendern, CDU, FDP und Freie Wähler stimmten zu. Und | |
bundesweit für Aufmerksamkeit sorgte der Kreistag von Bautzen. | |
Im Dezember hatte CDU-Landrat [3][Udo Witschas] eine Videoansprache, | |
gespickt mit flüchtlingsfeindlichen Ressentiments, gehalten. Dann wurde | |
bekannt, dass Witschas und fast die ganze CDU-Kreistagsfraktion mit ihren | |
Stimmen einem AfD-Antrag zur Mehrheit verholfen hatten, der Flüchtlingen | |
unter bestimmten Bedingungen Integrationsleistungen absprach. Ein Verstoß | |
gegen die Beschlusslage der Bundespartei. | |
Es habe regen Telefonverkehr zwischen Berlin, Dresden und dem Landkreis | |
gegeben, hört man dazu aus unterschiedlichen Ebenen der CDU. Merz hatte | |
einst jedem ein Parteiausschlussverfahren angekündigt, der die Hand hebe, | |
um mit der AfD zusammenzuarbeiten. Sein Generalsekretär, damals noch Mario | |
Czaja, distanzierte sich öffentlich von der Kreistagsfraktion, Sanktionen | |
aber gab es keine. Aus der Landes-CDU ist dazu zu hören, es sei doch | |
wichtiger, dass so etwas nicht mehr vorkomme. Man brauche Leute wie | |
Witschas, denn andere gebe es vor Ort nicht. Und ohnehin würden Machtworte | |
aus Berlin die Renitenz vor Ort eher steigern. | |
„Wenn die AfD etwas einbringt, dem ich voll zustimmen kann, dann stimme ich | |
dafür,“ betonte Matthias Grahl, der Fraktionschef der CDU im Kreistag, | |
unlängst in der Zeit. Und: „Ich kann unseren Bürgern auch schlecht | |
erklären, dass ich diese Partei mit allen Mitteln ausgrenzen müsste.“ Auch | |
von Landrat Witschas ist keine Einsicht zu vernehmen. Die taz hätte gern | |
auch mit ihm gesprochen, Witschas ließ absagen. | |
Zu einem Treffen bereit ist Karsten Vogt, der CDU-Oberbürgermeister der | |
Stadt Bautzen. Das Rathaus, ein altes Gebäude mit Turm, leuchtet gelb in | |
der Augustsonne. Vogt setzt sich in seinem Büro an den Kopf des großen | |
Besprechungstischs. Bevor er im vergangenen Jahr gewählt wurde, war er | |
Leiter eines Gymnasiums. Das hört man ihm an. | |
Aufregen würde die Leute „über Jahre hinweg“ vor allem die Bundespolitik, | |
sagt Vogt, das Heizungsgesetz und die hohen Energiepreise etwa, aber auch | |
„das Thema Flüchtlingskrise, welches auf das Jahr 2015 zurückgeht“. Also | |
auf damals, als die CDU die Kanzlerin stellte, die mit ihrer Entscheidung, | |
die Grenzen nicht zu schließen, einen großen Teil der Sachsen-CDU gegen | |
sich aufbrachte. | |
Es scheint so, als würde Vogt am liebsten diese ganzen Diskussionen aus | |
seiner Stadt raushalten. „Mein Ziel ist es, die Stadtgesellschaft | |
zusammenzuführen.“ Dafür sei persönliche Glaubwürdigkeit wichtig. Ein | |
Profil. Und Dialog. „Es ist notwendig, die Bürger abzuholen, mit ihnen | |
über die Dinge zu sprechen, die sie besorgen.“ Die Lausitz müsse nach der | |
politischen Wende den zweiten Strukturwandel meistern, das gehe nicht von | |
heute auf morgen. | |
Vogt hat die Bürgerforen wieder eingeführt, drei gab es schon, mit je 30 | |
bis 50 Teilnehmer*innen, Eskalationen seien bislang ausgeblieben. Das | |
erste dieser Gespräche sei eines zum Spreehotel gewesen. In dem ehemaligen | |
Hotel sind Geflüchtete untergebracht, im vergangenen Jahr sollte das durch | |
einen Brandanschlag auf das Gebäude verhindert werden. Auf dem Forum seien | |
von den Bürger*innen Ängste und Befürchtungen formuliert worden, er habe | |
deshalb im Rathaus eine Sicherheitsrunde mit allen Beteiligten installiert. | |
„Ich habe gute Erfahrungen damit gesammelt. Wir haben die Befürchtungen | |
erst genommen, die sind glücklicherweise aber nicht eingetreten.“ | |
Um in Dialog zu treten, geht Vogt weit, manche sagen: zu weit. Im | |
vergangenen Oktober ist der Oberbürgermeister auf der Montagsdemonstration | |
auf dem Kornmarkt aufgetreten, wo sich allwöchentlich eine Mischung aus | |
