# taz.de -- Kampf gegen Stechmücken: Menschenfeind Moskito? | |
> Statt sich um eine Koexistenz mit der Stechmücke zu bemühen, fordern | |
> viele ihre Ausrottung. Ein neues Buch aus den USA treibt das auf die | |
> Spitze. | |
Bild: Braucht unser Blut für ihre Eientwicklung: die Stechmücke | |
In Finnland wird alljährlich eine Weltmeisterschaft im Mückentotschlagen | |
ausgetragen. In Deutschland dagegen veröffentlichten Mückenforscher des | |
Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit und des Leibniz-Zentrums | |
für Agrarlandschaftsforschung 2016 diesen Aufruf: [1][„Wenn Sie eine Mücke | |
sehen, nicht totschlagen!“] Stattdessen sollte man das Insekt mit einem | |
Glas eingefangen und über Nacht in ein Gefrierfach stecken. | |
„Die tote Mücke dann zum Beispiel in eine Streichholzschachtel legen und | |
zusammen mit einem ausgefüllten Formular einschicken.“ Die Einsendungen | |
würden den Forschern bei der Erstellung des Mückenatlas helfen – eine | |
Übersicht über die Stechmückenvorkommen in Deutschland. Sie hoffen, mit | |
dieser Bürgerhilfe „neuen Arten auf die Spur zu kommen, die sich von Süden | |
her immer weiter in Deutschland ausbreiten“. | |
Im Internet findet man Hunderte von Tipps, wie man am besten „Moskitos“ | |
tötet. Unter dem Stichwort „Mücken“ sind es nur halb so viele, dazu mit | |
neckischen Titeln wie „Alle Mücken sind schon da“ (MDR). Wenn dagegen von | |
„Moskitos“ („kleine Fliege“ auf Deutsch) die Rede ist, wird es ernst. D… | |
sind beides nur andere Wörter für die „Culiadae“ (Stechmücken). | |
Ich bin in einem norddeutschen Moor aufgewachsen, wo dichte Wolken von | |
männlichen Mücken über den offenen Wasserflächen „tanzten“ (die Weibchen | |
flogen einzeln hinein und schwanger wieder raus). Wir sind im Gegensatz zu | |
Freunden und Besuchern, die bei uns übernachteten, nie gestochen worden. | |
Ganz anders war es, wenn wir uns im nahen Wald aufhielten. [2][Hier griffen | |
uns die Mückenweibchen in Schwärmen an.] | |
## Integration kann gelingen | |
Sie brauchen Blut für ihre Eientwicklung und aufgrund unserer Unbepelztheit | |
und Dünnhäutigkeit sind wir für sie erste Wahl. Für die Männchen sind es | |
dagegen Blumen, von deren Nektar sie sich ernähren. Als Dauerbewohner des | |
Moors gehörten wir vielleicht zu dessen „Habitat“, waren quasi integriert | |
und wurden deswegen verschont. | |
Auch in der sibirischen Tundra koexistieren die dort lebenden Einheimischen | |
eher mit den Mücken, als sich von ihnen verrückt machen lassen, so wie im | |
vergangenen Jahr etwa die Hessen: „Die Mückenplage hat Rhein-Main fest im | |
Griff“, schrieb der Offenbacher Extra-Tipp im Frühling, überall meldete man | |
dort Angriffe von der gefährlichen „Tigermücke“, verwechselte sie jedoch | |
mit der ähnlich aussehenden Ringelmücke, auch Ringelschnake genannt. | |
Heuer stellte die Geo-Redaktion sich die Frage: [3][„Warum rotten wir die | |
Moskitos nicht aus?“] Dazu gibt jetzt ein dickes Buch Hilfestellung: „The | |
Mosquito“. Dem Autor Timothy Winegard merkt man an, dass er seinen Master | |
of Arts im „Royal Military College of Canada“ gemacht hat: Für ihn ist die | |
„Mücke“ der für den Menschen gefährlichste Feind. Viel gefährlicher als | |
alle Kommunisten zusammen. | |
Sein US-Verlag nennt diese Kriegserklärung an alle Stechmückenarten „ein | |
