# taz.de -- Tropenkrankheiten wandern nach Europa: „Dengue-Fieber steht vor d… | |
> Tropenkrankheiten sind längst bei uns, weiß Jürgen May vom | |
> Bernhard-Nocht-Institut. Die Pharmaindustrie reagiert meist erst, wenn es | |
> weiße Tote gibt. | |
Bild: Kann zur Überträgerin gefährlicher „tropischer“ Viren werden: die … | |
HAMBURG taz | Noch vor 100 Jahren war [1][Malaria in Norddeutschland] weit | |
verbreitet, sehr weit: In Ostfriesland war im Jahr 1826 jedes zweite Kind | |
mit der Krankheit infiziert. Dass schließlich Moore trockengelegt und | |
Kanalisationen gebaut wurden, sorgte dafür, dass wir Malaria heute als | |
Tropenkrankheit kennen, als eine abstrakte Bedrohung. Dabei können solche | |
Krankheiten auch heute noch zur Gefahr werden, nicht nur beim Besuch in | |
einem fernen Land. Viele Erreger sind bei uns verbreitet, sogar heimisch – | |
wie etwa der Fuchsbandwurm. | |
In Deutschland ist das Hamburger [2][Bernhard-Nocht-Institut] darauf | |
spezialisiert, eine weitere Ausbreitung tropischer Krankheiten zu | |
verhindern. Es wurde 1900 gegründet und beschäftigt heute etwa 380 | |
Mitarbeiter*innen. Jürgen May leitet dort die Abteilung für | |
Infektionsepidemiologie, beschäftigt sich also damit, wie sich Erreger wie | |
Bakterien, Viren und Parasiten ausbreiten und welche Krankheiten sie | |
auslösen. | |
Das Feld der Tropenkrankheiten ist riesig, etwa 1,5 Milliarden Menschen | |
sind betroffen. Am häufigsten sind Darmparasiten, die über Essen übertragen | |
werden. Auch das Dengue-Fieber kommt häufig vor. | |
Im Bernhard-Nocht-Institut behandeln die Ärzt*innen Patient*innen, die | |
Krankheiten auf Reisen oder auch in Deutschland bekommen haben. | |
Unspezifische Fiebererkrankungen seien häufig, sagt Jürgen May. Insgesamt | |
sei die Arbeit vielfältig und deshalb spannend. Er sei immer wieder | |
überrascht, welche Krankheiten es gebe – und fasziniert von ihren | |
Verbreitungswegen. | |
## Problematischer Begriff | |
Zum Beispiel von einem Parasiten mit dem Namen „Dicrocoelium dendriticum“. | |
Das ist ein kleiner Darmegel, der sich in Schafen weiterentwickelt. Wenn | |
die Schafe ihn ausscheiden, wird er von Ameisen gefressen. In den Ameisen | |
wird der Parasit zum Puppenspieler, befällt die Kopfkapsel der Insekten und | |
zwingt sie, sich am oberen Teil von Grashalmen festzubeißen, wo sie dann | |
wieder von Schafen gefressen werden können. | |
„Tropenkrankheit“, sagt Jürgen May, sei ein veralteter, mitunter | |
problematischer Begriff. Gemeint seien Krankheiten, die vor allem in | |
tropischen und subtropischen Regionen vorkämen. Er spricht von Neglected | |
Tropical Diseases (NTDs), also vernachlässigten tropischen Krankheiten. | |
Denn der Begriff „Tropenkrankheit“ suggeriere, dass sie nur in bestimmten | |
Regionen aufträten, was aber nicht stimme. | |
Mit dem Begriff [3][„One Health“] aus der Entwicklungszusammenarbeit | |
drücken Forscher*innen außerdem aus, wie sich Krankheiten in einer | |
globalisierten Welt verbreiten, wie zum Beispiel importierte Mücken dafür | |
gesorgt haben, dass im Jahr 2000 im New Yorker Central Park massenweise | |
tote Vögel aus den Bäumen fielen. | |
In Europa, warnt May, könnten sowohl das Dengue- als auch das | |
West-Nil-Fieber in den kommenden Jahren zu Problemen führen. „Dengue steht | |
bei uns praktisch vor der Tür“, sagt May. Es wird durch Mücken übertragen, | |
die bei wärmerem Wetter hier heimisch werden könnten, Klimakrise sei Dank. | |
Vereinzelt gibt es auch schon [4][Dengue-Mücken] in Deutschland. | |
## Weder Impfung noch Medikamente | |
Neben Fieber verursacht Dengue eine spezifische Hautrötung, an der die | |
Krankheit zu erkennen ist. Besonders gefährlich wird es, wenn eine Person | |
mit mehreren Typen des Fiebers infiziert ist, dann drohen starke innere | |
Blutungen. Die muss die betroffene Person dann irgendwie überstehen, ohne | |
Medikamente. Die gibt es ebenso wenig wie eine Impfung. | |
[5][West-Nil-Fieber] ist in den USA bereits verbreitet. 2021 infizierten | |
sich 2.695 Personen damit, 191 starben daran. Auch in Ostdeutschland gab es | |
