| # taz.de -- Impfstoff gegen Malaria: Der Gamechanger | |
| > Jede Minute stirbt ein Kleinkind an Malaria. Kann ein neuer Impfstoff das | |
| > ändern? In Uganda ist die Hoffnung groß. | |
| Bild: Faith, 3 Jahre alt, wurde in einem Pilotprogramm gegen Malaria geimpft | |
| Kampala taz | Die Kinderabteilung des St.-Francis-Krankenhauses in Ugandas | |
| Hauptstadt Kampala ist von Geschrei erfüllt. Der Warteraum mit den bunten | |
| Comicfiguren an den Wänden ist voll mit Eltern, die kranke, fiebrige Kinder | |
| in den Armen halten. Ein etwa zweijähriger Junge windet sich auf dem | |
| Fußboden zwischen den Plastikstühlen, weint und schreit. Seine Augen | |
| glänzen, er wirkt verstört und abwesend. „Wahrscheinlich Malaria“, sagt d… | |
| besorgte Vater und versucht seinen Sohn aufzuheben. Doch der schlägt | |
| unkontrolliert um sich. Drei in Weiß gekleidete Krankenschwestern bitten | |
| den Vater, sich zu gedulden, bis er an der Reihe sei. | |
| In Ostafrika hat gerade die Regenzeit eingesetzt. Das mache sich stets in | |
| der Kinderklinik bemerkbar, berichtet Ärztin Sanyu Nalunga, die die | |
| Abteilung leitet. „Dann nimmt die Zahl unserer Malariapatienten deutlich | |
| zu“, sagt sie. Die Kinderärztin ist auf komplizierte Verläufe der | |
| [1][Malaria-Infektion] bei Kindern spezialisiert. Sie weiß: Sobald nach | |
| heftigen Regenfällen die Stechmücken, die die Parasiten übertragen, in den | |
| Pfützen und Wasserrückständen ihre Eier ablegen und die Larven schlüpfen, | |
| füllt sich die Notaufnahme in der Kinderklinik. | |
| Nalunga sitzt im zweiten Stock des Backsteingebäudes des katholischen | |
| Krankenhauses in einem dunklen Behandlungszimmer an ihrem Schreibtisch. | |
| Zwischen zwei Patienten schreibt sie Notizen in deren Krankenakten, tippt | |
| Befunde in ihren Computer. Die junge Ärztin ist hochschwanger und hat | |
| bereits zwei Kinder. „Bei Kindern kann Malaria besonders schwere | |
| Komplikationen hervorrufen.“ Dazu gehören Blutarmut, Krampfanfälle, | |
| Kreislaufkollaps und Nierenversagen. All dies geschieht in nur wenigen | |
| Tagen, wenn die Eltern nicht sofort die Symptome erkennen und zur | |
| Behandlung kommen. Dann könnten sich die Parasiten im Körper ungehindert | |
| ausbreiten und befielen die Organe, auch das Gehirn, sagt Nalunga. „Es ist | |
| eine der tödlichsten Krankheiten für Kinder in Uganda“, so die Ärztin, „… | |
| gehört in meiner Abteilung zu einer der drei häufigsten Todesursachen bei | |
| Patienten unter fünf Jahren.“ | |
| ## 40 Prozent der Welt sind Malaria-Gebiet | |
| Jede Minute stirbt ein Kleinkind dieser Welt an Malaria. Vor allem in | |
| Afrika gilt die Tropenkrankheit als eine der tödlichsten bei Kleinkindern. | |
| Laut den Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2021 sind allein | |
| in Afrika über eine halbe Million Kinder daran gestorben. Doch das soll | |
| sich nun ändern: Als „Durchbruch“ bezeichnet die WHO die großangelegte | |
| Versorgung afrikanischer Gesundheitssysteme mit dem [2][neu entwickelten | |
| Malaria-Impfstoff]. | |
| Rund 18 Millionen Dosen des Impfstoffes sollen ab Beginn des nächsten | |
| Jahres in zwölf afrikanischen Ländern verteilt werden, so die WHO. Vorrang | |
| erhalten Länder wie Uganda, die Demokratische Republik Kongo, Burundi oder | |