pionierhaftes und grundsätzliches Werk im Stil einer erzählerischen | |
Nichtfiktion“. Flankierend dazu veröffentlichte der Autor in der New York | |
Times auch noch einige Fakten unter dem Titel: [4][„Die Mücken kommen uns | |
holen“]. | |
## „Tödlicher als alle Waffen“ | |
„100 Billionen oder mehr Mücken kontrollieren fast jeden Zentimeter auf | |
unserer Erde. Jährlich sterben 700.000 Menschen durch sie. In den letzten | |
200.000 Jahren haben sie 108 Milliarden Menschen umgebracht“, schreibt | |
Winegard. Ich hätte gedacht, es sind viel mehr gestorben – [5][an den von | |
Mücken übertragenen Krankheiten] Malaria, Gelbfieber, Zika, Denguefieber, | |
West-Nilfieber und Chikungunja. | |
Gegen Malaria wurde zwar ein Medikament entwickelt, aber die jährlich | |
70.000 meist armen Afrikaner, die damit infiziert werden, sind kein | |
lukrativer Markt, der Pharmakonzern vermarktete den Impfstoff deswegen als | |
Enthaarungsmittel. | |
Winegard schreibt weiter: „Die Moskitos und ihre Krankheiten haben Händler, | |
Reisende, Soldaten und Siedler (und ihre gefangenen afrikanischen Sklaven) | |
über die ganze Welt begleitet. Sie sind tödlicher als alle von Menschen | |
gemachten Waffen und Feldzüge.“ Er meint allen Ernstes – und die NYT druckt | |
diesen Quatsch –, dass die „Malaria-Moskitos“ in den Pontinischen Sümpfen | |
„den Aufstieg und Fall des Römischen Imperiums erleichterten“, dass sie | |
„das Heilige Land vor den christlichen Kreuzfahrern schützten“, dass sie | |
„im 18. und 19. Jahrhundert unzählige erfolgreiche Rebellionen in Süd- und | |
Nordamerika, einschließlich der britischen Kapitulation bei Yorktown in | |
der Amerikanischen Revolution, unterstützten“. | |
Und weil „den Konföderierten das Antimalariamittel Chinin ausging, halfen | |
die Moskitos schließlich sogar, den Hammer auf den letzten Nagel des Sargs | |
für die institutionalisierte Sklaverei zu schlagen.“ | |
## Uralte Ausrottungskampagnen | |
Für den kanadischen Historiker ist die Mücke das, was für Hegel der | |
„Weltgeist“ war. Zwar sah Goethe diesen in Gestalt von Napoleon „hoch zu | |
Pferde“, aber wir wissen nun, der „Weltgeist“ ist ein mehr als lästiger | |
Zweiflügler, jedenfalls seine blutsaugenden Weibchen. | |
Kampagnen zur Ausrottung aller Mücken gibt es schon seit einigen tausend | |
Jahren: In Burma schüttete man Erdöl auf kleine und größere Gewässer, um | |
die Mückenlarven zu ersticken. Die Rockefeller Foundation initiierte 1918 | |
eine Kampagne zur weltweiten Ausrottung der Malariamücke, die jedoch wenig | |
erfolgreich war. | |
Als die italienischen Faschisten sich 1930 daran machten, die Pontinischen | |
Sümpfe nahe Rom trockenzulegen, stellten sie eine „Anti-Moskito-Miliz“ auf. | |
Ab 1945 erwies sich das Ausbringen von DDT mit Flugzeugen als geeignetes | |
Mittel: „Aus der Perspektive der medizinischen Entomologie war das | |
aufregendste Ergebnis des Zweiten Weltkriegs die Entdeckung des DDT,“ hieß | |
es in einer US-Malariastudie, die der Wiener Künstler und Philosoph Fahim | |
Amir in seinem Buch „Schwein und Zeit. Tiere, Politik, Revolte“ (2018) | |
erwähnt. | |
1958 startete die KP China ohne DDT, aber mit Millionen Mitmachern die | |
Kampagne „Ausrottung der vier Übel“, neben Ratten, Spatzen und Fliegen | |
gehörten auch die Stechmücken dazu. Die Kampagne war nur vorübergehend | |
erfolgreich. | |
