| # taz.de -- Impfung gegen Malaria: Mangelndes Interesse | |
| > Während Vakzine gegen Corona schnell verfügbar waren, dauerte es bei | |
| > Malaria Jahrzehnte. Das liegt neben Geld auch der Krankheit selbst. | |
| Bild: Eine Ärztin im kenianischen Lodwar bereitet eine Malaria-Impfung vor | |
| Die Welt, könnte man meinen, hat in den letzten eineinhalb Jahren viel über | |
| Impfungen gelernt. Sie lernte, dass sich Vakzine selbst gegen einen | |
| unbekannten Erreger schnell entwickeln lassen. Sie erfuhr, wie mächtig neue | |
| Technologien darin sind, Immunisierungen mit hoher Wirksamkeit | |
| hervorzubringen. Und sie sah, welch geringe Rolle Geld offenbar spielen | |
| kann, wenn Millionen Menschenleben auf dem Spiel stehen. | |
| Als die Weltgesundheitsorganisation [1][WHO vor wenigen Tagen einen | |
| Durchbruch im Kampf gegen die von Parasiten verursachte Malaria] | |
| verkündete, ging es um einen Impfstoff, der damit wenig gemein hat. Er | |
| wurde nicht über eineinhalb Jahre, sondern über dreieinhalb Jahrzehnte | |
| entwickelt. Die zugrundeliegende Technologie ist fast veraltet, die | |
| Wirksamkeit schlecht. Und dennoch: RTS,S/AS01 oder auch Mosquirix gilt als | |
| Meilenstein. [2][Das Vakzin wurde schon vor sechs Jahren in Europa | |
| zugelassen] und soll laut Empfehlung der WHO bald für alle Kinder in | |
| Gebieten mit mittlerem und hohen Malariarisiko verfügbar sein. | |
| Erteilen auch die Länder des südlichen Afrika bald eine Zulassung, könnte | |
| RTS,S ein knappes Drittel der schweren Malariaverläufe – nicht der | |
| Infektionen – von unter 5-jährigen verhindern. Damit ließen sich | |
| hochgerechnet 23.000, also knapp jeder zwölfte der jährlich etwa 270.000 | |
| Todesfälle in dieser Altersgruppe vermeiden. Vorausgesetzt, jedes Kind | |
| erhält mindestens drei, besser noch vier Dosen des Impfstoffs. Die Frage | |
| liegt nahe, ob ein Durchbruch nicht anders, nämlich hoffnungsvoller | |
| aussehen sollte. | |
| Es ist nicht leicht, das Potential dieses jahrzehntealten, dürftig | |
| wirksamen und noch nicht mal billigen Vakzins gegen Malaria einzuschätzen. | |
| Schon die Krankheit ist eigen und lässt sich biologisch kaum mit einem | |
| Virus vergleichen. Und [3][natürlich spielt Geld eine Rolle]. Wenn in | |
| westlichen Industrieländern eine Pandemie ausbricht und Teile der | |
| Bevölkerung in Gefahr sind, steht davon viel zur Verfügung. Gerade für | |
| dringend benötigte Impfstoffe, denn die können in so einer Lage sehr | |
| lukrativ sein. Aber auch, weil ein Virus wie Sars-CoV-2 die westliche | |
| Wirtschaft generell gefährdet. | |
| ## Corona gibt zu denken | |
| „[4][Was für Covid möglich war], wird es für die Malaria so nicht geben“, | |
| sagt Peter Kremsner, Parasitologe an der Universität Tübingen und Präsident | |
| des Centre de Recherches Médicales in Lambarene, Gabun. Kremsner ist seit | |
| vielen Jahren an den Studien zu RTS,S sowie anderen Impfstoffen beteiligt. | |
| Und Corona gibt dem Malariaforscher zu denken: „Nach nur eineinhalb Jahren | |
| haben wir weltweit 24 zugelassene Impfstoffe gegen Sars-CoV-2. Viele | |
| weitere Vakzine sind noch in der Entwicklung. Es ist völlig irre, was da | |