2021 ebenfalls vereinzelte Fälle. West-Nil-Fieber kann zu Lähmungen führen, | |
die in seltenen Fällen tödlich für die Betroffenen sind. Auch gegen das | |
West-Nil-Fieber gibt es weder eine Impfung noch Medikamente. | |
Woran liegt das? Zum einen an den Krankheiten selbst. Dengue- und | |
West-Nil-Fieber werden durch Viren ausgelöst. Viren machen den Körper | |
krank, indem sie in die Zellen eindringen und dort das Genom verändern. | |
Medikamente dürfen nicht die körpereigenen Zellen angreifen, um das Virus | |
zu töten. | |
Impfungen scheiterten oft daran, dass es weder genug Mittel noch Interesse | |
gebe, sagt May. Meist beginne die Pharmaindustrie erst mit der Arbeit, wenn | |
Reisende aus dem globalen Norden betroffen seien. Denn dann gebe es einen | |
Markt. „Bei den Erkrankungen, die nur in den Tropen zu Hause sind, kümmert | |
sich keiner drum“, sagt May. | |
## Medizin für den Norden | |
Philipp Osten ist Medizinhistoriker am [6][Universitätsklinikum Eppendorf | |
(UKE)] in Hamburg. Er sagt, diese Vernachlässigung sei auch Teil der | |
Geschichte der Tropenmedizin-Forschung: „Bei [7][Ebola] hatten wir eine | |
wirklich sehr bedrohliche Situation. Es hat die internationale Gemeinschaft | |
erst interessiert, als es Tote in Europa gab.“ Also: weiße Tote. | |
Historisch hänge die Erforschung von Tropenkrankheiten auch mit dem | |
Kolonialismus zusammen. Das begann mit Schiffsärzt*innen der East India | |
Company, die verhindern sollten, dass teilweise ein Viertel der Besatzung | |
starb. Später nutzten die Nationalsozialist*innen Forschung zu | |
Tropenkrankheiten als Propagandamittel. | |
Das Medikament Germanin half gegen die [8][Schlafkrankheiten] und wurde im | |
gleichnamigen Film von 1943 als „koloniale Tat“ gefeiert. Forschung zu | |
Bakterien, die Erfindung von Penicillin – das sei das erste | |
Forschungsgebiet gewesen, durch das sich Deutschland wissenschaftlich | |
profilieren konnte. | |
Heute gebe es andere Auffassungen, sagt Osten, und erwähnt das Konzept „One | |
Health“. Tropenkrankheiten sind kein Problem der anderen. Die Folgen der | |
Klimakrise, Armut, schlechte Gesundheitsversorgung – all das sind globale | |
Probleme. Die Tropenmediziner*innen veränderten ihre Disziplin zum | |
Positiven, insgesamt seien die Beteiligten sehr divers. Zusammenarbeit mit | |
betroffenen Ländern finde heute auf Augenhöhe statt. | |
## Kooperation beginnt | |
Das berichtet auch Jürgen May: „Wir bauen Kapazitäten auf, bilden | |
Kolleginnen und Kollegen vor Ort aus und helfen bei der Ausbildung der | |
Studierenden.“ Dazu gehören unter anderem Trainingsmodule, die Ausbildung | |
von Doktorand*innen und mobile Labore in sechs ostafrikanischen | |
Ländern. Dort, wo das Gesundheitssystem eigentlich überhaupt nicht | |
hinkommt. | |
In Deutschland, sagt May, laufe die Krankheitsüberwachung überwiegend gut. | |
So würden [9][Stechmücken] kontrolliert und Daten zusammen getragen. | |
Probleme gebe es aber bei der Kommunikation. Weil die Bundesländer einzeln | |
ihre Daten [10][an das Robert-Koch-Institut schickten] und das manchmal | |
zeitverzögert passiere, sei es teils schwierig, Ausbrüche über | |
Bundesländergrenzen hinweg zu erkennen. | |
„Wir haben zum Glück ein sehr strenges Datenschutzgesetz, aber das führt | |
dazu, dass man bei epidemischen Situationen vieles nicht weiß. Wir brauchen | |
hier bei aller Vertraulichkeit einen besseren Überblick“, sagt May. | |
15 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Deichbau-und-Groessenwahn/!5040553 | |
[2] /Tropeninstitut-hinterfragt-Namenspatron/!5831250 | |
[3] /Neue-internationale-Studie/!5890852 | |
[4] /Asiatische-Stechmuecke-in-Frankfurt/!5554570 | |
[5] /Gesundheitsrisiken-durch-Klimawandel/!5938686 | |
[6] https://www.uke.de/ | |
[7] /Ebola-in-Uganda/!5885837 | |
[8] /Vernachlaessigte-Tropenkrankheiten/!5463999 | |
[9] /Kriebelmuecken-ruecken-auf-Berlin-vor/!5942201 | |
[10] https://www.rki.de/ | |
## AUTOREN | |
Lisa Bullerdiek | |
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