# taz.de -- Katrin Göring-Eckardt zu Wolfram Weimer: Es braucht mehr als schö… | |
> Wenn Rechtsaußen nach der Kultur greift, geht es uns alle an. Katrin | |
> Göring-Eckardt erwidert in diesem Gastbeitrag auf Kulturstaatsminister | |
> Weimer. | |
Bild: Wähnt sich im Kulturkampf von rechts und links: Wolfram Weimer spricht v… | |
Wenn Kulturkämpfe ausgefochten werden, geht es selten um Kultur. Es geht um | |
Macht. Es geht darum, wer die Regeln setzt, wessen Blickwinkel zählt, was | |
ausgespart wird und wer bestimmt. Vor allem geht es immer mehr darum, ob | |
mit Macht das Spalten oder das Beieinanderbleiben der Gesellschaft forciert | |
werden soll. | |
Das zeigte sich erst kürzlich bei Markus Lanz. [1][Ulf Poschardt] und Boris | |
Palmer trafen dort auf die Neurowissenschaftlerin Maren Urner. Eigentlich | |
sollte es in der Sendung um Meinungsfreiheit gehen. Am Ende kam davon beim | |
Publikum wenig an. Die beiden Herren demonstrierten Macht. Mit „Ihre These | |
ist absurd“ oder „Hören Sie einfach zu“ reagierten sie in der Sendung auf | |
Ausführungen der Wissenschaftlerin, riefen dazwischen, stöhnten, erklärten | |
Einzelfälle zum Allgemeinplatz und blieben unbeirrt bei ihrer anekdotischen | |
Evidenz, selbst als Maren Urner mit ihrer Expertise differenzierte | |
Einordnungen bot. | |
Diese Art des Auftretens ist nicht neu – und sie folgt einem bekannten | |
Playbook: Freiheit soll nicht mehr für alle gelten – sondern nur für einige | |
Wenige, die sich damit unangreifbar machen wollen. Wolfram Weimer, den ich | |
für einen ehrlichen Freund der Freiheit halte, hat in [2][einem | |
Gastbeitrag] in der Süddeutschen Zeitung darauf verwiesen, dass es Cancel | |
Culture von rechts wie links gäbe. Geht es nach ihm, soll das mal wieder | |
Thema werden. Ich hoffe inständig, wir kommen um diese erneute Debatte | |
herum. | |
## Was Weimer vergisst | |
Weimer verweist außerdem zurecht auf die Einflussnahme großer | |
ideologiegetriebener Akteure in China und Russland, aber auch auf die Macht | |
großer Tech-Konzerne und [3][ideologischer Strömungen in den USA.] Nur | |
schade, dass ihm bei rechtem Kulturkampf nur ausländische Beispiele | |
einfallen. Fraglos sprechen die jüngsten Entwicklungen in den USA eine | |
eindeutige, beängstigende Sprache der Machtausübung. Vor allem, weil dort | |
nicht nur die Freiheit der Meinung, sondern vielmehr die Freiheit insgesamt | |
bedroht ist. | |
Doch Weimer vergisst: Auch hierzulande werden Debatten von rechts und erst | |
recht rechtsradikal gekapert, kritische Stimmen übertönt und Wissen | |
marginalisiert. | |
Man muss nur nach Rudolstadt schauen, dessen Theater im Thüringer Landtag | |
auf Geheiß der AfD auf politische Neutralität überprüft werden soll. Nach | |
Eisleben oder Plauen, Orte, an denen die AfD den Theatern Mittel streichen | |
will, weil deren Mitarbeitende gegen Rechtsextremismus demonstriert haben. | |
Nach Osnabrück, wo die AfD wegen einer Inszenierung einer | |
Schultheatergruppe, die sich kritisch mit der rechtsextremen Partei | |
auseinandersetzte, vor Gericht zog. Nach Stollberg, wo nach Angriffen | |
rechtsradikaler Akteure eine Jugendtheatergruppe ihre Inszenierung über die | |
Weiße Rose abgeändert hat. | |
Es gibt viel zu viele dieser Beispiele. Dort ist Kulturkampf ganz real und | |
nahezu wortwörtlich. Im Übrigen ist auch die Infragestellung der | |
Finanzierung zahlreicher Vereine und Verbände mit einer kleinen Anfrage im | |
Bundestag seitens der Unionsfraktion Freiheit bewusst ein- oder eben | |
ausgrenzend. Und all das ist Beanspruchung von Macht. | |
## Kunst aushalten oder genießen | |
Ich verstehe, dass es anstrengend ist, Freiheit zu leben, besonders dann, | |
wenn es nicht um die eigene, sondern um die Freiheit der Anderen geht. Ja, | |
