# taz.de -- Kulturstaatsminister Wolfram Weimer: Und das soll bürgerlich sein? | |
> Auf die vehemente Kritik an seiner Nominierung als Kulturstaatsminister | |
> antwortet Wolfram Weimer in Interviews. Seine Äußerungen sind | |
> unglücklich. | |
Bild: Beschwichtigungsversuch: Wolfram Weimer, im Schatten | |
Nun lasst ihn doch erst einmal im Amt ankommen, wird einem gesagt. Ist die | |
Redeweise vom Kulturkampf von rechts nicht allzu martialisch?, wird man | |
gefragt. Und es wird einem gesagt, dass man die Nominierung von Wolfram | |
Weimer zum Kulturstaatsminister cool nehmen solle. | |
Friedrich Merz musste, so geht dieser aparte Spin, wenn er schon mit den | |
vielen neuen verabredeten Schulden den versprochenen radikalen | |
Politikwechsel über Bord geworfen hat, der konservativen Seele zumindest | |
symbolisch ein Beschwichtigungsangebot machen. Dieses Angebot sei halt | |
Wolfram Weimer. | |
Nun gut. Die vehemente Kritik, die viele Menschen an dieser Personalie | |
haben, sollte deutlich geworden sein, [1][auch die der taz.] An ihr ist | |
nichts zurückzunehmen. Und man hätte das ja auch erst mal so stehen lassen | |
können, wenn nicht die Interviews, die Wolfram Weimer zu seiner | |
Verteidigung inzwischen gegeben hat, nicht schon wieder so verschwiemelt im | |
Ganzen und irreführend im Besonderen wären. Zu ihnen zwei Anmerkungen, eine | |
konkrete und eine allgemeine. | |
Die konkrete Anmerkung bezieht sich auf die Frage, ob sich Wolfram Weimer | |
demografische Sorgen um die „Fortdauer des eigenen Blutes“ mache, was in | |
der Tat, wenn es zutrifft, eine reaktionäre Denkweise ist. Im Hintergrund | |
steht der bissige Kommentar Jürgen Kaubes zur Berufung Weimers. Der | |
Feuilletonherausgeber der FAZ hatte einige markante Stellen aus Weimers | |
Buch „Manifest des Konservativen“ aufgezählt und dabei kritisch erwähnt, | |
Weimer mache „sich demografische Sorgen um die ‚Fortdauer des eigenen | |
Bluts‘ und die ‚biologische Selbstaufgabe‘ Europas“. | |
## Den Zusammenhang selbst verwischt | |
Im Stern wird Weimer nun darauf angesprochen. Und unser designierter | |
Kulturstaatsminister antwortet: „Dieses Zitat ist völlig aus dem | |
Zusammenhang gerissen. Ich beschreibe einen historischen Umstand, dass man | |
früher in solchen Kategorien gedacht hat, aber gerade als Gegenentwurf zu | |
unserem Denken.“ Nur stimmt das, was Weimer hier zur Verteidigung | |
vorschützt, halt nicht. | |
Man kann den Zusammenhang ja nachlesen. Das Zitat fällt in einem Kontext, | |
in dem das Verlöschen der „vitalen Kraft“ Europas beklagt wird, was immer | |
das sein soll, und zwar ausdrücklich in positiver Anlehnung an Oswald | |
Spenglers Schrift vom „Untergang des Abendlandes“. | |
Und dann heißt es: „Während Generation um Generation in einer Jahrtausende | |
währenden Selbstverständlichkeit die Fortdauer der eigenen Familie, des | |
eigenen Blutes, der Sippe, des Stammes, der Nation, der Kultur, der | |
Zivilisation als einen heiligen Moment des Lebens begriffen hat, so bricht | |
dieses Bewusstsein plötzlich in Scherben.“ | |
An diesem Satz stimmt nichts. Das angeblich heilige Moment war immer | |
Ideologie, es zu unterstellen sowieso eine Rückprojektion, und dass das | |
Bewusstsein „plötzlich“ in Scherben geht, ist auch unwahr. Die Emanzipation | |