| Kamerun, wo die Infektionsraten aufgrund der tropischen Klimazonen am | |
| höchsten sind. Weitere 28 afrikanische Länder haben ihr Interesse bekundet. | |
| Das UN-Kinderhilfswerk Unicef gilt als einer der Hauptabnehmer, um die | |
| Impfung in Flüchtlingslagern anzubieten. „Bei dieser ersten Zuteilung von | |
| Malaria-Impfstoffdosen haben Kinder Vorrang, denn sie haben das höchste | |
| Risiko, an Malaria zu sterben“, so Dr. Kate O’Brien, die für Impfstoffe | |
| zuständige WHO-Direktorin. | |
| Die tropische Krankheit, die in Deutschland auch Sumpffieber genannt wird, | |
| wird durch Parasiten übertragen, die in Moskitos nisten. Typische Wirte | |
| sind die Anopheles-Stechmücken, die vor allem in den warmen und feuchten | |
| Tropen und Subtropen heimisch sind. Laut Angaben des Robert-Koch-Instituts | |
| leben etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung in Malaria-Endemiegebieten, | |
| überwiegend in Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas, wobei Afrika mit | |
| etwa 90 Prozent der Fälle am meisten betroffen ist. Insgesamt erkranken | |
| weltweit schätzungsweise 200 Millionen Menschen pro Jahr, rund 600.000 | |
| Menschen sterben daran, drei Viertel davon sind Kinder unter fünf Jahren. | |
| Sie gilt damit als die häufigste Infektionskrankheit der Welt. | |
| Und sie breitet sich immer weiter aus. In Deutschland wurden in den letzten | |
| Jahren durchschnittlich knapp 600 Fälle gemeldet. Dabei handelte es sich | |
| vor allem um eingeschleppte Infektionen von Reisenden, die sich | |
| beispielsweise in Afrika angesteckt haben. Immer häufiger werden Reisende | |
| aber auch in Flugzeugen gestochen oder von Mücken, die im Gepäck mitreisen. | |
| Auch durch den Welthandel breiten sich die Mücken aus, warnt Ugandas | |
| Virusinstitut, eine der führenden Einrichtungen zur Erforschung von | |
| Tropenkrankheiten in Afrika. Laut den dortigen Virologen wurden in den | |
| vergangenen Jahren vermehrt asiatische Moskitos und Parasiten in Ostafrika | |
| entdeckt, die über Container und Importwaren aus Asien eingeschleppt | |
| wurden. Diese asiatischen Stechmücken brüten vor allem in städtischen | |
| Gebieten: in Regenrinnen oder Regentonnen. Bislang war Malaria in Ostafrika | |
| eher ein Problem der ländlichen Bevölkerung. Dort legen die Moskitos ihre | |
| Eier in Wasseransammlungen auf Maisfeldern und in Bananenhainen. | |
| [3][Zunehmend werden aber auch Malariamoskitos nun in Europa und den USA | |
| entdeckt]: vereinzelt in Griechenland, Spanien und Portugal. Ende Juni gab | |
| das amerikanische Zentrum für Krankheitskontrolle und -prävention eine | |
| Warnung heraus, nachdem sechs Menschen in Florida und Texas daran erkrankt | |
| waren. Forscher warnen, dass sich die Krankheit aufgrund des Klimawandels | |
| auch im Globalen Norden immer weiter ausbreiten kann. | |
| ## RTS,S/AS01, genannt „Mosquirix“ | |
| Die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Malaria war bislang eine besondere | |
| Herausforderung. Der Grund liegt in der schwachen Immunantwort des | |
| menschlichen Körpers bei einer Infektion. Die typische Strategie, mit Hilfe | |
| abgeschwächter oder toter Erreger in einem Impfstoff quasi das Immunsystem | |
| anzuregen, um Abwehrmechanismen zu aktivieren, geht hier nicht auf. Trotz | |