Kunst und Kultur sind frei, müssen frei sein, irritieren, nerven, | |
provozieren, auf allen Seiten. Und je nachdem müssen wir sie aushalten oder | |
dürfen wir sie genießen. | |
Ein Dieter Nuhr, den Weimer als Beispiel ins Feld führt, ist nicht | |
betroffen von Freiheitseinschränkungen. Er hat einen festen Platz im | |
öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Dass sich Menschen über seine mit teils | |
sexistischen und rassistischen Ressentiments gespickte und für mich nicht | |
lustige Comedy aufregen, gehört zur Freiheit dazu. Ganz anders als Nuhr | |
macht es Carolin Kebekus (für mich sehr erheiternd) – etwa wenn sie sich | |
für Kinderrechte stark macht oder mal wieder gegen die männerdominierte | |
katholische Kirche austeilt – und trotzdem regen sich Menschen über sie | |
auf. | |
Vielleicht ist der Unterschied, dass sie diese Kritik mit Humor nimmt, | |
statt sich medienwirksam beleidigt in die Schmollecke zu verkriechen. Es | |
gehört zu den Zumutungen einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft, | |
dass wir unterschiedliche Positionen nicht nur ertragen, sondern ernst | |
nehmen müssen. Ich kann nichts Falsches daran erkennen, zu hinterfragen, ob | |
wir mit unseren Blick-Schablonen Menschen sichtbar oder unsichtbar machen. | |
Wer behauptet, man dürfe bestimmte Dinge „nicht mehr sagen“, sagt sie meist | |
doch – will dabei nur keinen Widerspruch bekommen. Aber so einfach ist es | |
(zum Glück) nicht. Ist es nicht das Größte an der Freiheit, dass sie uns | |
Raum gibt, verschieden zu sein? Ist es nicht Ausdruck von Freiheit, dass | |
wir uns gegenseitig ernst nehmen, nicht belehren, sondern in den Diskurs, | |
auch in den Streit gehen? | |
## Freiheit der Kunst vielerorts bedroht | |
Wir müssen uns nicht immer einigen. Weder darüber, ob uns die letzte | |
Theaterinszenierung gefallen hat, noch darüber, ob Tofu-Schnitzel auf den | |
Grill kommen. Aber zulassen sollten wir es und nachfragen. Und dabei | |
zumindest für möglich halten, dass der oder die andere auch recht haben | |
könnte. Gerade deshalb lohnt es sich, unsere Debatten immer wieder mit der | |
Realität zu konfrontieren. | |
Denn es gibt schon mehr als genug Fälle, in denen klar wird, was die | |
Freiheit der Kunst heute schon vielerorts bedroht: Wenn die Finger von ganz | |
Rechtsaußen versuchen, Macht zu beanspruchen und dabei nach der Kultur zu | |
greifen, geht es uns alle an. Dann braucht es mehr als schöne Worte – es | |
braucht konkretes politisches Handeln. | |
Solches Handeln wäre die Art von Macht, die sich als Verantwortung für | |
andere und das Gemeinwesen versteht. Macht, wie sie dereinst Martin Luther | |
versuchte zu definieren, als er um die Freiheit der Christenmenschen rang. | |
Freiheit nämlich, die einerseits niemandem untertan sein sollte und | |
andererseits aber wiederum allen dienen. Es ist folgerichtig und wegweisend | |
bis heute, dass er über den Streit sagte: „Lasset die Geister | |
aufeinanderprallen, aber die Fäuste haltet stille.“ Und das sollte uns auch | |
in übertragener Weise leiten. Abkanzeln steht denen, die Macht | |
verantworten, nicht an und nicht zu. | |
Denn Demokratie lebt Macht. Indem sie Verschiedenheit versöhnt oder | |
aushält, sie groß macht und so Orte schafft, an denen alle frei sein | |
können, nicht herabgesetzt werden oder falsch umjubelt. Kunst ist frei und | |
sie ist nicht egal. Gerade die Mitte unserer Gesellschaft tut gut daran, | |
sich der Freiheit zu verschreiben, der Freiheit in Verschiedenheit, im | |
Diskurs, ohne Missbrauch von Macht, ohne Spießigkeit auch. | |
13 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Ulf-Poschardts-Buch-Shitbuergertum/!6060046 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Göring-Eckardt | |
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