| möglich wurde, in so kurzer Zeit.“ | |
| An Malaria hingegen sei das Interesse nicht groß genug. „Insgesamt ist für | |
| die Forschung zu Malaria-Impfstoffen in den vergangenen Jahrzehnten nicht | |
| ein Tausendstel der Mittel aufgewendet worden wie jetzt für die | |
| Covid-Impfungen“, sagt Kremsner. „Und die Stiftungen können etwas | |
| Vergleichbares nicht alleine stemmen.“ | |
| Stiftungen wie die Bill & Melinda Gates Foundation und Allianzen wie Gavi | |
| tragen einen großen Anteil der Kosten im Kampf gegen Malaria – sowohl in | |
| der Forschung als auch wenn neue Ansätze in die Bevölkerungen gebracht | |
| werden. Die verfügbaren Mittel sind jedoch begrenzt. Entsprechend wenige | |
| Kandidaten können gleichzeitig vorangebracht werden. Doch entscheidend im | |
| Kampf gegen die Malaria ist nicht Geld allein. Knackpunkt ist auch der | |
| Parasit selbst. | |
| Anders als ein Virus dringen die Erreger der Malaria, die Plasmodien, nicht | |
| einfach in einen Organismus ein, vermehren sich, und ziehen dann in | |
| gleicher Gestalt ihres Weges. Plasmodien sind Einzeller, die sich in ihren | |
| zwei Wirten mehrfach wandeln. Was durch den Stich einer Mücke in die | |
| Blutbahn des Menschen gelangt, ist das jüngste Stadium dieses komplexen | |
| Kreislaufs: der Sporozoit. Kann er sich weiterentwickeln, entstehen erst in | |
| der Leber, dann in den roten Blutkörperchen weitere Stadien, bis hin zu | |
| geschlechtlichen Zellen. Die werden wieder auf Mücken übertragen und | |
| erzeugen dort neuen infektiösen Nachwuchs. | |
| ## Eine beachtliche Genetik | |
| Egal, an welcher Stelle seines äußerst komplexen Lebenszyklus man den | |
| Malariaerreger mit einer Impfung packen will, man wird mit einer | |
| beachtlichen Genetik konfrontiert. Das Erbgut von Plasmodien umfasst etwa | |
| 5.000 Gene, die nicht alle gleichzeitig aktiv sind, sondern je nach | |
| Entwicklungsstadium an- und ausgeschaltet werden und entsprechend | |
| unterschiedliche Eiweiße erzeugen. Viele dieser Eiweiße sind mögliche | |
| Angriffspunkte für das Immunsystem und damit auch für Impfungen. Doch nicht | |
| jedes dieser Ziele, die im Fachjargon auch Antigene genannt werden, ist | |
| gleich gut als Basis für eine Impfung geeignet. | |
| „Antiparasitäre Impfstoffe sind in ihrer Entwicklung sehr komplex“, sagt | |
| Peter Kremsner. „Man hat es dabei eben nicht mit einem Micky-Maus-Virus zu | |
| tun, das nur ein paar Gene besitzt und bei dem sich alle Impfstoffe gegen | |
| das immer gleiche Ziel richten.“ Kremsner zufolge hat es in der inzwischen | |
| langen Historie der Malaria-Impfstoffforschung deshalb Dutzende Vakzine | |
| gegeben, die in der vorklinischen Entwicklung nach einem Volltreffer | |
| aussahen und – mit Ausnahme von RTS,S – in Tests am Menschen kläglich | |
| versagten. Die Gründe sind vielfältig. Kremsner hält die Tierversuche der | |
| vorklinischen Studien für nutzlos, weil sie das komplexe Zusammenspiel von | |
| Mensch und Parasit nicht abdecken. „Ich bin so weit zu sagen, dass wir auf | |
| Versuche an Mäusen in der Infektiologie und insbesondere in der | |
| Malariaforschung komplett verzichten sollten“, sagt er. | |
| „Der Parasit hat viele Strategien entwickelt, um sich anzupassen und einer | |
