# taz.de -- Borkenkäfer im Harz: Der Weckrufer | |
> Die Forstwirtschaft wertet den Tod von Fichten im Harz als schweren | |
> Schaden und bekämpft den Borkenkäfer. Doch das ist ein Fehler. | |
Bild: Unersättlich: Borkenkäfer setzen Fichtenwäldern zu, in diesem Sommer i… | |
OSNABRÜCK taz | Für [1][den Borkenkäfer] ist die Klimakrise ein Geschenk. | |
Im Harz findet der Käfer geradezu ein Paradies vor. Denn die Dürreperioden | |
schwächen die Fichten, die dort in Monokulturen wachsen. Sind die Fichten | |
schwach, bohrt der Käfer in ihnen seine Gänge, legt Eier ab, und der Hunger | |
der Larven gibt den Bäumen den Rest. Zu den Trockenperioden kommen milde | |
Winter, verfrüht einsetzende Frühjahre und Extremwetterereignisse wie | |
schwere Stürme. Vermehrt der Borkenkäfer sich dann explosionsartig, | |
[2][sehen plötzlich ganze Landstriche aus wie Todeszonen]. | |
Auch im Harz ist das der Fall. Wer im dortigen Nationalpark unterwegs ist, | |
dem Natura 2000-Schutzgebiet rings um den Brocken, in Niedersachsen und | |
Sachsen-Anhalt, sieht die Folgen des Käfer-Kahlfraßes sofort: Seit 2018 hat | |
der 25.000 Hektar große Park mehr als 11.600 Hektar Fichtenwald verloren, | |
allein 2021 sind rund 5.600 Hektar hinzugekommen. Rund 90 Prozent seines | |
Fichtenbestandes sind tot. | |
Das Problem ist nicht nur das Klima. Hinzu kommt forstwirtschaftlicher | |
Raubbau. Großflächige Monokulturen wurden gepflanzt, an ungeeigneten | |
Standorten. Hauptsache, schneller Ertrag entstand. Der Borkenkäfer, | |
insbesondere der „Buchdrucker“, hatte bei den anfälligen Plantagen leichtes | |
Spiel. | |
Es gibt Harz-Gäste, die beschweren sich über den unidyllischen Anblick. | |
Aber das ist nur eine Minderheit. „Viele sind geschockt und erstaunt, wenn | |
sie das das erste Mal sehen“, sagt Christin Wohlgemuth der taz, Sprecherin | |
des Harzer Tourismusverbands in Goslar. „Aber zugleich sind sie sehr | |
interessiert an den Gründen, an den Folgen, und die erklären wir ihnen | |
dann.“ | |
## Fehler der Vergangenheit | |
Die Gäste lernen, dass es auch schon vor Jahrhunderten Kahlfrass gab, dass | |
der Käfer [3][zur normalen Waldökologie] dazugehört, dass er dazu beiträgt, | |
dass sich standortgerechter, widerstandsfähiger, vielfältiger Mischwald | |
entwickelt. „Das zu beobachten, ist für den Gast natürlich spannend“, sagt | |
Wohlgemuth. Dem Tourismus schade der Käfer nicht: „Bei den | |
Übernachtungszahlen sehen wir keinen Rückgang aufgrund der | |
Waldentwicklung.“ | |
Diese Entwicklung verläuft höchst dynamisch. Zwischen Sterben und Tod | |
wächst rasch neues Leben heran, ein neuer, naturnäherer Wald. Die | |
Borkenkäfer-Zonen des Parks sind also Weckrufe, sie sind Mahnmale für | |
Fehler der Vergangenheit. Die Kahlschläge der umliegenden Wirtschaftswälder | |
sind es erst recht. | |
Bekämpft wird der Borkenkäfer im Nationalpark seit 2021 nur noch an zwei | |
Stellen: angrenzend an Großprivat- und Kommunalwald, auf einem | |
500-Meter-Sicherungsstreifen. „In der Kernzone des Schutzgebietes, der | |
Naturdynamikzone, findet keinerlei Bekämpfung statt“, sagt Martin | |
Baumgartner, Sprecher des Nationalparks Harz, der taz. „Hier wird | |
entsprechend des gesetzlichen Auftrags nicht in die natürlichen Prozesse | |
eingegriffen.“ | |
Seit 2008 wandelt der Nationalpark stark sein Gesicht – hin zum Laubwald. | |
Mehr als 6,7 Millionen Laubbäume wurden in seiner Naturentwicklungszone | |
gepflanzt, von der Buche bis zur Erle. Eine natürliche Wiederansiedlung | |
wäre auf große Probleme gestoßen. Durch die Fichtenplantagen fehlten die | |
Mutterbäume der Laubbaumarten. Ohne menschliche Hilfe hätte es notfalls | |
„eine extrem lange Zeit gedauert“, sagt Baumgartner, „vermutlich | |
Jahrhunderte“. Ganz geht die Fichte dem Harz übrigens nicht verloren. In | |
höheren Lagen ist sie heimisch, als Bergfichtenwald. Gesund, mit guten | |
Abwehrkräften gegen den Käfer. | |
## Problem Monokulturen | |
Die Forstwirtschaft wertet den Massentod der Fichten als schweren Schaden. | |
Sie bekämpft ihn, auch mit Insektizid. Im Nationalpark ist die Natur keiner | |
Wirtschaftlichkeit unterworfen. Auch holzfressende Insekten erfüllen in | |
ihren Lebensräumen wichtige Funktionen, sagt Baumgartner. „Ihr Verhalten | |
und dessen Folgen sind Teil eben jener Naturdynamik, die wir im | |
Nationalpark schützen.“ | |
Die „aktuelle Borkenkäferkalamität“ macht in seinen Augen „auf drastisc… | |
Weise deutlich, dass es generell problematisch ist, Forstwirtschaft in Form | |
von großflächigen Monokulturen zu betreiben“. Aber es gibt Hoffnung. Auch | |
die Forstwirtschaft habe erkannt, „dass ein Waldumbau hin zu gemischteren | |
Beständen und mehr Laubmischwald sinnvoll ist“. | |
Wie Wohlgemuth erlebt auch Baumgartner BesucherInnen des Parks, auch | |
Einheimische, „die über den Anblick der toten Bäume entsetzt sind, was wir | |
gut nachvollziehen können“. Ihnen werde dann vermittelt: „Fichten sterben, | |
aber nicht der Wald als Ganzes.“ Die toten Bäume verbleiben übrigens im | |
Park, denn [4][Totholz ist wichtig für das Ökosystem]. Und: „Die | |
Beseitigung des Totholzes wäre ein massiver, mit einem enormen, | |
maschinellen Aufwand verbundener und für das Ökosystem sehr nachteiliger | |
Eingriff.“ | |
Und was, wenn es zu Kritik kommt, in Sachen Borkenkäfer und Totholz? „Das | |
ist zu akzeptieren“, sagt Baumgartner. „Wir bemühen uns, bei den Menschen | |
Verständnis für die Belange des Naturschutzes zu erreichen.“ | |
26 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Der-Borkenkaefer-und-sein-schlechter-Ruf/!5789292 | |
[2] /taz-nord-Serie-Waldspaziergang/!5869061 | |
[3] /Zunahme-von-Holzschaeden/!5902801 | |
[4] /Waldschaeden-im-Harz/!5907333 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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