1962 wies die Biologin Rachel Carson in ihrem Buch „Der stumme Frühling“ | |
nach, dass das Vogelsterben in den USA dem massiven Einsatz von DDT | |
geschuldet war. Das Insektizid wurde daraufhin verboten (in Afrika wird es | |
noch immer angewendet), inzwischen sind jedoch viele Mücken resistent gegen | |
DDT. Timothy Winegard zitiert Carson mit dem Satz: „Unsere Einstellung zu | |
Tieren und Pflanzen ist einzigartig eng. | |
Wenn sie uns gleichgültig lassen oder lästig werden, können wir sie | |
unverzüglich zur Vernichtung verurteilen.“ Carson, so Winegard weiter, | |
„konnte nicht CRISPR vorhersehen. Diese Gentechnik hat die Möglichkeit des | |
‚Unverzüglich‘ enorm beschleunigt.“ Und dieses Master-of-Arts-Arschloch | |
findet das gut! Denn „mit ihr kann man in die natürliche Selektion | |
eingreifen und jede unliebsame Art auslöschen. Mithilfe von CRISPR wurden | |
Mücken geschaffen, die unfruchtbare Nachkommen produzieren. Wenn diese | |
Mücken freigelassen werden, wird ihre Art aussterben – und die Menschen | |
müssen nie mehr einen Mückenstich fürchten.“ | |
## Moskito als Produkt | |
Winegard denkt dabei an die Rockefeller Foundation, die sich in ihrem neuen | |
Krieg gegen die Malariamücke mit der Bill & Melinda Gates Foundation | |
zusammengetan hat, die wiederum mit den Gentechniklaboren von | |
Monsanto/Bayer zusammenarbeitet. Ihre CRISPR-Mücken haben laut Fahim Amir | |
den Vorteil, dass nun, in der NGO-Ära, „die Moskitos selbst zu einem | |
kommerziellen Produkt gemacht werden können“, das man etwa an afrikanische | |
Regierungen verkaufen kann. | |
Einen anderen Weg haben australische Wissenschaftler gefunden: Nachdem sie | |
festgestellt hatten, dass das Bakterium „Wolbachia“ Mücken gegen | |
Dengue-Viren immunisiert, ließen sie in Australien Zigtausende damit | |
infizierte Mücken frei. | |
Chinesische Wissenschaftler der Sun-Yat-sen-Universität Guangzhou | |
veröffentlichten kürzlich eine Studie, die nahelegt, dass es ihnen gelungen | |
ist, die Asiatische Tigermücke, deren „Hochburg“ laut der Süddeutschen | |
Zeitung Guangzhou ist, fast auszurotten. Ihr Vorgehen bestand aus einer | |
Mischung von der australischen und der amerikanischen Methode, nur dass sie | |
ihren mit Wolbachia infizierten Männchen statt mit CRISPR mit einer | |
„geringen Strahlendosis“ zu Leibe rückten. | |
Ein von der SZ dazu befragter Hamburger Virologe, Jonas Schmidt-Chanasit, | |
ist skeptisch: Wenn die Tigermücke in und um Guangzhou verschwunden ist, | |
übernehmen möglicherweise andere Mücken ihren „Job“ und übertragen | |
Krankheiten. Auch die Bayreuther Afrikanistin Ulrike Beisel ist skeptisch, | |
sie argwöhnt, dass auch diese neuen „Mittel“ nichts nützen – und plädi… | |
stattdessen für einen „Waffenstillstand“ –, nicht um noch bessere | |
Eliminierungstechniken zu erfinden, sondern „um miteinander koexistieren zu | |
können“. | |
18 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.shz.de/deutschland-welt/panorama/muecken-fangen-einfrieren-vers… | |
[2] /Mueckenplage-in-Deutschland/!5434456 | |
[3] https://www.geo.de/natur/tierwelt/50-rtkl-muecken-warum-rotten-wir-moskitos… | |
[4] https://www.nytimes.com/2019/07/27/opinion/sunday/mosquitoes-malaria-zika-h… | |
[5] /Asiatische-Stechmuecke-in-Frankfurt/!5554570 | |
## AUTOREN | |
Helmut Höge | |
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