| # taz.de -- Festival für Demokratie in Görlitz: „Sprechen wir mit denen?“ | |
| > Das Überland Festival feiert Demokratie und Nachhaltigkeit. | |
| > Mitveranstalter Andreas Willisch spricht über den Umgang mit Rechten im | |
| > ländlichen Raum. | |
| Bild: Aktivist*innen tauschen sich beim Überland Festival aus und feiern zusam… | |
| taz: „Überland“ findet zum zum vierten Mal als feministisches, | |
| nachhaltigkeits- und [1][demokratieförderndes] Festival in [2][Görlitz] | |
| statt. Warum ist es so erfolgreich? | |
| Andreas Willisch: Der Erfolg rührt daher, dass gerade in | |
| [3][Ostdeutschland] auf dem Land so viele Menschen leben, die sich | |
| gesellschaftlich engagieren. Das spiegelt sich auch jedes Jahr im Programm: | |
| Die Leute organisieren hier ihre eigenen Veranstaltungen, ihre eigenen | |
| Workshops. Sie bringen ihre eigenen Themen und Erfahrungen mit, die sie mit | |
| anderen teilen wollten. | |
| Wieso geht es beim Überland Festival speziell um Landaktivismus? | |
| Eine Besonderheit im Vergleich zum Leben in einer großen Stadt ist der | |
| unmittelbare Austausch mit Menschen, die eine ganz andere Lebensrealität | |
| haben als man selbst. Während man in Städten unter sich bleiben kann. Bei | |
| einer Veranstaltung in Berlin weiß ich ungefähr, wer kommt: Leute, die | |
| denken wie ich. Wenn ich eine Veranstaltung auf dem Land mache, sind da | |
| aber Leute, von denen die Hälfte völlig anders denkt. | |
| Wie wählen Sie die Themen aus? | |
| Es gibt immer drei, vier Schwerpunktthemen. Dieses Jahr geht es zum | |
| Beispiel um Fürsorge, Lokaljournalismus, Nachhaltigkeit und Demokratie. Ein | |
| wiederkehrendes Thema ist die Frage: Wie gehen wir mit den Zumutungen von | |
| rechts außen um? Viele Besucher:innen sind gezwungen, in Behörden mit | |
| Menschen aus dem rechten Spektrum zusammenzuarbeiten. Da stellt sich die | |
| Frage: Wie gehen wir mit denen um, die einem in der Stadt- oder | |
| Kreisverwaltung das Leben schwer machen? Sprechen wir mit denen? | |
| Beim Themenschwerpunkt praktische Demokratie geht es genau darum: Sollen | |
| wir mit Rechten reden? | |
| Es gibt eine Debatte darüber, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD in | |
| Kommunen geben darf, zum Beispiel für Parteien wie die CDU. Aber es gibt | |
| eben Menschen, die auch in der Verwaltung arbeiten und die um das Reden mit | |
| den Rechten nicht herumkommen. Leute von der AfD sitzen in den Landtagen, | |
| in den Parlamenten, in den Gemeinderäten und treffen zum Beispiel | |
| Entscheidungen über Gelder für zivilgesellschaftliches Engagement. Die | |
| lassen nichts unversucht, das Leben und Arbeiten derer, die für eine | |
| freundliche, inklusive Gesellschaft eintreten, so schwer wie möglich zu | |
| machen. Diese Leute müssen sich mit Rechten auseinandersetzen und das kann | |
| sehr konfrontativ sein. Sie müssen mit Leuten demokratisch umgehen, von | |
| denen wir wissen, dass sie diese Demokratie nur so lange gebrauchen, bis | |
| sie für sie nicht mehr nötig ist. | |
| Sie haben bei den letzten Festivals lokale Politiker:innen eingeladen. | |
| Laden Sie auch AfD-Politiker:innen ein? | |
| Nein. Wir wollen Politiker:innen, die nicht für unsere Werte einstehen, | |
| kein Podium geben. | |
| Worum geht es beim Themenschwerpunkt Lokaljournalismus? | |
| Es gibt immer weniger Journalist:innen, die für die lokale | |
| Berichterstattung unterwegs sind. Das führt dazu, dass über die | |
| Landaktivist:innen nicht hinreichend berichtet wird. Und wenn, dann | |
| eher sehr kritisch. Ein Beispiel: Bei einem Solidaritätskonzert nach einem | |
| Überfall durch Nazis hat die Band „Feine Sahne Fischfilet“ gespielt. | |
| Worüber hat die Lokalpresse berichtet? Über den Dreck, den die jungen Leute | |