| intensiver Forschungen gibt es deswegen weltweit nur einen Wirkstoff, der | |
| sich derzeit im Zulassungsverfahren befindet. | |
| Getestet wurde er seit 2019 in einem Pilotprojekt an fast einer Million | |
| Kindern. Auch wenn die Immunantwort im Vergleich zu anderen Impfungen | |
| gering war, hat der Wirkstoff dennoch vielversprechende Wirkung gezeigt. | |
| Jetzt hat die WHO gemeinsam mit der internationalen Impfallianz Gavi, die | |
| die Entwicklung und Produktion des Stoffes mitfinanziert hat, eine | |
| Empfehlung herausgegeben, die Impfung in weiteren Ländern Afrikas | |
| anzuwenden. Als „Hoffnungsschimmer“ für den afrikanischen Kontinent | |
| bezeichnete WHO-Afrikadirektorin Matshidiso Moeti diese Nachricht. | |
| Der Name des Impfstoffes lautet in der Forschung RTS,S/AS01, genannt wird | |
| er meist aber „Mosquirix“. Es waren viele Impfstoffkandidaten in den | |
| vergangenen Jahren im Rennen, doch nur Mosquirix hat es bislang durch alle | |
| Entwicklungsphasen bis hin zur Empfehlung durch die WHO geschafft. Er wurde | |
| von dem britischen Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK) entwickelt und wirkt | |
| vor allem gegen den Erreger Plasmodium falciparum – den tödlichsten | |
| Malariaparasiten weltweit und am weitesten verbreiteten in Afrika. | |
| Bereits im Jahr 2016 wurde RTS,S/AS01 von der WHO empfohlen, allerdings | |
| zunächst nur für die Anwendung in Pilotprojekten. In Ghana, Kenia und | |
| Malawi wurde der Impfstoff zunächst Erwachsenen und später auch Kindern | |
| verabreicht, um noch mehr über die Immunantwort im Menschen zu erfahren und | |
| den Einsatz medizinisch zu überwachen. In den drei genannten Ländern wurde | |
| das Präparat von den jeweiligen Gesundheitsbehörden zugelassen und seit | |
| 2019 angewandt. Im Jahr 2021 hat die WHO den Impfstoff für eine weltweite | |
| breite Nutzung empfohlen. Im Juli wurde nun bekannt gegeben, dass rund 18 | |
| Millionen Dosen zur Verfügung stünden. Diese sollen in den | |
| Hauptmalariagebieten verabreicht werden, bis Nachschub im großen Stil | |
| weltweit verfügbar ist. Die Massenproduktion läuft erst an. | |
| ## Anfang 2024 geht es los | |
| Uganda ist eines der Länder, die den Impfstoff zügig erhalten sollen. Das | |
| Gesundheitsministerium teilt der taz auf Anfrage mit, dass die ersten Dosen | |
| „voraussichtlich Anfang 2024 eintreffen werden“. Bis dahin soll der | |
| Zulassungsprozess abgeschlossen sein und Mosquirix in die Liste der | |
| Impfempfehlungen für Kleinkinder in den ersten zwei Lebensjahren | |
| aufgenommen werden. | |
| Für Kinderärztin Nalunga ist dies ein „Gamechanger“, was die Überlebensr… | |
| ihrer kleinen Patienten anbelangt, sagt sie. Sie war Mitglied im | |
| Ärztekomitee, das Ugandas Gesundheitsbehörde diesbezüglich beraten hat. | |
| „Von 2024 werden wir hier hoffentlich systematisch alle Kinder damit | |
| durchimpfen“, sagt Nalunga, während sie zur nächsten Krankenakte auf ihrem | |
| Schreibtisch greift und aufsteht, um bei dem kranken Jungen, der sich im | |
| Wartesaal immer noch schreiend auf dem Boden wälzt, einen Malariatest | |
| durchzuführen. Und fügt hinzu: „Bald werden wir hoffentlich weniger solcher | |
| Fälle haben.“ | |
| 15 Aug 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Simone Schlindwein | |
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