des Individuums vollzog sich in langen symbolischen und politischen | |
Kämpfen, in denen übrigens der Aufstieg des Bürgertums eine wichtige Rolle | |
spielte. Egal. | |
## Sippe, Blut, Nation | |
In einem hat Weimer allerdings recht. Er beschreibt wirklich einen | |
angeblich historischen Umstand als Gegenentwurf zu „unserem“ Denken. Doch | |
entscheidend ist: Er selbst ist es, der hier den Zusammenhang negiert. Denn | |
aus dem Kontext wird ganz klar, dass er es bedauert, dass das alte | |
Bewusstsein heute in Scherben liegt. Die Analyse, dass Europas Vitalität | |
untergeht, kolportiert Weimer zustimmend. Und er selbst ist es, der dabei | |
ausdrücklich Begriffe wie Sippe, Blut, Nation und Kultur ineinander | |
übergehen lässt. Kaube trifft mit seiner Zusammenfassung die Aussage der | |
Stelle also genau. | |
Was hat sich Weimer mit seiner abstreitenden Antwort gedacht? Er hätte | |
sagen können: Oh, an der Stelle habe ich meine eigentliche Absicht nicht | |
deutlich genug gemacht. Oder er hätte sagen können: Na ja, das Buch ist von | |
2018, womöglich war ich noch zu sehr von Thilo Sarazzins | |
Deutschland-schafft-sich-ab-Thesen beeinflusst, die ich damals ins | |
Europäische übertragen habe, davon distanziere ich mich inzwischen | |
ausdrücklich. Hat er beides aber nicht getan. | |
Dazu zwei mögliche Erklärungsansätze. Entweder er glaubt: Wird schon | |
niemand so genau nachlesen, und ich werde schon irgendwie damit durchkommen | |
– Trump macht diese Taktik gerade im Weltmaßstab vor, und in den Talkshows, | |
in denen Weimer viel sitzt, reicht sie als Ausweichmanöver ja auch meistens | |
aus. | |
Oder, zweite Möglichkeit, er weiß selbst nicht so genau, was er da | |
geschrieben hat. Dass kurz nach der Blut-Stelle eine Episode folgt, in der | |
Weimer die nach 1945 unterbleibende räumliche Ausdehnung Europas als | |
„Bedeutungsverlust“ beklagt und man als Leser also durchaus | |
Blut-und-Boden-Assoziationen haben kann, sei nur kurz erwähnt. | |
## Er will Teil der Mitte sein | |
Damit zur allgemeinen Anmerkung zu Weimers Selbstverteidigungen. In dem | |
Stern-Interview verortet sich Wolfram Weimer im „breiten Raum der | |
bürgerlichen Mitte“. In einem Hintergrundgespräch mit der dpa sagt er es | |
ausdrücklich: „Ich bin ein Mann der bürgerlichen Mitte.“ Dass er sich | |
selbst so sehen möchte, kann man ihm abnehmen. Doch sagen wir es so: Wenn | |
er Teil der Mitte sein will, hat er sich als Autor in der Vergangenheit | |
äußerst ungeschickt verhalten. | |
Weiß Weimer denn nicht, was es heißt, sich affirmativ auf die Lehre vom | |
weltweiten Kampf in sich geschlossener „Kulturkreise“ zu beziehen, wie er | |
das in seinem „Konservativen Manifest“ tut? Die AfD redet so, Putin redet | |
so, teils auch Trump – und bald nun auch ein Mitglied der Bundesregierung? | |
Hat Weimer vergessen, dass er die „Zersetzung des öffentlichen Diskurses | |
durch Ressentiments“, die er in dem dpa-Gespräch den Rechtspopulisten | |
ankreidet, selbst umfangreich betrieben hat? | |
Dass er als diskursive Gegner „Linke und Rechtspopulisten“ auf eine Stufe | |
stellt, ist das eine; dass er die Reihe verunglimpfend mit | |
„Gutmenschen-Bevormunder und moralische Besserwisser“ fortsetzt, das | |
andere. Das soll kein Ressentiment sein? | |