| da hinterlassen haben, und nicht über den Anlass. Diese Art der | |
| Berichterstattung ist eine Quelle von Verdruss in der Öffentlichkeit und | |
| demotiviert Aktivist:innen. Darüber wollen wir auf dem Festival mit | |
| Lokaljournalist:innen sprechen. | |
| Und worüber wollen Sie beim Thema Nachhaltigkeit sprechen? | |
| Wenn man im ländlichen Raum unterwegs ist, kann man definitiv nicht den | |
| öffentlichen Nahverkehr nutzen. Wir wollen aber die klugen und kreativen | |
| Leute miteinander vernetzen. Wir haben uns daher gefragt: Wie nachhaltig | |
| können wir auf dem Land eigentlich leben? Wo gehen wir immer wieder | |
| Kompromisse miteinander oder mit der Umwelt ein? | |
| Etwa 1.000 Besucher:innen kommen zum Festival. Was für Menschen sind | |
| das? | |
| Ganz unterschiedlich: Menschen, die im Osten geboren wurden, und Menschen, | |
| die aus dem Westen in den Osten gekommen sind und hier Projekte machen. | |
| Leute, die alternativ und kreativ unterwegs sind und ein bisschen autonom, | |
| durchaus kapitalismuskritisch. Es sind aber auch Leute, die mit dem | |
| Kapitalismus grundsätzlich ihren Frieden gemacht haben, aber die Zustände | |
| nicht gut finden. Eins haben sie alle gemeinsam: Sie wollen etwas | |
| verändern, um die Gesellschaft gerechter zu machen. | |
| Das Programm liest sich recht wissenschaftlich. Braucht man einen | |
| akademischen Hintergrund, um bei Ihnen mitreden zu können? | |
| Die Leute, die zum Festival kommen, haben zum großen Teil einen | |
| akademischen Hintergrund. Bildung und Ausbildung spielen für die meisten | |
| eine große Rolle. Das ist aber nicht auf Wissenschaft begrenzt. Es ist | |
| keine wissenschaftliche Tagung. Viele bringen theoretisches und praktisches | |
| Wissen aus ihrem Alltag mit. Wir wollen gesellschaftliches Engagement und | |
| den Austausch darüber so praktisch wie möglich gestalten. | |
| Woher kam die Idee für das Festival? | |
| Die aktivistischen Netzwerke sind auf dem Land sehr lose. Das liegt an den | |
| Entfernungen: Es ist schwierig, an Veranstaltungen teilzunehmen, die weiter | |
| weg als 15 oder 20 Kilometer sind. Daher kennen die Aktivist:innen sich | |
| oft überhaupt nicht, obwohl sie sich für ähnliche Dinge engagieren. Das | |
| wollen wir ändern. Beim Überland Festival können sich | |
| Landaktivist:innen vernetzen, austauschen und gemeinsam feiern. | |
| Bald geht es ja schon los. Worauf freuen Sie sich am meisten? | |
| Wir haben neben den Workshops und Diskussionsrunden auch ein umfangreiches | |
| Kulturprogramm. Jeden Abend spielen Bands und ich freue mich sehr darauf, | |
| mit allen Aktivist:innen zu feiern. Und dazu sind alle Interessierten | |
| eingeladen! | |
| 30 Aug 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Goering-Eckardt-ueber-Ostdeutschland/!5951292 | |
| [2] /CDU-und-AfD-in-Sachsen/!5952738 | |
| [3] /Tagebaue-in-der-Lausitz/!5952599 | |
| ## AUTOREN | |
| Karin Stork | |
| ## TAGS | |
| Demokratie | |
| Nachhaltigkeit | |
| Sachsen | |
| Rechte Szene | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Montagsdemonstration | |
| Energiekrise | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| CDU und AfD in Sachsen: Wo verläuft die Brandmauer? | |
| In Sachsen fällt es der CDU schwer, sich von der AfD abzugrenzen. Auch von | |
| Merz kamen unterschiedliche Signale. Wie geht die CDU damit um? | |
| Rechtsextreme Montagsdemos: Es brodelt wieder | |
| An Montagsprotesten beteiligen sich vor allem im Osten Tausende, darunter | |
| die AfD und andere Rechtsextreme. Der Verfassungsschutz ist in Sorge. | |
| Extremistische Gruppen in Deutschland: Rechtsextreme schüren gezielt Ängste | |
| Der Verfassungsschutz warnt vor rechten Gruppen, die den Krieg, die | |
| Inflation und die Pandemie für ihre Zwecke ausnutzen. Auch russische | |
| Geheimdienste mischen mit. |