# taz.de -- Göring-Eckardt über Ostdeutschland: „Die Bösartigkeit hat zuge… | |
> Zehn Tage lang radelte Katrin Göring-Eckardt durch Ostdeutschland. Der | |
> Grünen-Politikerin schlug dabei Hass entgegen – aber nicht nur. Ein | |
> Gespräch. | |
Bild: „Das Gefühl, ich darf nicht weichen“: Grünen-Politikerin Göring-Ec… | |
taz: Frau Göring-Eckardt, Sie haben am Wochenende eine zehntägige | |
Demokratietour durch Ostdeutschland beendet. Was haben Sie mitgenommen? | |
Katrin Göring-Eckardt: Vor allen Dingen viele positive Eindrücke von | |
Menschen, die sich engagieren, im Unternehmen oder in der Sozialstation, im | |
Kulturprojekt oder im Kommunalparlament. So viele verteidigen unsere | |
Demokratie, jeden Tag. Aber sie bekommen zu wenig Aufmerksamkeit. Gesehen | |
werden die, die laut sind und dagegen. | |
Was noch? | |
Das Zweite ist, dass es schon sehr viel Sorge um die Demokratie gibt. | |
Einige meinen, dass wir an einem Kipppunkt stehen und dass ganze | |
Landstriche in Ostdeutschland nur wahrgenommen werden, wenn es um die | |
Feinde der Demokratie geht. | |
Haben Sie selbst eine Zuspitzung des gesellschaftlichen Klimas | |
wahrgenommen? | |
Ja, es ist schon schärfer geworden. Mehr Menschen, die wahrscheinlich schon | |
vorher rassistische oder antisemitische Einstellungen hatten, sind jetzt | |
auch bereit, entsprechend zu handeln – und sie nehmen für sich in Anspruch, | |
dass sie die Mehrheit seien. Das sind sie aber nicht. Und die Bösartigkeit | |
hat zugenommen. | |
Die Bösartigkeit? | |
Ja, zum Beispiel bei einer Demonstration gegen mich in Dessau. Das war | |
keine spontane Kritik von Bürgerinnen und Bürgern. Das war eine gezielte | |
Mobilisierung, die Dialog verhindern sollte, auf Telegram wurde in rechten | |
Verschwörungskreisen dazu aufgerufen. | |
Ist das wirklich neu? | |
Vor ein paar Jahren haben mich Menschen aus der Anonymität des Internets | |
beleidigt, in Dessau haben sie mich von Angesicht zu Angesicht beschimpft: | |
„grüner Abfall“ und Ähnliches. Da ist eine Bösartigkeit spürbar, die ga… | |
vorher so nicht. Mir wird ja gerne vorgeworfen, dass ich mal als | |
Küchenhilfe gearbeitet hatte, damals als junge Frau in der DDR. Sie nutzen | |
den Beruf der Küchenhilfe als Schimpfwort und wollen zugleich für die | |
„kleinen Leute“ sprechen? Das beleidigt doch alle Küchenhilfen, die schwere | |
Arbeit für wenig Geld machen. | |
Wie war das für Sie, wenn Sie so angegangen wurden? | |
Ich hatte keine Angst, falls Sie das meinen. Aber ich hatte das Gefühl, ich | |
darf nicht weichen, ich muss jetzt hier stehen bleiben – stellvertretend | |
für die Demokratinnen und Demokraten. Das ist mein Job. Ich hab angeboten | |
zu reden, aber das wollten die meisten nicht. Da waren ein, zwei Leute, die | |
riefen: „Lasst sie doch mal reden“, aber dann war schon wieder Gebrüll. | |
Hinter mir war ein Restaurant, auf der Terrasse saßen viele Menschen, die | |
wollten ihren Sommerabend genießen und hätten sagen können, dass sie mein | |
Auftritt und die Demo dagegen stört. Aber ihre Reaktion war: Daumen hoch. | |
Auf dem Rückweg konnte ich kurz mit ihnen sprechen, sie haben gesagt: „Wir | |
finden gut, dass Sie das machen.“ | |
Sind Sie auch spontan angepöbelt worden oder nur bei organisierten Demos? | |
Meine Erfahrung ist: Pöbelei ist organisiert. Auf meiner Tour hatte ich | |