Und schließlich: Meint Weimer jetzt verwischen zu können, dass seine | |
Verunglimpfungen des Multikulturalismus und seine Loblieder auf Vaterland, | |
Familie und Glauben, die er in dem „Manifest des Konservativen“ und | |
Kolumnen angestimmt hat, sich eindeutig gegen die | |
Fundamentalliberalisierung der bundesdeutschen Gesellschaft richten, die | |
ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland erst möglich gemacht haben? | |
## Heteronormative und biedermeierliche Vorstellungen | |
Tatsächlich ist sein Begriff von Bürgerlichkeit zusammengeträumt. Wenn man | |
Weimer als Kulturstaatsminister ernst nehmen soll – und sei es eventuell | |
dann eben als Gegner –, sind jedenfalls keine allgemeinen Floskeln, sondern | |
konkrete Standortbestimmungen nötig. Und man muss sich von ihm nicht | |
ausreden lassen, dass die Mitte unserer Gesellschaft sehr viel | |
lebensweltlich liberaler, bunter, durcheinandergewürfelter und freier ist, | |
als er es gut findet. | |
Womöglich merkt er gar nicht, wie vehement er alles ausschließt, was von | |
seinen heteronormativen und dabei biedermeierlich im schlechten Sinn | |
wirkenden Vorstellungen abweicht. Und wie sehr seine Beschreibung der | |
gesellschaftlichen Gegenwart daran krankt. | |
Ein Wort noch zum Kulturverständnis. Der dpa gegenüber behauptet Weimer, | |
Menschen, die lieber Thomas Mann als Bert Brecht lesen, würden „in die | |
rechte Ecke“ gestellt. Dass Thomas Mann aktuell [2][als antifaschistischer | |
Kämpfer] entdeckt wird, hat Weimer offenbar noch nicht mitbekommen. Er | |
hätte es benutzen können, um seiner Versicherung, gegen die AfD zu sein, | |
Glaubwürdigkeit und Substanz zu verleihen. | |
3 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Kommender-Kulturstaatssekretaer-Weimer/!6085041 | |
[2] /Buch-ueber-Thomas-Mann/!6064208 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
## TAGS | |
Kulturstaatssekretär | |
Deutsche Kultur | |
Kulturkampf | |
Blut | |
wochentaz | |
Süddeutsche Zeitung | |
Soziologie | |
Claudia Roth | |
Regierungsbildung | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer: Im tiefen Tal der Hufeisentheorie | |
In einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ macht der neue | |
Kulturstaatsminister Weimer eine fragwürdige Verteidigung der | |
Kunstoffenheit. | |
Soziologe über Krise der Öko-Bewegung: Die demokratische Verstopfung | |
Der Wissenschaftler Ingolfur Blühdorn erforscht Widersprüche | |
öko-emanzipatorischer Bewegungen und ihr Bestreben, die Demokratie zu | |
demokratisieren. | |
Claudia Roth zieht Bilanz: Droht nun das konservative Rollback? | |
Die Grünen-Politikerin hat als Ministerin für Kultur und Medien einiges | |
erreicht. Zum Abschied sprach sie auch über Nachfolger Wolfram Weimer. | |
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer: Kulturkampf statt Kulturpolitik | |
Der Publizist Wolfram Weimer soll Kulturstaatsminister werden. Er irritiert | |
mit identitären Positionen. Mit Interesse für Kulturpolitik fiel er dagegen | |
nicht auf. | |
Claudia Roth über Ukraine, AfD und Söder: „Wir dürfen nicht nachlassen“ | |
Die Staatsministerin für Kultur und Medien fordert Solidarität mit der | |
Ukraine. Sowie im Kampf gegen rechts, gerade nach der Tat von | |
Aschaffenburg. |