| Immunantwort auch wieder ausweichen zu können“, sagt Michael Ramharter, | |
| Malaria-Experte am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg. Er | |
| forscht ebenfalls in Lambarene, war an den Studien zu RTS,S aber nicht | |
| beteiligt und ist auch nicht gerade enthusiastisch, was dessen Wirksamkeit | |
| betrifft. Er sieht trotzdem die Stärken: „Das Eiweiß des Parasiten, das in | |
| RTS,S genutzt wird, ist stark konserviert, also genetisch kaum | |
| veränderlich. Und es tritt in einem Stadium direkt nach der Infektion in | |
| Erscheinung, in dem eine Impfung eine Erkrankung noch verhindern kann.“ | |
| RTS,S schöpft diese Möglichkeit nicht aus, das haben Pilotprojekte an | |
| 800.000 Kindern in drei Ländern gezeigt. Sie sollten nach den klinischen | |
| Studien und der europäischen Zulassung sicherstellen, dass das Vakzin auch | |
| in der Realität funktioniert und sicher ist. Zuvor hatte es Hinweise | |
| gegeben, dass für Mädchen das Risiko für malariabedingter | |
| Hirnhautentzündungen etwas erhöht sein könnte. Die WHO-Empfehlung legt | |
| zumindest nahe, dass der Verdacht ausgeräumt wurde. | |
| ## Auch Biontech im Rennen | |
| Unabhängig davon bleibt die Frage, ob dem Impfstoff mit 30-prozentigem | |
| Schutz vor schwerer Erkrankung nicht möglichst bald ein besserer folgen | |
| muss. Kandidaten gibt es inzwischen einige, auch die gegen Covid so | |
| erfolgreichen Unternehmen Biontech und Moderna wollen mit ihrer | |
| mRNA-Technologie jetzt ins Rennen um ein wirksames Malariavakzin | |
| einsteigen. | |
| Ramharter sieht darin durchaus Potential: „Mit mRNAs könnte man heute viel | |
| rascher neue Ansätze probieren, die Technik ist elegant und schnell“. | |
| Dennoch sei damit nicht ausgemacht, dass diese Impfstoffe dann auch besser | |
| wirken. „Zu Lebendimpfstoffen zum Beispiel gibt es jetzt tolle Studien, da | |
| erreicht so ein Vakzin volle Wirksamkeit in ersten Tests an Menschen. Aber | |
| in der Realität sieht man diese Wirkung dann meist doch nicht mehr.“ | |
| Dass RTS,S dazu ausreicht, Malaria auszurotten, glaubt auch Peter Kremsner | |
| nicht: „Nicht mit diesem Impfstoff. Dafür bräuchten wir ein Vakzin mit | |
| annähernd hundertprozentiger Wirksamkeit.“ Und weil das so bald nicht | |
| verfügbar sein wird, sind [5][neue Medikamente nötiger denn je]. Gegen die | |
| alten sind die Malaria-Erreger vielerorts bereits resistent. Zudem haben | |
| mehrere Studien gerade gezeigt, dass sich ausgerechnet in Afrika erste | |
| Resistenzen auch gegen moderne Therapien ausbreiten. „Wir sind in einer | |
| Situation, in der der gesamte Fortschritt der vergangenen 15 Jahre binnen | |
| ein, zwei Jahren wieder zunichte gemacht werden kann“, sagt Ramharter. | |
| Man könnte daher meinen, dass aus den letzten eineinhalb Jahren noch etwas | |
| anderes zu lernen ist: wie privilegiert westliche Nationen mit ihren | |
| modernen Impfstoffen und medizinischen Möglichkeiten sind. Und wie schnell | |
| Erfolge im Kampf gegen eine Seuche verspielt werden können. | |
| 15 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Kathrin Zinkant | |
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