viele positive Begegnungen. Ich war ja mit dem Fahrrad und der Bahn | |
unterwegs, ich wurde oft angesprochen. Auch mit Kritik an der Ampel, etwa: | |
Wir sehen das mit dem Klima anders als ihr. Oder: Macht euch mal Gedanken | |
über die Pflege, das ist alles zu teuer, das können wir nicht stemmen. Das | |
war mitunter kontrovers, aber anständig. Das waren gute Gespräche. | |
[1][Die Grünen sind in Ostdeutschland besonders unbeliebt.] Wie erklären | |
Sie sich das? | |
Zum einen gibt es eine Veränderungsmüdigkeit und wir stehen für | |
Veränderung. Und dann sind wir, gesellschaftlich betrachtet, die | |
fortschrittlichste Partei. Wir setzen uns für Zusammenhalt ein, für | |
Klimaschutz, für den Schutz von Minderheiten. Manche möchten aber lieber in | |
ihrer Bubble bleiben. Hinzu kommen strukturelle Gründe: etwa, dass es im | |
Osten weniger Großstädte gibt, wo Bündnisgrüne gewöhnlich verankerter sind, | |
oder, dass Leute, die mobil sind, wegziehen. Aber diese Ablehnung, die | |
manchmal in Hass umschlägt, ist neu. Da kommt das, was im Netz tobt, in der | |
Realität zum Vorschein. Dass uns Friedrich Merz zum Hauptgegner erklärt | |
hat, wirkt für manche dort wie eine Bestätigung. | |
Es gibt die These, dass die Grünen mit ihrer Liberalität und ihrem | |
Veränderungsdrang zum Aufstieg der AfD beigetragen haben – und das aktuelle | |
Umfragetief auch auf Robert Habecks Heizungsgesetz zurückzuführen ist. Was | |
halten Sie davon? | |
Ganz ehrlich: gar nichts. Das ist wirklich zu einfach. Natürlich hätte man | |
beim Heizungsgesetz vieles besser machen können. Man hätte auch früher | |
daran denken können, was das alles für Leute bedeutet mit einem geringen | |
Einkommen, die ein Häuschen haben. Davon haben wir in Ostdeutschland | |
besonders viele. Hier gibt es etwa eine Million Haushalte mit Wohneigentum, | |
die Einkommen unter 40.000 Euro im Jahr haben. Der ursprüngliche Vorschlag | |
sah eine einkommensabhängige Förderung vor, die ist im Kabinett erst einmal | |
gestrichen worden … | |
… was die Verunsicherung verstärkte. | |
Wir mussten die Förderung danach wieder reinverhandeln. Aber: Man muss, | |
wenn man sich über ein Heizungsgesetz aufregt, nicht AfD wählen. Die AfD | |
bietet keinerlei Lösung für den Alltag der Menschen. Sie will die Renten | |
kürzen und mit einem EU-Austritt die Wirtschaft massiv schädigen. Das soll | |
den Leuten helfen? Mit Sicherheit nicht. Je mehr andere Parteien wie CDU, | |
CSU oder in Teilen auch die Linkspartei nachreden, was die AfD sagt, umso | |
mehr wird dann das Original gewählt. | |
Welche Rolle spielen die soziale Frage und die strukturellen Unterschiede | |
zwischen Ost und West? | |
Für den Zusammenhalt in der Gesellschaft ist die Frage, ob es gerecht | |
zugeht, sehr relevant. Darüber müssen wir uns Gedanken machen. Es geht | |
nicht, dass sehr Vermögende viel zu wenig zu den gesellschaftlichen | |
Strukturen beitragen. Ein solider Haushalt ist eine gesamtgesellschaftliche | |
Aufgabe und wir müssen endlich darüber reden, wie sehr Vermögende ihren | |
gerechten Teil dazu beitragen können. Das bisherige System geht zulasten | |
der hart arbeitenden Allgemeinheit, gerade auch in Ostdeutschland. Dort | |
sind die Einkommen deutlich geringer, es gibt weniger Vermögen, die Renten | |