Verschwörungsgläubigen, Rechtsextremen und jenen trifft, die Vogt „ganz | |
normale Bürger“ nennt. Früher ging es vor allem um Corona, jetzt um den | |
Krieg. Reichskriegsflaggen und die Fahnen der rechtsextremen Freien Sachsen | |
sind weiter dabei. Er sei angefragt worden, um vorzustellen, was die Stadt | |
gegen die Energiekrise unternehme, sagt Vogt. „Und ich bin der Meinung, | |
dass die Leute in dieser Situation ein Auskunftsrecht haben.“ | |
Dass er dabei auch zu Rechtsradikalen gehe und deren Veranstaltung | |
aufwerte, leugnet Vogt nicht. „Das ist nicht unproblematisch“, antwortet | |
er, zögert kurz und sagt dann: „Ich musste mich jedoch zwischen zwei Übeln | |
entscheiden. Nicht zu kommunizieren, ist auch ein Problem.“ Und montags | |
gehe auch „ein erheblicher Teil der Stadtgesellschaft auf die Straße“, der | |
nicht rechtsextrem sei. | |
## „Wie alle Parteien“ | |
Jüngst hat Vogt in einem Interview die AfD-Stadträte in Bautzen vor dem | |
Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit in Schutz genommen. Die Zustimmung der | |
CDU-Kreistagsfraktion zum Antrag der AfD sieht er kritisch; dass die CDU | |
auch im Bautzener Stadtrat für einen Antrag der AfD die Hand hebe, schließt | |
er nahezu aus. Vogt antwortet oft formal. Als Oberbürgermeister habe er die | |
Verpflichtung, allen Fraktionen die gleichen Informationen zukommen zu | |
lassen. Und die AfD habe „wie alle Parteien“ das Recht auf Sitze in den | |
Ausschüssen. „Wie alle Parteien“, das ist eine Formulierung, die er häufig | |
benutzt. Man kann daraus eine Normalisierung der AfD lesen. Oder den | |
Versuch, die AfD nicht auch noch aufzuwerten. Wo Vogt genau steht? Schwer | |
zu sagen. | |
Anruf bei Jonas Löschau, der für die Bautzener Grünen im Stadt- und im | |
Kreistag sitzt. Löschau kritisiert Vogts Demoauftritt und seine Äußerungen | |
zu den AfD-Stadträten, sagt aber auch: „Mit der CDU in der Stadt Bautzen | |
kann man zusammenarbeiten.“ | |
Die Bundestagsabgeordnete Yvonne Magwas, der Landrat Stephan Meyer und | |
Oberbürgermeister Karsten Vogt haben zum Umgang mit der AfD | |
unterschiedliche Positionen. Alle drei aber meinen, dass die CDU eine klare | |
Strategie dazu braucht. | |
Bei Ministerpräsident Kretschmer ist diese nicht immer zu erkennen. Von | |
seinen Äußerungen zu Krieg und Migration, ist aus seinem Umfeld zu hören, | |
sei er überzeugt. Doch immer wieder scheint es, als würde er sich dem Druck | |
der Straße beugen, um Wähler*innen von der AfD zurückzugewinnen. Hinzu | |
kommt seine Mission, mit fast allen zu reden. Schon seit er 2017 das | |
Bundestagsdirektmandat an Chrupalla verloren hat, setzt Kretschmer auf | |
Bürgernähe. Und das exzessiv. Dabei fehlen immer wieder klare Grenzen. | |
2021, während der Pandemie, sprach er selbst mit Coronaleugner*innen, die | |
ihn vor seinem Privathaus in der Lausitz beim Schneeschippen überraschten | |
und beschimpften. | |
Yvonne Magwas sagt: „Inzwischen redet er nicht mehr mit Extremen, das ist | |
auch gut so.“ | |
Stephan Meyer sagt: „Ich bin in manchem anderer Meinung, aber die | |
Zustimmungswerte zeigen, dass Michael Kretschmer für viele Menschen in | |
Ostdeutschland spricht.“ | |
Viele in der CDU, auch Kritiker*innen, sind deshalb der Ansicht, im | |
kommenden Jahr könne nur Kretschmer die AfD schlagen. Die Umfragewerte | |
scheinen dieser Einschätzung recht zu geben, die CDU liegt bislang vorn. | |
Doch zu welchem Preis? Die Entwicklung in anderen Ländern zeigt, dass eine | |
Annäherung mittelfristig vor allem einem nutzt: dem radikal rechten | |
Original. Ob die Union dies in ihrer Breite verstanden hat, muss man | |
bezweifeln. Wo sie die Grenze setzt, das ist in der sächsischen CDU nicht | |
geklärt. | |
26 Aug 2023 | |
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