sind niedriger. Es leben zu viele Menschen in unserem Land, die in Armut | |
und Chancenlosigkeit bleiben. | |
Was also tun? | |
Wir müssen uns zusammensetzen und überlegen, gesellschaftlich, politisch; | |
mit Gewerkschaften, mit Kirchen, mit anderen Akteuren. Wir müssen darüber | |
reden, dass wir diesen Ausgleich hinbekommen. Ich fordere seit Jahren eine | |
Vermögensabgabe, einmalig reichen würde das nicht. Wir brauchen einen | |
großen Wurf, der kann aber nur gelingen, wenn es eine ehrliche und offene | |
Debatte gibt. | |
Dafür sind Sie in der falschen Koalition. | |
Wir haben die Koalition, die möglich war. Und deswegen glaube ich, dass wir | |
gesellschaftlich darüber reden müssen, nicht nur in der Ampel. Viele | |
Vermögende sagen selbst, dass sich etwas ändern muss. | |
Die Grünen gelten im Osten als Westpartei. Was haben Sie falsch gemacht? | |
Ich habe lange gesagt, dass wir in den ländlichen Raum gehen müssen. Nicht | |
in jedes Dorf, das schaffen wir nicht, unsere Landesverbände hier sind | |
nicht riesig. Aber zumindest in die Mittelstädte. Ich war auf meiner Tour | |
gerade auch in diesen kleinen und mittleren Städten. Dafür haben sich Leute | |
bei mir bedankt. Da müssen wir mehr hin, auch wenn da nicht mehrere hundert | |
Leute zu einer Veranstaltung kommen, und wir müssen zuhören. Wir sollten | |
Politik vom Land her denken. Wenn es da funktioniert, funktioniert es auch | |
woanders. | |
Das machen die Grünen aber nicht. | |
Das machen wir zu wenig. Ich habe zum Beispiel das 49-Euro-Ticket von | |
Herzen unterstützt, aber gleichzeitig fragen sich Leute auf dem Land, wo | |
der Bus nicht fährt, ob sie überhaupt gemeint sind, wo an sie gedacht wird. | |
Was würden Sie sich von Ihrer Partei wünschen? | |
Hingehen, zuhören. Hören, was die Leute umtreibt. Mit den Bürgermeistern | |
der kleinen Städte reden. Einer hat mir erzählt, dass seit 15 Jahren | |
ständig was Neues komme, er mit seiner kleinen Kommunalverwaltung komme | |
einfach nicht mehr hinterher. Das zu verstehen, ist wichtig. Bei der | |
Kompliziertheit mancher Regelungen könnten wir aus der Bundespolitik | |
manchmal auch mehr auf die Kompetenzen vor Ort setzen. Und jetzt droht eine | |
riesige zusätzliche Last für die Engagierten: Wenn Christian Lindner als | |
Finanzminister aktuell plant, Haushaltsmittel für die Demokratieförderung | |
zu kürzen, ist das der völlig falsche Ansatz. | |
Was sagen Sie zu dem, wie die CDU gerade agiert? Etwa zu der doppelten | |
Wende, die [2][Parteichef Friedrich Merz zur Zusammenarbeit mit der AfD im | |
Kommunalen] jüngst hingelegt hat? | |
Er hat ja öfter schon Dinge gesagt und sie am nächsten Tag wieder | |
zurückgenommen. Aber dass er einfach behauptet, es gäbe bei den Aussagen | |
keinen Unterschied, dem kann ich nicht folgen. Ich glaube, dass er das am | |
Wochenende in voller Absicht gesagt hat. Das Signal an alle, die in der CDU | |
mit der AfD liebäugeln oder längst zusammen arbeiten, ist: Ihr habt ab | |
jetzt die Unterstützung des Parteivorsitzenden. Das ist ein qualitativer | |
Unterschied zu den bisherigen festen Prinzipien der Christdemokraten, zu | |
denen viele, die ich schätze und die in den vergangenen Tagen sehr klar in | |
der Ablehnung des Merz-Kurses waren, weiter stehen. | |
26 Jul 2023 | |
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